Lady Bitch Ray singt unter anderem über "deutsche Schwänze".

Foto: "Fotografie: Alexander Fanslau" und "Bildregie: Lady Bitch Ray

Geprotze mit der eigenen sexuellen Potenz, explizite Lyrics inklusive degradierender Sexualisierung von Frauen und halbstarke Sprüche: Das alles gehört zum Habitus männlicher Rapper wie Sido, Bushido und 50 Cent.

Das alles kann auch Lady Bitch Ray, die ihren Kollegen in Sachen Derbheit und Objektivierung des anderen Geschlechtes in nichts nachsteht. 2007 und 2008 entstand ein enormer Rummel um die Rapperin, die sich als Frau, noch dazu mit türkischer Herkunft, der Codes des männlich dominierten Rap-Genres bediente - wenn auch in einem Stil der Übertreibung: In ihren Outfits wird Lady Bitch Ray zu einer Art Porno-Wonderwoman.

Mit Codes und Zeichen der äußeren Erscheinung beschäftigt sich Reyhan Şahin alias Lady Bitch Ray auch wissenschaftlich. Anfang des Jahres stellte sie ihre Dissertation mit dem Titel "Die Bedeutung des muslimischen Kopftuches" fertig. Die Arbeit daran, wie auch ihre künstlerische Arbeit, musste Şahin für längere Zeit unterbrechen, als sie 2008 an einer schweren Depression erkrankte. "Ich glaube, ich bin krank geworden bin, weil die Gesellschaft nicht bereit ist für eine Frau, die mit einer stark sexualisierten Ausdrucksweise arbeitet", meint Şahin rückblickend im Gespräch mit dieStandard.at, in dem sie auch erklärt, warum die Beschäftigung mit dem Tragen von Kopftüchern und ihre stark sexualisierten Auftritte als Rapperin nur auf den ersten Blick ein Widerspruch sind.

dieStandard.at: Sie haben kürzlich Ihre Dissertation fertiggestellt. Worum geht es darin?

Şahin: Ich habe mich mit der Kopfbedeckung, dem äußeren Erscheinungsbild, aber auch den inneren Werten - wie etwa Religiosität oder Einstellung zur Emanzipation - von jungen Musliminnen in Deutschland beschäftigt. Dabei war mir ganz wichtig, die Frauen selbst sprechen zu lassen. Ich habe sie über Religion und Mode interviewt, seit wann sie das Kopftuch in dem oder dem Stil tragen. Schließlich habe ich sie auch noch fotografiert, um zu schauen, wie und ob das Gesagte und die äußere Erscheinung korrespondieren.

Ich habe sie auch in verschiedensten Zusammenhängen abgebildet - bei ihrer Arbeit oder in der Moschee. Ich wollte damit die Vielfalt aufzeigen, wie sich junge Frauen der zweiten und dritten Generation stylen.

dieStandard.at: Welche Ergebnisse Ihrer Arbeit waren für Sie besonders eindrücklich?

Şahin: Es hat sich gezeigt, dass diese jungen Frauen sehr tough sind. Sie wollen ihre Religion ausüben und beanspruchen, das auch in Deutschland tun zu können. Die meisten der Kopftuchträgerinnen sprachen sich übrigens deutlich gegen den Ganzkörperschleier aus. Mir fiel auch sehr stark auf, dass diese jungen Frauen generell ein großes Wissen darüber haben, was sie tun, wenn sie ein Kopftuch tragen.

Auch spannend fand ich, dass sehr modisch gekleidete Kopftuchträgerinnen, etwa in High Heels und enger Kleidung, deshalb nicht weniger religiös sind, eher im Gegenteil. Gerade diese Gruppe folgte sehr rigoros bestimmten Regeln, etwa keinen Sex vor der Ehe zu haben.

dieStandard.at: Warum haben Sie sich überhaupt für das Thema interessiert? Von Ihrer künstlerischen Arbeit her wäre nicht sofort auf Ihr Interesse für Kopftuchträgerinnen zu schließen.

Şahin: Ich bin als alevitische Muslimin in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert. Ich interessiere mich generell für muslimisch sozialisierte Frauen in Deutschland, weil das eine diskriminierte Randgruppe ist, auch innerhalb der migrantischen Gruppen in der Bundesrepublik.

Ich selbst wurde bei Radio Bremen, wo ich als Moderatorin arbeitete, aufgrund meiner äußeren Erscheinung rausgeschmissen. Kopftuchträgerinnen werden ja auch ständig wegen ihres Äußeren diskriminiert. Sie werden nicht nur von Deutschen schief angesehen, das passiert ihnen auch innerhalb ihrer Communitys. Letztens habe ich mir auch anhören müssen, warum ich meine wertvolle wissenschaftliche Arbeitszeit mit solchen Leuten verschwendet habe. Das zeigt, von wie vielen Seiten diese Frauen diskreditiert werden.

dieStandard.at: Sie sprechen im Zuge Ihrer künstlerischen Arbeit von "Vagina-Style" oder "Bitchism" - was bedeutet das?

Şahin: In meinem Buch "Bitchism", das im Herbst erscheint, schreibe ich, dass es Feminismus nicht nur für bestimmte Frauen geben darf, etwa nur für Deutsche, sondern für alle Frauen; für russischstämmige, polnischstämmige, türkischstämmige oder arabischstämmige. Sie alle haben kulturspezifische Probleme, was von Leuten wie Alice Schwarzer zu wenig thematisiert wird. Mit "Bitchism" wollte ich die feministische Absicht hinter meiner Arbeit verdeutlichen. Vieles meiner künstlerischen Arbeit wurde missverstanden, auch absichtlich - und ich wurde als Verrückte oder Schlampe beschimpft.

