Auch bei diesem Sujet hieß es von vielen Seiten: Sexismus? Nein, so etwas doch nicht!

Foto: Andy Urban

Viele fühlen sich in ihrem Sprechen und Handeln längst über ihn hinweg, und doch ist er überall zu hören und zu sehen: Sexismus. So haben wir allerorts nackte Frauenkörper, weil die "nun mal ansehnlicher sind", es erziehen vorwiegend Frauen Kinder, weil sie "das besser können", und Frauen "zicken" herum, weil sie sich einfach schnell und auch noch unnötig echauffieren. Die meisten Frauen regen sich über solche Sager gar nicht mehr auf, verständlich, denn auch der Ärger über derartige Diffamierungen wird gern sexistisch kommentiert: Frau solle doch bitte nicht so "verkniffen", "streng" oder "humorlos" sein. Und so hält sich frau lieber an ein Männern gerne zugeschriebenes Attribut, nämlich "lässig bleiben". 

Doch warum eigentlich diese große Kluft zwischen der Selbsteinschätzung von WerbemacherInnen, ArbeitskollegInnen oder Personen des öffentlichen Lebens, die Sexismus von sich weisen oder sich über ihn erhaben fühlen, und der gesellschaftlichen Realität? Warum ist Sexismus omnipräsent, doch niemand eine/ein SexistIn?

Eine subjektive Einschätzung?

Ein möglicher Grund: Es gibt noch immer die weit verbreitete Annahme, Sexismus sei keine Frage der Definition, sondern der subjektiven Einschätzung. So folgt auf Sexismus-Kritik sehr oft das Argument der "maßlosen Übertreibung". 

Eine solche wird gern bei Kritik an sexistischer Werbung ins Feld geführt. Die Watchgroup gegen Sexismus hat deutliche Kriterien formuliert, wann eine Werbung sexistisch ist. Neben Kategorien wie der "Verfestigung von Rollenklischees" (etwa so) oder der "Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen" (wie hier) ist vor allem die Sexualisierung von Frauen (aber auch von Männern, wenn auch in geringerem Ausmaß) unter Werbeleuten beliebt. Laut Watchgroup ist sie die "eindeutigste Form von sexistischer Werbung".

Deutlich wird sie durch eine Darstellung, die Frauen wie Konsumartikel zeigt, "jung, schön und unverbraucht", wie es auf der Seite der Watchgroup heißt. "Oft sind nur Körperteile zu sehen - der weibliche Busen, das Dekolleté, die weiblichen Beine, halbgeöffnete Lippen", also Bilder, die die Dargestellten zum Objekt degradieren. "Werbung arbeitet häufig mit sexuellen Anzüglichkeiten auf Kosten der Frau. Weiblicher Sex wird zur Anpreisung von Waren verwendet", formuliert die Watchgroup weitere Kriterien zum Erkennen von sexistischen Bildern.

Klare Definitionen

Auch abseits von Beispielen aus der Werbepraxis bleibt Sexismus eine eindeutige Sache, etwa beim Begriff selbst. Klare Begriffsbestimmungen von Sexismus sind überall und schnell zu finden sind, Definitionen, die sich decken oder sich in ihrer Differenz allerhöchstens ergänzen. Von Widersprüchlichkeit keine Spur. 

Der Duden schreibt zum Beispiel, Sexismus sei eine "Haltung, Grundeinstellung, die darin besteht, einen Menschen allein aufgrund seines Geschlechtes zu benachteiligen; insbesondere diskriminierendes Verhalten gegenüber Frauen".

Auf good old Wikipedia heißt es etwas ausführlicher: "Unter Sexismus versteht man die soziale Konstruktion von sexuellen Unterschieden zwischen Menschen und die daraus abgeleiteten Normen und Handlungsweisen. Der Sexismus unterteilt alle Menschen anhand ihrer biologischen Geschlechtsmerkmale in Frauen und Männer, unterstellt ihnen damit eine grundlegende Unterschiedlichkeit und weist ihnen auf dieser Basis unterschiedliche Rechte und Pflichten zu."

Auch wenn im Duden das weniger eindeutige "benachteiligen" und das "diskriminierende Verhalten" stecken und auf Wikipedia die vielleicht verwirrende "soziale Konstruktion von sexuellen Unterschieden", wird all jenen, die sich über Sexismus erkundigen wollen, dennoch die Quintessenz klar werden: Es geht um die unterschiedliche Behandlung oder Einschätzung rein auf der Basis des Geschlechts eines Menschen.

