"Die Vermischung religiöser Werthaltungen mit einer organisierten Veranlagungspraxis auf den Finanzmärkten ist eine konsequente Fortführung des Backlashes gegen Errungenschaften der Frauenbewegung beziehungsweise feministischen Positionen", meint die IHS-Ökonomin Karin Schönpflug.

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Anteil der Kunden in Prozent, die die jeweiligen Ausschlusskriterien verwenden.

Sreenshot: www.oekom-research.com

Die Finanzkrise von 2008 hat das Image der Banken in den Keller rasseln lassen und SparerInnen und AnlegerInnen vor Augen geführt, wie entfesselt und schnell das Ersparte im Nirwana verschwindet. Vom daraus entstandenen Misstrauen gegenüber etablierten Investments profitieren nun Banken, die sich und die Welt wieder ins rechte Licht rücken wollen: Hinter dem Begriff "Socially Responsible Investments" verbergen sich "ethische Investments" in Form von Aktien, Sparbüchern und Fonds. In Österreich ist der Markt derzeit klein, doch er wächst konstant. Der Anteil liegt bei rund zwei Milliarden Euro, das sind 1,5 Prozent des Gesamtvolumens.

Ethische Investments zeichnet aus, dass ausschließlich in Unternehmen investiert wird, die nachhaltig, ökologisch und sozial agieren. Als Ausschlusskriterien gelten etwa Firmen, die Arbeitsrechtsverletzungen begehen, Waffen produzieren oder generell Menschenrechte verletzen. Aber auch Abtreibung und Verhütung spielen in dieser Produktpalette eine Rolle.

Sozialethik der Kirche

Mit ethischen Anlagen im Geschäft ist etwa die kirchennahe Bank Schelhammer & Schattera. "Unsere Anleger können sich darauf verlassen, dass ihr Investment auf Kulturverträglichkeit, Sozialverträglichkeit und Naturverträglichkeit hin eingesetzt wird", erklärt Robert Fochler, zuständig für Privatbanking. Für die Bank sei es "aufgrund der Sozialethik der katholischen Kirche naheliegend, auch Abtreibungsprodukte am Finanzmarkt nicht zu fördern", so Fochler gegenüber dieStandard.at.

"Als Verstoß gilt die Produktion von Pharmazeutika, die ausschließlich zur Durchführung von Abtreibung entwickelt wurden. Als Verstoß gilt auch der Betrieb von Kliniken, in denen Abtreibungen durchgeführt werden", führt der Banker ihre Definition aus. Ein klassisches Beispiel für den Ausschluss sei die in Bad Neustadt an der Saale ansässige Rhön-Klinikum-AG, die in ganz Deutschland Schwangerschaftsabbrüche anbietet.

Investment bei Raiffeisen

Doch die kirchennahe Bank ist mit diesem Ausschlusskriterium nicht allein: Klaus Glaser von Raiffeisen Capital Management erklärt, dass im "Raiffeisen-Ethik-Aktien-Fonds" Ausschlusskriterien wie Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen, Kernkraft bis hin zu Abtreibung und Embryonenforschung angewendet werden - letztere betreffen etwa die Pharmabranche stark. "Das sind eben Werte, die wir vertreten", führt er aus. Bei Raiffeisen ist dafür ein unabhängiger und ehrenamtlich tätiger Ethik-Beirat eingesetzt, der "stark einer christlich-sozialen Werthaltung verbunden ist", so Glaser gegenüber dieStandard.at.

Für die Finanzmarktexpertin Ines Fortin ist diese Praxis nachvollziehbar: "Die Kirche hat klarerweise Interesse daran, die von ihr vertretenen Werte bei Kapitalveranlagung zu berücksichtigen. Andere AnlegerInnen sollten bewusst entscheiden, ob sie in solche Produkte investieren wollen", meint die am Institut für Höhere Studien (IHS) Tätige. Besorgt zeigt sich hingegen die IHS-Ökonomin Karin Schönpflug über diese Praxis: "Diese Vermischung religiöser Werthaltungen mit einer organisierten Veranlagungspraxis auf den Finanzmärkten ist eine konsequente Fortführung des Backlashes gegen Errungenschaften der Frauenbewegung beziehungsweise feministischen Positionen".

Ethisches Rating

Der Ethik-Beirat von Raiffeisen ist jedoch nicht die einzige Instanz, die für ethische Richtlinien am Finanzmarkt sorgt. Die von Schönpflug angesprochene organisierte Veranlagungspraxis wird von der in München und Paris sitzenden Oekom Research AG mit konzipiert. Diese hat sich auf "ethisch korrektes Anlegen" spezialisiert und zählt weltweit zu den führenden Rating-Agenturen in Sachen ethisches Investment. Dabei filtert dieser Finanzdienstleister das gesamte Finanzmarkt-Universum, um Produkte nach bestimmten Kriterien zu eliminieren und in einem zweiten Schritt das übrig gebliebene Investment-Universum hinsichtlich vordefinierter Kriterien weiter durch ein Rating (A, B, C, D) zu bewerten und zu beobachten.

In Österreich ansässige Banken, die sich von Oekom-Research ein Portfolio, also ein Anlageprodukt mit mehreren Unternehmen zur Streuung der Risiken, erstellen lassen, sind etwa die UniCredit, die Sparkasse Oberösterreich, Erste Sparinvest und eben Raiffeisen Capital Management sowie das Bankhaus Schelhammer & Schattera. Abtreibungs- und Verhütungsprodukte als Ausschlusskriterium haben Schelhammer & Schattera sowie Raiffeisen Capital Management im Portfolio ihrer Ethik-Investments. Bei Oekom-Research ist nachzulesen, dass fast 40 Prozent ihrer Kunden Abtreibung als Ausschlusskriterium für ein Investment-Portfolio wählen (siehe Grafik).

