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Das Primärstadium der Syphilis tritt überwiegend im Genitalbereich auf.

Claudia Heller-Vitouch ist Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten und ärztliche Leiterin des Ambulatorium für Pilzerkrankungen und andere venero-dermatologische Infektionen in Wien Hietzing. Seit 2009 hat sie den Vorsitz der Österreichischen Gesellschaft für Sexually Transmitted Diseases und dermatologische Mikrobiologie inne.

Foto: Claudia Heller-Vitouch

40 Fälle von Syphilis wurden in der letzten Zeit in den Landeskliniken in Salzburg registriert. Diese Meldung ging letzte Woche durch die Medien. In den vergangenen Jahren kamen auch aus anderen Bundesländern Zahlen in dieser Größenordnung ans Licht. Dass sich die Syphilis österreichweit im Vormarsch befindet, ist demnach nicht ganz neu. Ernst genommen wird diese Tatsache von der Bevölkerung aber nicht.

Die Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Sexually Transmitted Diseases Claudia Heller-Vitouch, ärztliche Leiterin des Pilzambulatorium Hietzing, fordert frühzeitige Aufklärung in den Schulen und mehr Vigilanz gegenüber Geschlechtskrankheiten, abseits von HIV.

derStandard.at: Warum erfährt die Syphilis in Österreich derzeit eine Renaissance?

Heller-Vitouch: Weil die Angst vor HIV kleiner geworden ist. HIV ist heute kein Todesurteil mehr, sondern eine behandelbare Erkrankung geworden. Damit ist auch safer sex etwas in den Hintergrund getreten. Anderen Geschlechtskrankheiten wurde damit Tür und Tor geöffnet. 

derStandard.at: Warum herrscht in Hinblick darauf in der Bevölkerung so ein großes Informationsdefizit?

Heller-Vitouch: Weil die Syphilis, wie auch andere Geschlechtskrankheiten, in den Medien einerseits zu wenig Aufmerksamkeit erfährt und andererseits die Aufklärung in den Schulen diesbezüglich katastrophal ist. In den skandinavischen Ländern wird in dieser Richtung viel mehr getan. Fragen Sie bei uns einmal einen 17-Jährigen was das Humane Papillomavirus ist. Der wird das vermutlich nicht wissen. In Österreich sind Geschlechtskrankheiten nach wie vor kein Thema. 

derStandard.at: Wie dramatisch ist die Situation tatsächlich?

Heller-Vitouch: Die Syphilis hatte ihre Hochblüte vor der Penicillin-Ära, in Zeiten von Kriegen. Nach dem zweiten Weltkrieg und der Einführung von Penicillin ist es zu einem Rückgang der Syphilis gekommen. Ihren Tiefpunkt hatte diese Geschlechtskrankheit Anfang der 90er-Jahre. 1993 gab es 124 gemeldete Fälle in Österreich. Damals wurden Ausbildungsassistenten noch in der Ambulanz zusammengerufen, wenn ein Fall von Syphilis aufgetreten ist. 2009 wurden in Österreich 585 gemeldete Fälle registriert, 2011 hatten wir 450 Fälle. Das ist zwar ein leichter Abfall, allerdings auf sehr hohem Niveau. 

derStandard.at: Warum war die Syphilis vor der Erfindung des Penicillins so gefürchtet?

Heller-Vitouch: Die Syphilis war eine lebensbedrohliche Erkrankung, die auch zu der gefürchteten Neurosyphilis führen konnte. Dieser Befall des Zentralnervensystems hat für die Betroffenen Siechtum und letztendlich Tod bedeutet. Gefürchtet war insbesondere auch die konnatale Syphilis, die Syphilis der Neugeborenen, die durch die Übertragung im Mutterleib zustande kommt. Es gab auch andere sehr schwerwiegende Verläufe, wie die Syphilis maligna oder eine kardiovaskuläre Beteiligung im Rahmen einer Tertiärsyphilis. Summa summarum war die Syphilis eine wirklich gefährliche Erkrankung. Und da sie durch Sexualkontakte übertragbar ist, war sie auch entsprechend verbreitet. 

derStandard.at: Ist sie mit Penicillin zu einer heilbaren Erkrankung geworden?

