"In der Auseinandersetzung mit den Frauen und den NGOs bekomme ich halt schon auch mit, dass wir das Thema ideologisch nicht lösen werden, und deshalb lautet die Frage für mich: Wie können wir die Prostituierten bestmöglich absichern", so Sandra Frauenberger, Frauenstadträtin in Wien.

Foto: Regine Hendrich

Seit zwei Jahren beschäftigt sich die Wiener Frauenstadträtin Sandra Frauenberger als SPÖ-Politikerin mit dem Thema Prostitution. Initiiert hat sie inzwischen ein neues Prostitutionsgesetz, das ihr auch einige Kritik einbrachte. Frauenberger jedoch sieht es als "erfolgreiches Gesetz". Nachdem der Oberste Gerichtshof (OGH) Ende Mai urteilte, Entgelt für Sex sei nicht generell sittenwidrig, forderte Frauenberger prompt einen bundesgesetzlichen Rahmen für Prostitution in Österreich.

Doch wie soll dieser Rahmen aussehen? Was bedeutet das Fallen der Sittenwidrigkeit für Prostituierte? Wird Österreich dem deutschen Modell der Liberalisierung folgen? Frauenberger schildert im Gespräch mit dieStandard.at ihre Gratwanderung zwischen genereller Ablehnung von Prostitution und dem Bedürfnis, den Prostituierten einen möglichst guten arbeitsrechtlichen Rahmen zu bieten.

dieStandard.at: Sie haben Ende Mai im Wiener Landtag davon gesprochen, dass "das Prostitutionsgesetz in Wien ein sehr erfolgreiches ist". Woran messen Sie diesen Erfolg?

Frauenberger: An drei Faktoren messe ich das. Es war uns wichtig, dass wir eine Regelung für die Straßenprostitution finden. Die andere Sache war, einen Beitrag für die Sicherheit der Frauen zu leisten. Da haben wir etwa die Erstanmeldung für Prostituierte erarbeitet und Projekte gegen Menschenhandel initiiert. Und wir haben das Ziel gehabt, die Frage in den Lokalen zu regeln. Bis auf das, dass wir noch keine Erlaubniszonen haben, hat es eigentlich sehr gut funktioniert.

dieStandard.at: Sie haben das Thema Sicherheit angesprochen. Der Verein LEFÖ bemängelt den erschwerten Kontakt zu Prostituierten seit Inkrafttreten des Gesetzes, es fehle auch an Infrastruktur. Prostituierte wurden mit dem Gesetz eigentlich unsichtbar gemacht. Auch die Freier wurden dadurch unsichtbar. Kommt das Gesetz den Freiern dadurch nicht sehr gelegen?

Frauenberger: Wir haben extra die Freierbestrafung eingeführt. Sie sprechen hier einen Punkt an, der eigentlich in der gesamten Auseinandersetzung sehr oft außer Acht gelassen wird. Wir reden immer nur von den Prostituierten. Aber solange es Freier gibt, wird es die Prostitution geben. Durch die Freierbestrafung haben wir ein Instrument, um das auch ein Stück weit zu lösen. Man muss auch immer schauen, was ein Landesgesetz kann und was nicht. Wir haben auch nach wie vor die Sittenwidrigkeit, auch wenn es jetzt das OGH-Urteil dazu gibt.

Gemeinsam mit NGOs wie Sophie und LEFÖ haben wir uns gefragt, was wir tun sollen. Dann haben wir den Regelungsgegenstand Wohngebiet gefunden. In dieser Steuerungsgruppe, die das Gesetz begleitet, wurden Kriterien erarbeitet, die besagen, wo frau sicher arbeiten kann. Mit all dem Konfliktpotenzial, das der Prater bietet, ist der Prater für die Prostituierten geblieben. Als Gesetzgeberin kann ich einem Bezirk keine Zone oktroyieren. Dazu brauche ich den Bezirk, und die stellen sich derzeit nicht gerade um Erlaubniszonen an.

dieStandard.at: Die Sparte Tourismus der Wirtschaftskammer äußert sich auch sehr zufrieden über das Gesetz: "Der Prater gehört wieder den Familien", "Der Tourismus blüht wieder", heißt es. Galt es, mit dem Gesetz der Wirtschaft zu dienen?

Frauenberger: Ich kenne diese Aussendung der Wirtschaftskammer. Die heften sich das Gesetz jetzt auf die Fahnen. Aber eigentlich hat der Bezirk darum gekämpft. Der zweite Bezirk hat sich als sehr solidarischer Bezirk erwiesen. Als Frauen da noch tagsüber standen, hieß es, dass Familienväter, obwohl sie mit Kindern unterwegs waren, von Prostituierten angesprochen wurden. Wie oft das passiert, weiß ich natürlich nicht.

dieStandard.at: Das ist eine Frage des Blickwinkels: Wie oft werden Frauen von Männern in Autos belästigt, die einen Kindersitz auf der Rückbank haben?

Frauenberger: Das ist so eine Sache. Wir wissen ja, dass Straßenprostitution in erster Linie über das Auto passiert. Ich weiß, dass Prostitution eine sehr besetzte Diskussion ist, daher wird es rund um dieses Gesetz nie Ruhe geben. Was ich versucht habe zu tun, ist, einen Rahmen zu setzen. Da ist jetzt einmal viel gelungen und einiges läuft nicht so, wie ich mir das vorstelle.

dieStandard.at: Was läuft nicht nach Ihren Vorstellungen?