"Kirchenpolitik am Finanzmarkt"

Die Oekom-Research Kunden, also Institutionen, Banken oder Fondsgesellschaften, sind es auch, die Oekom-Research finanzieren. Auf der Kundenliste finden sich neben den österreichischen Banken etwa die Diözese Linz, die Diözese Rottenburg-Stuttgart, das Evangelische Johannesstift, die Evangelisch-Lutheranische Kirche in Bayern, die Missionszentrale der Franziskaner ein. Mehrheitlich finden sich aber weltliche Institute, beispielsweise die Deutsche Bank oder die Landesbank Baden-Württemberg, auf der Kundenliste.

Ein Kooperationspartner von Oekom-Research bei der Weiterbildung wiederum ist die Katholische Sozialakademie Österreich (KSÖ). Die KSÖ bietet Lehrgänge für ethisches Investment an, an denen neben Bankangestellten auch freie FinanzdienstleisterInnen aus ganz Österreich teilnehmen. Für die Ökonomin Schönpflug zeigt sich anhand dieser Verbindungen, dass "Kirchenpolitik gezielt an die Finanzmärkte gebracht und in reale Wirtschaftspolitik verwandelt wird."

Die zehn Gebote

Sowohl Oekom-Research als auch die KSÖ agieren in Sachen ethisches Investment nicht losgelöst von vordefinierten Richtlinien. Die dahinter stehenden Konzepte heißen "Darmstädter Definition Nachhaltiger Geldanlage" und "Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden". Letztgenannte wird bei Oekom-Research herangezogen, um ihre ethische Haltung zu definieren. In dem von Ethikern, Theologen, Ökonomen und Philosophen 1997 erarbeiteten "Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden" befinden sich dazu 850 Einzelkriterien. Zur Orientierung diente den Experten die "Wertbaumanalyse", die Werte als "Konzepte des Wünschenswerten" definiert. Die drei Äste des Baumes sind jene, auf die sich auch Raiffeisen Capital Management und Schelhammer & Schatterer berufen: "Kulturverträglichkeit", "Sozialverträglichkeit" und "Naturverträglichkeit".

Die Richtlinien des "Frankfurt-Hohenheimer Leitfadens" sind ähnlich wie die zehn Geboten im strengen Imperativ gehalten: "Du sollst keine Schmerzen verursachen! Du sollst niemanden unfähig machen! Du sollst Deine Versprechen halten! Du sollst niemandem seine Freude an etwas nehmen!" Der "Frankfurter-Hohenheimer Leitfaden" zählt mittlerweile im deutschsprachigen Raum zu den wichtigsten Ansätzen für ethische Anlagen.

Auswirkungen

Derzeit ist der Anteil an ethischen Investments noch relativ gering. Der Raiffeisen Banker erkennt aber einen Trend hin zum verantwortungsbewussten Investieren: "In den letzten zehn Jahren wuchs das Volumen deutlich an", erklärt er. "Vor allem für Pensionskassen, Versicherungen und staatliche Fonds, aber auch zunehmend Privatpersonen ist sozialverantwortliches Investieren ein Thema geworden." Mit etwa 2,5 Prozent des Gesamtvolumens liegt seine Bank beim ethischen Investment über dem österreichischen Durchschnitt. Deutlich über diesem Wert beziffert Schelhammer & Schattera den Anteil ethischer Anlageprodukte mit 15 bis 20 Prozent.

Die Ökonomin Schönpflug weist darauf hin, dass ethische Investments dieser Ausrichtung konkrete Auswirkungen auf die Realwirtschaft und im konkreten Fall auf Forschung im Bereich Abtreibung oder Verhütung haben. Unternehmen entscheiden sich schließlich für einen Börsengang, um mit diesem Geld weitere Investitionen zu tätigen - beispielsweise in Forschung und Entwicklung.

Dass der Finanzmarkt keine neutrale oder unpolitische Zone sei, werde hier ganz offenkundig, so Schönpflug und Fortin im Gespräch mit dieStandard.at. "Was sagen die Märkte? Allein diese Frage, die wir fast täglich in den Nachrichten hören, stellt den Finanzmarkt als neutrales, unantastbares Konstrukt dar, das es aber nicht ist", setzt Schönpflug nach. "Der Finanzmarkt ist weder geschlechtsneutral noch wertfrei", lautet die Analyse der Ökonomin.

"Die Katze im Sack kaufen"

"Jenseits von Abtreibungs- und Verhütungsprodukten muss beim ethischen Investment generell hinterfragt werden, in welche Unternehmen investiert wird", mahnt Ines Fortin. Wenn sich im Portfolio der Investment-Produkte Banken befinden, müssen auch diese den ethischen Veranlagungskriterien genügen. Kritik äußern beide Ökonominnen an der Informationspolitik dieser ethischen Finanzmarktprodukte: "Hier wird teilweise gerade von progressiven KundInnen die Katze im Sack gekauft, denn kaum jemandem ist bewusst, dass mittels ethischer Investments auch Anti-Abtreibungspolitik gemacht werden kann", so Schönpflug. (Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 3.6.2012)