Heller-Vitouch: Im Normalfall ja. Wobei zu erwähnen ist, dass es auch sogenannte Therapieversager gibt. Es ist also unbedingt erforderlich, im Anschluss an eine Therapie Kontrollen durchzuführen, um zu sehen, ob tatsächlich ein Therapieerfolg eingetreten ist. Dazu kommt, dass der Erfolg einer Therapie auch davon abhängt, in welchem Stadium der Erkrankung sich ein Patient befindet. Also die Heilung einer Syphilis im Frühstadium würde ich ohne Einschränkungen unterschreiben. Es gibt aber auch heute noch gelegentlich Fälle einer Spätsyphilis, also beispielsweise die Neurosyphilis. Heilung im Sinne einer kompletten Restitutio ad integrum ist hier nicht mehr möglich. Es bleiben neurologische Defizite zurück. 

derStandard.at: Gibt es denn Symptome, die bereits im Frühstadium eindeutig auf eine Syphilis hinweisen?

Heller-Vitouch: Absolut. Charakteristisch ist der Primäraffekt - ein Geschwür, das auch als "harter Schanker" bezeichnet wird. Er tritt zwei bis drei Wochen nach der Ansteckung an der Eintrittspforte des Erregers auf. Voraussetzung ist hier allerdings, dass man dieses Symptom erkennt, beziehungsweise zumindest daran denkt und zum Arzt geht. Besonders problematisch sind mild verlaufende Formen und die Tatsache, dass das Primärstadium nicht nur von selbst abheilt, die Erkrankung also in ein Latenzstadium übergeht, sondern auch völlig schmerzfrei ist. Das führt natürlich dazu, dass so ein primäres Geschwür vom Patienten unterschätzt wird. 

derStandard.at: Ist dieses primäre Geschwür denn von außen immer ersichtlich? 

Heller-Vitouch: Nein, bei Frauen kann es auch am Muttermund beziehungsweise im Inneren der Vagina auftreten. Das erschwert die Diagnostik vor allem dadurch, dass die Frau selbst davon gar nichts bemerkt, aber trotzdem erkrankt ist und als Überträgerin fungiert. In unseren Breiten ist der Anstieg der Syphilis hauptsächlich auf eine Zunahme der Erkrankung unter MSM (men who have sex with men, Anm. Red.) zurückzuführen. Beim Mann ist der Primäraffekt meist offensichtlicher. 

derStandard.at: Das bedeutet also, dass nach Abheilung des Primäraffektes auch ein Gynäkologe keinen Verdacht auf eine Syphilis stellen wird?

Heller-Vitouch: Genau, er hat im Latenzstadium der Erkrankung überhaupt keine Chance, sie zu bemerken. Umso wichtiger ist es, dass das Syphilisscreening in der Schwangerschaft Teil der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen bleibt. Es wird immer wieder darüber diskutiert, dieses auf Kostengründen einzustellen. Das zu tun, wäre allerdings fatal. 

derStandard.at: Syphilis ist eine Geschlechtskrankheit, wieso ist sie dann durch Küssen übertragbar?

Heller-Vitouch: Es stimmt, dass die Syphilis durch Küssen übertragbar ist, allerdings nur, wenn sich die Erkrankung in einem Stadium befindet, in dem Erreger in der Mundschleimhaut vorkommen. Also etwa ein extragenitaler Primäraffekt im Bereich der Lippen oder Schleimhautveränderungen im Rahmen des Sekundärstadiums der Syphilis. Küssen, und vor allem Oralverkehr, können dann durchaus zu einer Übertragung des Erregers führen.

derStandard.at: Überlebt das Bakterium auch auf unbelebten Gegenständen?

Heller-Vitouch: Im Prinzip ja, allerdings überlebt es nicht sehr lange. Es ist also nicht so, dass man sich über einen Toilettensitz anstecken kann, wie immer wieder befürchtet wird. Eine Übertragung durch gemeinsam benutztes Sexspielzeug oder durch "Needle-Sharing" ist jedoch möglich.

derStandard.at: Kann der Betroffene das Bakterium auch außerhalb des Primäraffektes auf der Haut tragen?

Heller-Vitouch: Im Frühstadium nicht. Im weiteren Verlauf der Erkrankung kommt es jedoch zu Stadien, in denen sich sehr viele Erreger auf der Haut befinden. Es gibt sogenannte Palmar- und Plantarayphilide (Ausschlag auf den Handflächen und Fußsohlen, Anm. Red.), Warzen im Genitalbereich (Condylomata lata, Anm. Red.), die Angina specifica und andere Symptome im Stadium II, die sehr erregerreich sind. Eine Ansteckung ist in so einem Fall natürlich durchaus möglich. Das teuflische an der Syphilis ist, dass es so viele verschiedene Erscheinungsformen und auch Phasen der Latenz gibt. Deshalb wird sie auch als "Chamäleon der Medizin" bezeichnet. (Regina Philipp, derStandard.at, 17.4.2012)