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Von Betroffenheit hin zum Handeln kommen: Neben Innenminister Friedrich sind Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (links), Frauenministerin Schröder (Mitte) und Bildungsministerin Schavan (rechts) aufgefordert, Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt zu treffen.

Foto: REUTERS/Tobias Schwarz

Die Initiative #ichhabnichtangezeigt bahnt sich ihren Weg aus dem Web 2.0 in die Realpolitik. Seit Anfang Mai rufen die Aktivistinnen Daniela, Sabina und Inge Frauen auf, über Twitter, Facebook oder der Homepage ihr Schweigen über erlebte Gewalterfahrungen zu brechen und in der Öffentlichkeit der Sozialen Medien Raum greifen zu lassen. So laut und viel sollten die Stimmen werden, "dass Wegschauen nicht mehr geht", erklärten die Initiatorinnen gegenüber dieStandard.at.

Dass es jetzt, gut einen Monat später, Zeit für die verantwortlichen PolitikerInnen in Deutschland ist, auch hinzuschauen, folgern die Initiatorinnen der Kampagne angesichts der großen Beteiligung Betroffener auf ihrer Webseite. Täglich, ja stündlich kommen neue Tweets und Einträge von Betroffenen hinzu. Deshalb liege der Schluss nahe, "dass sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft Normalität anstatt Ausnahme ist", schreiben die drei Aktivistinnen.

"Stellen Sie sich Ihrer Verantwortung"

In einem Offenen Brief fordern sie konsequenter Weise ein Handeln der zuständigen PolitikerInnen. Frauenministerin Kristina Schröder, Bildungsministerin Annette Schavan, Innenminister Hans-Peter Friedrich und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sind darin aufgefordert, ihrerseits gegen die allgegenwärtige Problematik des sexuellen Missbrauchs anzuarbeiten. "Wir sehen dringenden Handlungsbedarf und nehmen Sie darum in die Pflicht, diesen Missstand zu beheben und sich Ihrer Verantwortung zu stellen, um künftige Straftaten zu vermeiden, Opfer kompetent zu unterstützen und zu einem aufgeklärten Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein beizutragen", heißt es in dem Brief.

Autonome Frauenarbeit stärken

Schröders Ministerium müsse vor allem mehr Aufklärungsarbeit zur Entmystifizierung sexueller Gewalt leisten. Es gäbe genügend Studien und Erfahrungen aus Frauennotrufen, Beratungsstellen und Frauenhäusern, die der Öffentlichkeit vermittelt werden sollten, so die Aktivistinnen. Auch die Rolle der Jugendämter bei der Bekämpfung sexuellen Missbrauchs in den Familien müsse gestärkt werden, was auch eine bessere Ausbildung der BetreuerInnen einschließe. Mehr Geld sollte es für Jugend- und autonome Frauenarbeit geben, die einer selbstbewussten und -bestimmten Sexualität förderlich sind, ebenso wie eine finanzielle Absicherung von Anlaufstellen für Opfer wie den Frauenhäusern.

Lehrpläne Realitäten anpassen

Das Bildungsministerium wiederum sollte die Lehrpläne modernisieren, meinen die Aktivistinnen. SchülerInnen sollten altersgemäß über selbstbestimmte Sexualität, über Homo-, Inter- und Transsexualität und die Formen sexueller Übergriffe aufgeklärt werden. 

Entsprechend geschulte Exekutive

Das Forderungspaket, das ans Innenministerium geht, ist groß und beinhaltet neben psychosozialer Begleitung von Vergewaltigungsopfern von der Anzeige bis zum Prozessende auch eine entsprechende Fortbildung, Sensibilisierung und Supervision der ExekutivbeamtInnen, die nicht selten Erstumgang mit Betroffen haben. Der Präventivarbeit durch die Polizei komme derzeit zu wenig Bedeutung zu, befinden die Aktivistinnen und urgieren deshalb auch eine finanzielle und personelle Nachbesserung.

Verjährungsfristen sollen fallen

Vom Justizministerium fordert die Kampagne die Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexueller Gewalt, "um den Opfern gerecht zu werden, die aufgrund von Traumatisierung erst nach langer Zeit dazu in der Lage sind, Anzeige zu erstatten." Daneben sollten genügend Notfallambulanzen zur anonymen Spurensicherung eingerichtet werden, um Opfern eine spätere Anzeige, die nicht unmittelbar nach der Tat passiert, zu ermöglichen. Die Forderungen, die im Rahmen des deutschen "Feministischen Juristinnentages" letztes Jahr formuliert wurden, greifen die Aktivistinnen ebenfalls auf.

"Diese Forderungen sind nur der Anfang dafür, um sexualisierte Gewalt einzudämmen", schreiben die Initiatorinnen zum Schluss ihres Offenen Briefs: "Um einen Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein herbeizuführen, bedarf es weiterer Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und Förderung von NGOs, die sich dieses Themas annehmen." (red, dieStandard.at 12.6.2012)