Ein Text von Anne-Marie Slaughter kursiert gerade im Internet und versetzt die Frauenwelt in Aufruhr, zumindest Teile davon.

Slaughter beschloss kürzlich, nach Ablauf ihres zweijährigen Vertrages als erste weibliche Direktorin des politischen Planungsstabs im amerikanischen Außenministerium keine Verlängerung ihrer Position anzustreben. Stattdessen kehrte sie wieder in ihren alten Beruf zurück, den sie besser mit ihrem Familienleben vereinbaren kann. Ihre Entscheidung trieb sie an, einen Kommentar zu schreiben, warum Frauen im derzeitigen gesellschaftlichen Gefüge noch immer nicht alles erreichen können, was sie gerne wollen, vor allem dann nicht, wenn sie Karriere und Familie anstreben - "why women still can't have it all".

Nur ein Luxusproblem?

In Wahrheit leidet Slaughter an einem Luxusproblem. Statt im Außenministerium arbeitet sie nun wieder Vollzeit als Professorin an der renommierten Universität Princeton mit Anstellung auf Lebenszeit. Slaughters spezifisches Dilemma betrifft nur eine kleine weibliche Elite. Es spiegelt nicht die Realität von Frauen in den untersten Einkommensschichten wider. Ihre Überlegungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie treffen jedoch auch auf viele Frauen mit guter Qualifikation und Karriereambitionen zu, die aufgrund der gläsernen Decke auf der Karriereleiter zurückbleiben.

Slaughter hat und hatte es alles. Sie hatte ihren Traumberuf in der Außenpolitik gefunden und hätte, wie sie selber zugibt, Möglichkeiten gehabt, ihre Arbeitsverhältnisse in Washington so zu verändern, dass sie trotzdem in das Leben ihrer pubertierenden Söhne stärker eingebunden wäre. Sie hatte in Hillary Clinton eine Chefin, die in großem Ausmaß Rücksicht auf die familiären Verhältnisse ihrer Angestellten nahm. Ihr Ehemann, ebenfalls Akademiker, hatte einen flexibleren Arbeitsalltag und konnte daher den Löwenanteil der Aufgaben in der Kindererziehung und Familienarbeit übernehmen.

Aufgrund der geografischen Nähe zu ihrer Familie und der Aussicht auf mehr Flexibilität in ihrer Zeitplanung entschloss sie sich jedoch, zu ihrer ehemaligen Position in Princeton zurückzukehren, auch weil sie sich ohnehin nur befristet auf zwei Jahre für ihren Abstecher in den öffentlichen Dienst beurlauben lassen konnte. Sie wechselte also von einer Spitzenposition in eine andere Spitzenposition, gleichfalls prestigereich und arbeitsintensiv, in der sie allerdings weniger Abstriche im familiären Bereich machen muss. Ihr Beispiel lässt nicht darauf schließen, dass Frauen nicht alles erreichen können.

Muttergefühle

Dennoch diskutiert Slaughter die grundsätzliche gesellschaftliche Dynamik, die Frauen bis heute nur selten in die Spitzenpositionen, die sie erreicht hat, aufsteigen lässt. Hier wird ihr Kommentar nun auch wieder für die Otto-Normalbürgerin mit Karriere- und Kinderwunsch interessant. Eine von Slaughters Grundannahmen ist, dass Frauen mit Familie über einen "mütterlichen Imperativ" verfügen und daher gar nicht anders können, als ihre Prioritäten oft weg von der Karriere und hin zu den Kindern zu lenken.

Die Frage ist jedoch, warum das eine mütterliche, aber kein elterliche Eigenschaft ist. Verfällt sie wieder in die Argumentation von Geschlechterstereotypen? Warum vertraut sie nicht darauf, dass ihr Mann mit den pubertären Probleme ihrer Sprösslinge ebenso gut umgehen kann wie sie? Warum hat sie als Frau das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein, wenn ihr Mann doch bereit ist, die Erziehungsaufgaben zu übernehmen? Und warum, im Gegensatz dazu, haben die wenigsten Männer ein Problem damit, die Erziehung der gemeinsamen Kinder ihren Frauen zu überlassen, um sich stattdessen auf ihre Karriere und ihre Rolle als Ernährer zu konzentrieren?