Frauenberger: Die Dynamiken im Prater sind nicht absehbar. Es gibt ethnische Konflikte unter den Frauen. Es gibt eine Art Verdrängung von Frauen, die gehandelte Frauen sind, die jetzt überhaupt nicht mehr nach Wien kommen.

dieStandard.at: Für viele frauenpolitische Beobachterinnen bietet sich ein paradoxes Bild: Während auf der einen Seite viel getan wird, um Frauen beispielsweise in börsennotierte Unternehmen zu bringen, werden Prostituierte verdrängt und unsichtbar gemacht. Wie würden Sie diese Art der Frauenpolitik beschreiben?

Frauenberger: Nun, erstens einmal gibt es ein ganz klares frauenpolitisches Ziel, und das gilt von der Frau, die sozial absolut schwach ist, bis zu der Frau, die in einer Top-Position ist, nämlich, dass Frauen sicher, selbstbestimmt und unabhängig in dieser Stadt leben können. In meiner feministischen Reflexion gilt das besonders für sozial schwache Frauen - und in 99,9 Prozent der Fälle zählen auch Prostituierte dazu.

In Wien haben wir derzeit 2.758 registrierte Prostituierte, etwa 150 davon arbeiten auf der Straße. Worauf ich schauen möchte, ist, dass die Situation für Straßenprostituierte akzeptabel ist. Derzeit haben wir die Situation, dass sie sich gegenseitig durch die starke Konkurrenz die Preise zusammenhauen. Es gibt Frauen, die machen Jobs um zehn Euro. Das ist nicht nur frauenpolitisch, das ist gesamtgesellschaftlich furchtbar.

dieStandard.at: Nach dem Urteil des OGH, Entgelt für Sex sei nicht generell sittenwidrig, forderten Sie einen bundesgesetzlichen Rahmen für Prostitution. Was schwebt Ihnen da vor? Welche Position nehmen Sie hier ein?

Frauenberger: Wenn die Sittenwidrigkeit fällt, müssen wir uns darüber unterhalten, was Prostitution dann ist. Ist es dann ein Arbeitsverhältnis oder ist es ein Gewerbe? Das gilt es einmal zu klären. Ich tendiere dahin, dass man die Frauen arbeits- und sozialrechtlich gut absichert. Wir haben zwar neun verschiedene Landesgesetze, aber zur Absicherung brauchen wir eine gemeinsame Vorgangsweise.

dieStandard.at: Denken Sie an eine Liberalisierung nach deutschem Vorbild?

Frauenberger: Auch dort gibt es Probleme. Die haben Prostitution zwar liberalisiert, aber die wenigsten Frauen sind da hineinoptiert. Wir sind mit den deutschen Kolleginnen in engem Kontakt und wissen, dass da vieles nicht gut gelaufen ist. Daher haben wir uns überlegt, dazu auch eine Enquete zu machen. Ich glaube, das Gesetz muss man sehr wohl mit den Prostituierten selbst erarbeiten.

dieStandard.at: Das ist aber auch ein Zugeständnis oder die Position, dass es okay ist, wenn sich Männer Frauensex kaufen und also die Frau eine Ware ist.

Frauenberger: Das ist eine sehr heftige Auseinandersetzung. Mit dieser Frage plage ich mich ganz massiv. Andererseits, in der Auseinandersetzung mit den Frauen und den NGOs bekomme ich halt schon auch mit, dass wir das Thema ideologisch nicht lösen werden, und deshalb lautet die Frage für mich: Wie können wir die Prostituierten bestmöglich absichern? Wenn man es ideologisch diskutiert, ist jede Art der Regelung ein Zugeständnis an Prostitution und ein Bekenntnis zu Ausbeutung. Das ist eine Gratwanderung.

Diese von Ihnen angesprochene Ideologisierung des Themas würde ich gerne als Diskussion führen, aber gleichzeitig muss es auch den Ruf nach einer Regelung geben. Die Fragen nach Arbeit, Ausbeutung und Abhängigkeit sind große Fragen für mich. Wenn ich von Arbeitnehmerinnen spreche, muss ich auch fragen, wer der Arbeitgeber ist. Der Freier? Der Zuhälter?

dieStandard.at: Einen anderen ideologischen Weg haben wie so oft die SchwedInnen eingeschlagen. Als das Gesetz 1999 unter dem Namen "Kvinnofrid" (Frauenfrieden) auf den Weg gebracht wurde, hieß es von der Schriftstellerin Maria-Pia Boethius: "Niemand soll die Sexualität eines anderen Menschen, die von Frauen, Männern oder Kindern, kaufen dürfen. Das passt nicht zu einer Demokratie." Die dahinterstehende Haltung ist der Versuch, die patriarchale Ordnung aufzubrechen, ebenso, dass es menschenunwürdig ist, eine Person als sexuelle Ware zu deklarieren. Warum gehen Sie mit der SPÖ nicht diesen klaren schwedischen Weg?

Frauenberger: Ideologisch kann ich dem auch zustimmen. Aber wenn wir in Wien heute Prostitution verbieten würden, würde sie trotzdem stattfinden. Sie würde illegal stattfinden und den Frauen würde es noch schlechter gehen. Aber ja, ideologisch muss der schwedische Weg auch das Ziel sein. Meine frauenpolitische Vision ist die einer demokratischen, gleichgestellten Gesellschaft. Das impliziert auch, dass es eigentlich keine Prostitution geben darf. (Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 24.6.2012)