Bild nicht mehr verfügbar.

NGOs beklagen seit geraumer Zeit die Krise des Multilateralismus in globalen Umwelt- und Entwicklungsfragen. Im Bild: Von Dürre betroffene Flussarme des Yangtze, Chinas größtem Fluss.

Foto: REUTERS/DAVID GRAY

Bild nicht mehr verfügbar.

Alexander Egit von Greenpeace: "Vor 20 Jahren ging es in Rio um die Rettung der Welt."

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

WECF-Geschäftsführerin Sascha Gabizon: "In Zeiten der Wirtschaftsglobalisierung brauchen die Ärmsten vor allem rechtlichen Schutz."

Foto: Privat

Mal sind es brennende Bohrinseln, die unsere Aufmerksamkeit erhaschen, ein andermal verarmte KleinbäuerInnen in den südlichen Ländern, die von multinationalen Konzernen um ihre Existenzgrundlage gebracht werden. Dazwischen taucht die Meldung auf, dass auf EU-Ebene wieder ernsthaft diskutiert werden soll, Atomenergie als emissionsarme Technologie einzustufen und damit für weitreichende Förderungen zu öffnen. Kaum ein Tag vergeht ohne Schreckensmeldung aus dem Umwelt- oder Entwicklungsbereich. Nun sollen bei der UN-Konferenz Rio +20 wieder einmal Auswege diskutiert werden.

Alter und neuer Geist in der Umweltpolitik

Vor 20 Jahren war die Zusammenführung von Umwelt- und Sozialfragen, die Bekämpfung von Armut und eine nachhaltige Entwicklung für die internationale Gemeinschaft noch ein neuer Zugang. Brisanz lag in der Luft, als sich 1992 die Zivilgesellschaft und Regierungen erstmals bei einer UN-Konferenz in Rio trafen, um diese verschiedenen Bereiche zusammenzuführen und in verbindliche Konventionen zu gießen. "Vor 20 Jahren ging es in Rio um die Rettung der Welt", erinnert sich Alexander Egit, Geschäftsführer von Greenpeace in Zentral- und Osteuropa, an den Geist dieser Phase in der Umweltpolitik.

Umweltzerstörung nicht mehr kostenlos

Der langjährige Umweltaktivist wird im Juni wieder nach Rio zur Folgekonferenz Rio +20 fahren. Doch dass der diesjährige Gipfel ähnlich bedeutende Beschlüsse zustande bringen wird wie sein Vorläufer, bezweifelt er. Mit der "Agenda 21" und der "Biodiversitätskonvention" verpflichteten sich damals die 178 Teilnehmerstaaten, umfassende Aktionen und Reformen im Bereich des Umweltschutzes durchzuführen. Letztlich geht sogar das Kyoto-Protokoll auf Vereinbarungen in Rio zurück. "Damals haben wir wenigstens erreicht, dass Umweltzerstörung nicht mehr kostenlos ist", relativiert Egit.

Zwanzig Jahre später sieht die Sache anders aus. Bedingt durch die weltweiten ökonomischen Krisen und den daraus resultierenden Sparprämissen zögern die Staaten, sich auf neue Vereinbarungen einzulassen oder auch nur die alten umzusetzen. Die Krise des Multilateralismus wirkt sich nicht nur auf Rio +20 auf, sondern prägt seit geraumer Zeit die Aktivitäten auf internationaler Ebene, wie sich jüngst auch bei der Klima-Konferenz in Durban zeigte, die ohne wesentlichen Beschluss zu Ende ging. Niemand geht davon aus, dass US-Präsident Barack Obama an Rio +20 teilnehmen wird, zu groß wäre der innenpolitische Schaden für einen wahlwerbenden Präsidenten, so der Tenor.

"Angriff auf Menschenrechte"

Auch auf inhaltlicher Ebene scheinen vormalige Übereinkünfte zu bröckeln. Das zeigte etwa das erste Reading zur Abschlussdeklaration, das vor kurzem in New York stattfand. "Was sich dort abgespielt hat, war ein Angriff auf die Menschen- und Frauenrechte ", fasst Sascha Gabizon, die Geschäftsführerin von "Women in Europe for a common future" (WECF), gegenüber dieStandard.at zusammen. So hätten die G77-Länder, eine gewichtige Stimme im internationalen Kontext, aktiv gegen die Thematisierung von Frauenrechten, etwa in Bezug auf Landeigentum, Stimmung gemacht. Es reiche doch wohl, wenn diese in einem eigenen Kapitel festgehalten würden, so deren Argumentation. Ein anderes Beispiel: Der Vatikan setzte sich gegen die Verwendung des Wortes "gender equality" ein. Und die USA strich das Ziel für Frauen in Entscheidungspositionen. Gegen ein Menschenrecht auf Wasser und sanitäre Anlagen machte sich wiederum Großbritannien stark, obwohl es bereits eine verabschiedete Resolution in diesem Bereich gibt.