Die Situation in Österreich und Lösungswege

Diese Fragen müssen angegangen werden, um eine Chancengleichheit für Männer und Frauen zu erreichen - besonders in einer Gesellschaft wie der österreichischen, wo "Feministin" als Schimpfwort gebraucht wird und die männliche Form, "Feminist", praktisch nicht existiert. Firmen gehen hierzulande bei Vorstellungsgesprächen davon aus, dass Frauen, wenn sie einmal Kinder haben, zuerst monate- oder jahrelang in die Karenz verschwinden und auch danach oft in der Arbeitszeit nicht zur Verfügung stehen, weil ihnen die Hauptaufgaben der Erziehung zufallen. In diesem Land liegt die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen weiterhin stark über dem Durchschnitt der westlichen Welt. Ganztägige Kinderbetreuung, besonders für Kleinkinder, ist Mangelware, und Frauen, die sie dennoch in Anspruch nehmen (wollen), werden als Rabenmütter verunglimpft.

Beispiel Island

Es geht jedoch auch anders, zum Beispiel in Island. Eine isländische Freundin machte mich kürzlich darauf aufmerksam, dass in ihrer Heimat beide Elternteile zu jeweils gleich langem "Elternschaftsurlaub" berechtigt sind. Neben jeweils drei Monaten nicht übertragbarer Karenz für Mutter und Vater stehen ihnen gemeinsam noch einmal drei Monate zu, die von beiden Elternteilen nach Gutdünken aufgeteilt werden können. Während dieser insgesamt neun Monate werden 80 Prozent des monatlichen Einkommens weitergezahlt. 90 Prozent der Väter nehmen dieses Recht in Anspruch, um Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.

Im Idealfall hat diese Politik eine Vielzahl positiver Auswirkungen auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - für Frauen so wie für Männer. Der Arbeitgeber weiß bereits beim Bewerbungsgespräch, dass, egal ob er einen Mann oder eine Frau einstellt, jeder von ihnen eine Auszeit nehmen wird, sollten sie Eltern werden. Diskriminierung der Frauen wird somit obsolet. Gleiche Ausfallzeiten können auch einen Gehaltsunterschied bei gleicher Qualifikation und Position nicht mehr legitimieren. Schrumpft die Gehaltsschere, fällt auch die ökonomische Logik weg, dass die Einschnitte im Familieneinkommen geringer sind, wenn die Frau zu Hause bleibt.

Darüber hinaus hat der Vater die Möglichkeit, eine gleich enge Bindung mit seinem Nachwuchs aufzubauen wie die Mutter. Das lässt in ihm vielleicht jene elterlichen Instinkte erwachen, die bisher hauptsächlich Frauen zugesprochen wurden und sie dazu trieben, ihre Karriere für ihre Familie in den Hintergrund zu stellen. Diese Politik hat auch zur Folge, dass sich Frauen auf ihre Partner in der Kindererziehung stärker verlassen können, da sich diese im Vaterschaftsurlaub die nötigen Kompetenzen angeeignet haben und daher zur Kinderbetreuung genauso qualifiziert sind wie Frauen.

Gleichzeitig verschwindet auch das Stigma der Männer, die ihre Ernährerrolle abtreten und stattdessen stärker die Erzieherrolle übernehmen wollen. Und wenn die verkrusteten gesellschaftlichen Strukturen einmal aufbrechen, dann endet vielleicht sogar jene Dynamik, aufgrund derer sich Frauen auch jetzt noch scharenweise freiwillig für schlechter bezahlte Berufe mit niedriger Qualifikation und geringen Aufstiegschancen entscheiden.

Gleichstellung und Entscheidungsfreiheit ohne Vorwürfe

Um dies zu verwirklichen, müssen Frauen und Männer zu FeministInnen werden. FeministIn zu sein bedeutet, für gleiche Karrierechancen und gleiches Gehalt für Männer und Frauen einzustehen. Es bedeutet aber auch, dafür zu plädieren, sich nicht zwischen Beruf und Familie entscheiden zu müssen, und noch weniger, sich den Ausgang dieser Entscheidung von der Gesellschaft oder der Politik diktieren zu lassen. Es ist Aufgabe der Politik, die notwendigen gesellschaftspolitischen Voraussetzungen für die Umsetzung zu schaffen, so dass diese Lebensentscheidungen von jeder und jedem selbst getroffen werden können - damit Frauen, die alles wollen, nicht mehr an den Pranger gestellt werden. (Sigrid Winkler, derStandard.at, 4.7.2012)