Es ist gesellschaftlich selbstverständlich, dass Frauen ihre Fresse halten. Doch diese Unterwerfung ist bei Kopftuchträgerinnen nicht in größerem Maße verbreitet: Sie achten sehr genau darauf, dass ihr Partner dasselbe machen muss wie sie selbst, zum Beispiel, dass auch er als "Jungfrau" in die Ehe geht. Das ist Emanzipation. Sie sieht zwar etwas anders aus - aber diese Frauen setzen da an, wo sie können. Ich sage nicht, dass es keine unterdrückten Kopftuchträgerinnen gibt, aber das ist tatsächlich eine Minderheit. 

Zur Frage, mit welchem Feminismus ich mich identifiziere: Ich finde, meine Arbeit hat sehr vieles Neues dabei und radikale Ansätze. Für mich ist es zwar eindeutig Feminismus, doch ich nenne es "Bitchism" oder "Vagina-Style" - damit soll das Weibliche symbolisiert und gestärkt werden. Aber ich finde natürlich auch in Büchern wie Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht" vieles für mich.

dieStandard.at: Ihr "Bitchism" erinnert auch an die "SlutWalks".

Şahin: Ich würde eher sagen, die "SlutWalks" erinnern mich an meine Bitchism-Philosophie. Schließlich mache ich schon seit über zehn Jahren Musik und Kunst, die sich an sexualisierten Stilmitteln bedient, die "SlutWalks" hingegen kennt frau erst seit letztem Jahr in Deutschland! Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich finde es gut, wenn Frauen in Dessous oder nackt auf die Straße gehen und für ihre sexuelle Selbstbestimmung kämpfen. So plane ich auch sogenannte "BitchWalks" zu der Veröffentlichung meines "Bitchism"-Buchs im Oktober.

dieStandard.at: Sei meinten, Ihre Kunst wurde oft missverstanden. Sie bedienen sich für ihr Styling sehr konventioneller softpornografischer Bilder, die das Unverständnis, dass es sich dabei um eine feministische Intention handelt, sicher forciert haben, oder?

Şahin: Ja, diese Bilder machen es sicher schwieriger, meine Intention klar zu vermitteln. Ich hatte ja eine sehr schwere Depression und habe sehr viel über mein Leben und meine Vorstellungen nachgedacht. Ich habe für mich festgestellt, dass ich das nur so rüberbringen kann und es auch nur so will, weil ich die Welt teilweise so pervers finde. Die Leute, die sich über meine Performance aufregen, sind auch meist die, die Scheiße am Stecken haben. Das provoziert mich und macht mich sehr wütend. Ich kann diese Wut nur durch diese enorme Sexualisierung ausdrücken und kompensieren.

dieStandard.at: Denken Sie im Nachhinein - in Hinblick auf Ihre Depression -, dass Ihnen der intensive Einsatz Ihres Körpers oder der mediale Umgang und die Rezeption Ihrer Arbeit doch zu sehr zugesetzt haben?

Şahin: Es kostet grundsätzlich Kraft, wenn man sich in die Medienwelt begibt und versucht, Dinge auszudrücken. Vor allem wenn man so extrovertiert auftritt wie ich, passiert das natürlich unter großem Einsatz.

Ich hatte zum zweiten Mal eine schwere Depression. Jetzt habe ich viel weniger Medienkontakte als vor drei Jahren, ich musste da eine Grenze ziehen und mich eine Zeit lang nur damit beschäftigen, wie ich das überlebe und wie es nach der Depression weitergehen kann. Natürlich hatte meine Medienpräsenz als Lady Bitch Ray auch damit zu tun, aber ich verwehre mich dagegen, dass ich krank geworden bin, weil ich Kunst gemacht habe oder Lady Bitch Ray war. Ich glaube eher, dass ich krank geworden bin, weil die Gesellschaft nicht bereit ist für eine Frau, die mit einer stark sexualisierten Ausdrucksweise arbeitet.

Jetzt habe ich MitarbeiterInnen, die mir helfen, alles so zu gestalten, wie ich es haben will. Ich will nicht, dass mit mir etwas gemacht wird. Früher war mein Terminplan voll mit Dingen, die ich gar nicht machen wollte - so etwas macht krank.

dieStandard.at: Inwieweit ist das Bild Ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit wirklich kontrollierbar?

Şahin: Die Rezeption kann man nicht kontrollieren, das will ich auch gar nicht. Aber ich kann kontrollieren, was ich machen will. Es gibt viel zu wenige KünstlerInnen, die wirklich machen, was sie wollen. 

dieStandard.at: Von wem werden wir in nächster Zeit mehr zu hören bekommen: von der Künstlerin Lady Bitch Ray oder von der Wissenschaftlerin Reyhan Şahin?

Şahin: Ich denke, vor allem von der Wissenschaftlerin, doch auch von Lady Bitch Ray als Vollendung des Ganzen - ich bin einfach beides. Nun erscheint bald mit "Bitchism" mein neofeministisches Aufklärungsbuch, und ich arbeite an einem neuen Song. Und im Juni fange ich mit einem Forschungsprojekt an, aufbauend auf meiner Dissertation. Wenn ich Kunst mache, kann ich auch besser an meiner Forschung arbeiten und nachdenken. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 13.5.2012)