Doch gerade die Bezugnahme auf Menschen- und Frauenrechte in dem Abkommen sieht die Expertin als Knackpunkt für einen positiven Abschluss der Verhandlungen. "Gesetze und Rechte sind für die Ärmsten der Welt gerade in Zeiten einer globalisierten Wirtschaft das Wichtigste." Die Förderung des Anbaus von Agro-Treibstoff-Pflanzen in den südlichen Ländern habe ihre Lage noch einmal zusätzlich verschärft, weil nun jedes kleine Stück Land mit einem kommerziellen Wert versehen ist.

Forderungen der Zivilgesellschaft

WECF, die Dachorganisation europäischer Frauenorganisationen zu nachhaltiger Entwicklung, sitzt in der Gruppe "Frauen", einer von neun Hauptgruppen, die die Zivilgesellschaft in Rio +20 repräsentieren. Wenngleich auch Gabizon die Stimmung unter den Delegierten nicht als euphorisch beschreibt, hoffen die meisten zvilgesellschaftlichen VertreterInnen doch noch auf ein paar sinnvolle Ergebnisse.

Bei der Folgekonferenz wollen sie erreichen, dass eine globale Konvention für das Recht auf Information, Rechtsprechung und öffentliche Partizipation verabschiedet wird. Die meisten Gruppen unterstützen weiters eine Konvention zur Verschärfung der "Corporate Social Responsability" Konvention. Die Verantwortlichkeit und Haftpflicht der Firmen soll damit bindender werden. Gefordert wird außerdem ein Abkommen für einen globalen "social protection floor", also einem Mindestmaß an sozialer Absicherung der armen Menschen in allen Ländern der Erde. Als Referenz dient hier das brasilianische Modell der "Bolsa Família", von dem derzeit rund 12 Millionen Familien profitieren. Dabei werden Geldleistungen an bedürftige Familien an erwünschtes Verhalten, wie etwa dem Schulbesuch der Kinder oder, jetzt neu, an umweltschonende Lebensweise, geknüpft.

Verfassung der Meere

Für den Umweltschützer Egit steht die Umsetzung der Biodiversitätskonvention zum Schutz der Meere im Zentrum seiner Bemühungen. Damit die seit langem vereinbarten zehn Prozent der Meere in Schutzgebiete verwandelt werden können, braucht es ein weiteres Abkommen, das in Rio auf der Tagesordnung stehen wird. Darüber hinaus kämpfen die UmweltschützerInnen dafür, dass es auf UN-Ebene künftig eine eigene Organisation (und nicht nur das Programm UNEP) geben wird, die sich mit Umweltfragen beschäftigt.

Grüne Wirtschaft

Als eines der Hauptthemen der Konferenz ist die sogenannte Grüne Wirtschaft ("green economy") ausgeschrieben. Was diese genau sein und vor allem welchen Stellenwert sie im globalen Umweltschutz einnehmen soll, wird in Rio debattiert werden. Der Trend der Regierungen gehe derzeit dahin, dem privaten Sektor die Hauptverantwortung für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung zu übertragen, beklagt Gabizon. Egit beschreibt diese Verschiebung als "Teil einer neoliberalen Agenda". Viele Bereiche des Umweltschutzes seien aber ökonomisch nicht zu begreifen, wie etwa der Artenschutz. "Hier helfen nur kontrollierte Schutzzonen, und sonst gar nichts."

Die Frauengruppe fordert, der Grünen Wirtschaft strenge Rahmenbedingungen aufzuerlegen. Diese umfassen zum einen die Berücksichtigung der Frauen- und Menschenrechte, zum anderen eine strenge staatliche Regulierung. "Es ist doch ein Skandal, dass bis heute schädliche Energieformen mit öffentlichen Geldern subventioniert werden, und das weltweit in Milliarden-Höhe", so Gabizon.

Gegengipfel

Vor den Toren des Gipfels wird es vermutlich etwa schriller tönen. Dort versammeln sich hunderte NGOs und AktivistInnen zu einem Gegengipfel, der bei den EntscheidungsträgerInnen Druck machen soll. Für sie ist klar: In Rio +20 steht nicht die "Rettung der Welt" auf dem Spiel, aber in jedem Fall die umfassende Auspreisung ihrer Ressourcen. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 15.4.2012)