Die Politikwissenschafterin Irene Messinger.

Foto: Claudia Miklau

Rund 2000 Wiener Ehepaare mit einem Partner bzw. einer Partnerin aus einem "Drittstaat" hatten 2005 eine unangenehme Begegnung mit der Fremdenpolizei. Das bedeutete auch Besuche zu nächtlicher Stunde, in denen im Schlafzimmer nach Spuren einer frisch geschlossenen Ehe gefahndet wurde. Fanden die Gesetzeshüter eindeutige Hinweise auf eine Scheinehe - etwa nur einen einzigen Polster im Bett -, landeten die Eheleute vor Gericht.

Als Rechtsberaterin einer kleinen NGO hat Irene Messinger viele solcher Fälle betreut. Mit dem Wissen über diese Kontrollpraktiken wuchs ihr Widerwille gegen die grobe Missachtung der Privat- und Intimsphäre. Während die Ehemotive zwischen österreichischen Staatsangehörigen nie überprüft werden, gibt es in Wien eine eigene fremdenpolizeiliche Einheit, die sich fast ausschließlich mit Scheinehen beschäftigt.

"Ich wollte nicht länger wegschauen und entschloss mich, eine politikwissenschaftliche Dissertation über die staatlichen Konstruktionen von 'Schein- bzw. Aufenthaltsehe' zu schreiben", berichtet die ausgebildete Pädagogin. Ein ehrgeiziges Unterfangen, das mangels finanzieller Unterstützung immer wieder vom Abbruch bedroht war. Der aufgestaute Zorn über das Erlebte setzte jedoch ausreichend Energie frei, um die wissenschaftliche Arbeit trotz prekärer Verhältnisse zum Abschluss zu bringen. Und zwar mit Bravour. Nun regnete es auch Anerkennung und Preise für die Nachwuchsforscherin: den Förderpreis des Theodor-Körner- Fonds, den Dissertationspreis für Migrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und nun den Gabriele Possanner-Förderungspreis des Wissenschaftsministeriums.

Ein zentrales Ergebnis ihrer Arbeit, für die sie zahlreiche Experteninterviews geführt und alle Wiener Gerichtsakten analysiert hat, ist der Nachweis einer befremdlichen Diskrepanz zwischen polizeilicher und richterlicher Einschätzung von Ehen als "Aufenthaltsehen". "Durch Wohnungskontrollen, Nachbarnbefragungen und intime Wissenstests über den Ehepartner kamen die Beamten oft sehr schnell zum Schluss, dass sie es mit einer Scheinehe zu tun haben." All die "begründeten" Verdachtsfälle führten zu Gerichtsverfahren, von denen jedoch nur ein Drittel mit einer Verurteilung endete.

"Dahinter scheint sich eine moralische Entrüstung über Ehen zu verbergen, die den gängigen Vorstellungen nicht entsprechen", vermutet Messinger. "Die Grenzen zwischen einer klassischen Ehe und einer Scheinehe sind fließend. Gerade in Beziehungen zwischen Österreicherinnen oder Österreichern und Drittstaatenangehörigen kommt es wegen der drohenden Abschiebung des Partners oder der Partnerin oft zu überstürzten Eheschließungen. Diese Menschen haben meist gar keine Gelegenheit, sich vor der Ehe wirklich gut kennenzulernen."

Im Herbst wird die Arbeit übrigens als Buch im Mandelbaum Verlag erscheinen. Ob die 38-Jährige weiterhin wissenschaftlich arbeiten wird, ist trotz aller Auszeichnungen und Ambitionen fraglich. "Mein großer Wunsch wäre es, künftig über 'Schutzehen' im Nationalsozialismus zu forschen", sagt Messinger, die sich mit gelegentlichen Lehraufträgen und Homepage-Betreuung über Wasser hält. "Um den zu verwirklichen, muss ich aber erst eine Finanzierungsmöglichkeit finden." (Doris Griesser, DER STANDARD, 11.4.2012)