"Typisch"

Und auch die um Wort und Bedeutung fachkundige Philosophie weicht davon nicht ab. Das "Oxford Dictionary of Philosophy" definiert Sexismus so: Sexismus sei die "Aberkennung von Rechten, Anforderungen, der Würde oder des Wertes eines Menschen eines bestimmen Geschlechts. Weiter gefasst: die Entwertung von verschiedenen Charaktermerkmalen dadurch, sie als 'typisch' für ein Geschlecht einzustufen."

Sexismus meint somit in einer etwas breiteren Definition die Reduktion eines Menschen auf die Geschlechtszugehörigkeit "Frau" oder "Mann". Diese kann auf ästhetische Weise passieren (Stichwort Werbung), auf der Ebene der Einschätzung von Fähigkeiten (Stichwort Arbeitswelt) und in der Folge danach, wo Frau und Mann in der sozialen Welt hinsortiert werden (Stichwort Familienarbeit). Die Nachschlagewerke sind somit nicht für die Verwirrung um den Begriff "Sexismus" verantwortlich.

Was sagen die Fachfrauen?

Und auch die Expertinnen reihen sich in die konsistenten Definitionen ein. Für Sigrid Schmitz, Professorin für Gender Studies an der Uni Wien, ist klar: "Sexismus bezeichnet Zuschreibungen (z. B. Rollen, Eigenschaften) und Diskriminierungen (Ausschlüsse, Unterdrückung) von Menschen nur aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit", wie sie auf Nachfrage von dieStandard.at erklärt.

Ingrid Nikolay-Leitner, Leiterin der österreichischen Gleichbehandlungsanwaltschaft, ergänzt: "Historisch ist der Begriff Sexismus in Analogie zum Begriff des Rassismus entstanden. Zentral ist bei beiden Begriffen das Element der Bewertung, einmal die Bewertung von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, das andere Mal aufgrund des Geschlechts. Damit ist jeweils eine Abwertung der 'anderen' ethnischen Zugehörigkeit und des 'anderen' Geschlechts verbunden."

Daher sei der Begriff, so Nikolay-Leitner, auch nicht eins zu eins auf Männer anzuwenden. Zwar gebe es auch sexistische Darstellungen von Männern, doch eine "bloße Umkehrung" funktioniere nicht.

Doch auch für Männer können sexistische Zuschreibungen eine Belastung sein. Dennoch ist es eher ein Profitieren als ein Leiden, denn die vorurteilsbeladenen Bewertungen von Männlichkeit sind in unserer Gesellschaft schlichtweg anerkannter. So müssen oder können sich Männer etwa "Rationalität" unterstellen lassen, eine Eigenschaft, mit der Frauen auch gelobt werden. Wenn allerdings Männer mit der als weiblich geltenden "Emotionalität" in Verbindung gebracht werden, heißt das für sie oft nichts Gutes.

Sei Sexist und steh dazu

Auch für Schmitz ist Sexismus in seiner Anwendung auf Männer etwas anderes: "Der Begriff ist prinzipiell nicht geschlechtsgebunden, allerdings wurde er insbesondere durch die Frauenbewegung der 1960er Jahre zunächst auf Diskriminierung gegenüber Frauen bezogen. Durch die Machtstrukturen sind Frauen sicherlich stärker und von anderen Formen des Sexismus betroffen. Neben direkten Abwertungen und Diskriminierungen sind Frauen auch vom sogenannten 'benevolenten Sexismus' betroffen, der Abwertungen durch Wohlwollen oder scheinbare Beschützerfunktionen Frauen gegenüber."

Ob das gut gemeinte "Ich mach das schon für dich" oder offen diffamierende Gesten - die grundlegende Bedeutung von Sexismus steht fest. Sie ist einfach, und doch ist in einer nach Geschlecht separierten Welt sexistisches Handeln oft nur schwer zu vermeiden. Eine blinde oder herablassende Leugnung des Griffes in die Vorurteilskiste zeugt von politischer Ignoranz, Desinteresse oder tief verankertem, aber offenbar unbewusstem Chauvinismus. Denn zu behaupten, dass "Sexismus" eine subjektive Einschätzung sei, gilt nicht mehr. Also: Wenn schon SexistIn, dann bitte auch dazu stehen. (beaha, dieStandard.at, 11.4. 2012)