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Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan schlägt mit Vergleichen wie etwa zwischen Abtreibung und Mord und Sprüchen wie "Frauen sollten drei Kinder haben" um sich.

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"Jede Abtreibung ist ein Uludere": Mit diesem Ausspruch hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Mai die Debatte um ein faktisches Abtreibungsverbot in der Türkei ins Rollen gebracht.

Nahe dem Dorf Uludere waren bei einem Fehlbombardement der türkischen Armee nahe der irakischen Grenze im vergangenen Dezember 34 Menschen ums Leben gekommen. Die Debatte über diesen Luftangriff setzte der Regierung in den letzten Monaten mehr und mehr zu, zumindest bis jetzt. "Kein Mensch spricht jetzt noch von Uludere", erklärt Bihter Somersan gegenüber dieStandardat. Wie viele andere Frauenaktivistinnen ist sie der Ansicht, dass hinter dem überraschenden Vorschlag Erdogans eigentlich ein Ablenkungsmanöver steckt.

Erdogan sei es damit gelungen, das nationale und internationale Interesse auf die seit 1983 geltende Fristenregelung zu lenken. Die zehn Wochen als Frist für einen legalen Abbruch sollen nach Vorstellung der Regierung auf vier Wochen gekürzt werden, und das auch noch schnell: Noch vor der parlamentarischen Sommerpause im Juli soll das Gesetz beschlossen werden.

Gesamte türkische Frauenbewegung aktiv

Schnell waren allerdings auch die türkischen Feministinnen. Die Initiative Say No Abortion Ban, mit der sich auch die Politikwissenschafterin Somersan gegen die Gesetzesänderung einsetzt, hat mittlerweile mehr als 55.000 Unterschriften von Einzelpersonen gesammelt, 650 Organisationen haben unterschrieben. "Die gesamte Frauenbewegung der Türkei ist vertreten", freut sich Somersan über das breite Engagement.

Erdogans Aussagen und sein Vorhaben waren ein Schock für die türkischen Feministinnen, erzählt sie. Schließlich gab es 2004 in der Türkei eine große Strafrechtsreform, doch damals ist niemand auch nur auf die Idee gekommen, die Abtreibungsrechte einzuschränken, "Frauenrechte blieben unangetastet". Daher gebe es nun eine große Angst, dass mit dieser Maßnahme ein massiver Rückschritt für Frauenrechte beginnt.

"Die Rhetorik der türkischen Regierung geht in die Richtung, dass Abtreibung nicht verboten, sondern eingeschränkt werden soll. Doch die geplante Reduktion von den ersten zehn Schwangerschaftswochen auf vier kommt de facto einem Verbot gleich. Viele Frauen wissen in der Zeit noch gar nicht, dass sie schwanger sind", so die Politikwissenschaftlerin.

Forderungen gehen viel weiter

Somersan und ihren Mitstreiterinnen von Say No Abortion Ban reicht es nicht, die geplante Gesetzesänderung zu verhindern; sie wollen die aktivistische Gunst der Stunde für mehr nutzen. "Wir fordern eine Erweiterung der bestehenden Fristenregelung auf zwölf Wochen." Auch die Regelung, dass eine verheiratete Frau eine Einwilligung des Ehemannes vorlegen muss, soll abgeschafft werden, denn: "Es ist unser Körper, deshalb ist es unsere Entscheidung".

Beim Thema Verhütung müsse sich ebenfalls einiges tun. Verhütung werde noch immer den Frauen zugeschoben, im Zuge des geplanten Verbotes sei auch immer wieder davon die Rede, Frauen würden Abtreibung als Verhütungsmethode missbrauchen: "Es heißt, die Frauen würden nur freie Abtreibung wollen, damit sie sorglosen Sex haben könnten", sagt Somersan. Eine weitere Forderung von Say No Abortion Ban besteht somit darin, dass endlich Maßnahmen gesetzt werden, dass auch Männer für die Verhütung Verantwortung übernehmen.

Mindestens drei Kinder

Erdogan ließ in den vergangenen Wochen nicht nur mit dem Vergleich zwischen Mord und Abtreibung aufhorchen, ihn stört auch die hohe Zahl an Kaiserschnitten an türkischen Kliniken. Seine Kritik daran begründete er mit einer gezielten Verschwörung gegen ein "gesundes Bevölkerungswachstum", denn schließlich könne eine Frau nach einem Kaiserschnitt höchstens ein weiteres Kind bekommen. "Aussagen wie diese haben keine wissenschaftliche Basis", so Somersan, für die Aussagen Erdogans wie "Jede Frau soll drei Kinder haben" skandalös sind.

In vielen türkischen Krankenhäusern würden Kaiserschnitte normalen Geburten vorgezogen, das hat laut Somersan unter anderem einen klassenspezifischen Aspekt: Wenn Frauen das Geld und die Wahl haben, entscheiden sie sich oft für einen Kaiserschnitt. Erdogans Kritik daran habe schlicht einen ökonomischen Aspekt, meint Somersan. Ein Kaiserschnitt sei eine Operation, die einfach aufwendiger sei als eine normale Geburt - "es geht rein um Kostenreduzierung".

Weitere Proteste geplant

"Der Ministerpräsident lässt gern Sprüche los, ohne sich zu beraten. Doch die türkische Regierung weiß sehr gut, dass man sich mit Frauenrechten nicht spielen sollte. Der Feminismus ist eine zu starke soziale Bewegung und der internationale Druck wird bei Einschränkungen von Frauenrechten rasch sehr groß", sagt Somersan. Somit ist für sie klar, dass der lautstarke Protest weitergehen muss.

Nach den bisherigen Demonstrationen von Frauenrechtsorganisationen und Feministinnen in der Türkei ist noch keine Ende der Proteste abzusehen. Am Freitag ist eine weitere Demonstration in Istanbul geplant, am darauffolgenden Sonntag sollen gleich zwei in Istanbul und Ankara gleichzeitig stattfinden. Ihre Petition gegen die Pläne der Regierung Erdogan werden die AktivistInnen von Say No Abortion Ban nun doch nicht am Freitag schließen, sondern möglicherweise generell offen lassen und weiter Unterschriften sammeln.

Anfang kommender Woche wird es von Say No Abortion Ban eine öffentliche Erklärung an die zuständigen MinisterInnen geben. Schließlich werden auch noch fünf weitere Organisationen Briefe an mehrere MinisterInnen schreiben, darunter wird natürlich auch einer für Gesundheitsminister Recep Akdag sein. Dieser erklärte am Dienstag, er wolle einen "Mittelweg zwischen dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen" und den "Rechten ungeborener Kinder" finden.

Doch für Somersan ist klar: Beim Selbstbestimmungsrecht für Frauen gibt es keinen Mittelweg. "Falls es ein Verbot wirklich geben wird, wird die Abtreibung in die Illegalität getrieben. Die Gesundheit von vielen Frauen steht dann auf dem Spiel - das müssen wir verhindern. Daher werden wir nicht aufhören, bis diese Maßnahmen vom Tisch sind." (beaha, dieStandard.at, 14.6.2012)