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Vor den iranischen Botschaften in Europa demonstrieren AktivistInnen immer wieder gegen die Verfolgung von Homosexuellen im Iran.

Foto: Reuters/MAX ROSSI

"In streng gläubigen Familien aufzustehen und zu sagen, man ist homosexuell, das kann auch gefährlich werden." Pirdawari rät Schwulen und Lesben, sich beim LSVD beraten zu lassen.

Foto: Kati Pirdawari

Der Fall der Iranerin Samira Ghorbani Danesh hat weltweit für Aufregung gesorgt: Ihr Asylantrag wurde von den deutschen Behörden mehrmals abgelehnt, obwohl ihr im Iran als Homosexuelle die Verfolgung droht. Gegen die Abschiebung der jungen Frau hat sich die gebürtige Iranerin Katayun Pirdawari vehement eingesetzt - mit zwischenzeitlichem Erfolg, die junge Frau darf vorerst bleiben. Pirdawari gehört zu den führenden Homosexuellen-AktivistInnen in der deutschen Hauptstadt. Im Interview mit Laura Wösch erläutert sie die prekäre Lage von homosexuellen Flüchtlingen in Deutschland:

dieStandard.at: Sie sind Vorsitzende des Schwulen und Lesbenverbands Berlin (LSVD) und Aktivistin. Bei Großveranstaltungen wie dem CSD informieren sie über Menschenrechtsverletzungen an Homo- und Transsexuellen Personen im Iran. Wie sieht die Lebensrealität von Homo- oder Transsexuellen heute aktuell im Iran aus?

Pirdawari: Die ist sehr prekär, denn Homosexualität ist im Iran verboten. Es gibt Gesetze, die Homosexuelle mit dem Leben bedrohen.

dieStandard.at: Gibt es eine subversive Community?

Pirdawari: Klar gibt es die. Sie versuchen sich Nischen zu schaffen und treffen sich einfach trotzdem auf Partys oder in Parks, aber in der Gesellschaft sind sie unsichtbar. Umso wichtiger ist es, auf diese Leute hinzuweisen.

dieStandard.at: Sie haben von lebensbedrohlichen Paragraphen gesprochen.

Pirdawari: Wer lesbisch ist und erwischt wird, bekommt laut Grundgesetz hundert Peitschenhiebe. Wenn eine Frau dreimal erwischt wird, droht ihr die Steinigung. Bei Schwulen ist es noch extremer muss ich sagen, da ist bei erstmaliger Anzeige die sofortige Hinrichtung angesagt. In so einem System hat die Sexualität dann natürlich nichts mehr mit Genuss zu tun. Also niemand kann seine Sexualität genießen, wenn er/sie weiß, dass er /sie deswegen gesteinigt werden könnte.

dieStandard.at: Wie sieht die gesellschaftliche Praxis aus? Diese Menschen müssen ja auch angezeigt werden.

Pirdawari: Es braucht nur vier anerkannte Männer, die einen der Homosexualität bezichtigen und schon tritt der Paragraph in Kraft. Das problematische dabei ist, wie so oft, dass das auch schnell instrumentalisiert werden kann. Also konkret, wenn ich eine/n Kolleg/in habe, den ich nicht leiden kann, dann verbuche ich ihn als schwul und dann ist er weg vom Fenster. So sieht die Praxis aus.

dieStandard.at: Gibt es auch Menschen, die sich solidarisieren?

Pirdawari: Natürlich. Manche helfen bei der Flucht. Aber das ist natürlich auch eine Geldfrage. Flucht kostet Geld und wer dieses Geld nicht hat, muss dort bleiben und abwarten.

dieStandard.at: Sie haben sich Im Fall Samira Ghorbani Daneshs sehr engagiert. Sie ist Iranierin und lesbisch - ihr Asylantrag in Deutschland wurde trotzdem abgelehnt. Werden Homosexuelle aus dem Iran nicht als politisch Verfolgte anerkannt?

Pirdawari: Das Gesetz ist sehr schwammig formuliert. Deswegen liegt es im Ermessen der Richter/innen. Das ist problematisch, denn ihr Fall ist unglücklicherweise bei einem Richter gelandet, der über die Gegebenheiten im Iran wohl nicht Bescheid wusste und ihn mit folgender Begründung ablehnte: Wenn sie sich im Iran unauffällig verhielte, könne sie wie andere Homosexuelle im Iran wunderbar leben. Er könnne ihren Freiheitsdrang verstehen, aber dies sei kein Asylgrund. Damit sagt man allen politischen AsylbewerberInnen, sie sollen sich gefälligst an das System ihres Herkunftslandes anpassen und im Schatten leben.

dieStandard.at: Laut Asylrecht muss durch ein sexualwissenschaftliches Gutachten eine irreversible homosexuelle Prägung nachgewiesen werden. Wie kann die festgestellt werden?

Pirdawari: Also das kann man natürlich nicht. Hinzu kommt, dass AsylwerberInnen oft in einem sehr homophoben Umfeld leben. Und wer auf dem Papier 'irreversibel lesbisch' ist, ist ja unter Umständen gefährdet. Aber das Einzige, was in den Köpfen existiert, ist die Vorstellung, dass diese Menschen unseren Rechtsstaat ausnutzen wollen.

dieStandard.at: Wie viele Menschen aus dem Iran beantragen in Deutschland aus diesen Gründen Asyl?

Pirdawari: Vielleicht drei bis vier Jahr im Jahr. Das sind meist sehr gut ausgebildete Leute. Wieso nimmt ein Land mit großen demografischen Problemen wie Deutschland diese Leute nicht einfach auf?

dieStandard.at: Gerade haben Sie dem Bundesinnenminister Dr. Friedrich einen offenen Brief überreicht, der von fast 2000 Personen unterzeichnet wurde. Mit welchem Inhalt?

Pirdawari: Samira kam vor ein paar Wochen auf mich zu und bat mich, ihr zu helfen. Daraufhin verfassten wir diesen Brief. Darin fordern wir Samiras Bleiberecht.

dieStandard.at: Sie sind Vorstandsmitglied des LSVD, Mitglied bei den Grünen und Amnesty International, also politisch sehr aktiv. Den offenen Brief haben sie als Privatperson unterzeichnet. Weshalb?

Pirdawari: Wenn es um Menschenrechte geht, möchte ich unabhängig sein. Den offenen Brief haben so Menschen aus allen Communities und allen Parteien unterschrieben. Das hätten sie sonst nicht gemacht.

dieStandard.at: Seit wann leben sie in Deutschland?

Pirdawari: Seit 35 Jahren. Zu meiner Familie habe ich leider keinen Kontakt mehr.

dieStandard.at: Wissen die auch nichts von ihrem Outing?

Pirdawari:  Doch mein Lesbisch-Sein wurde nicht verurteilt, aber ignoriert. Die wunderten sich eher über meinen 'unweiblichen' Kleidungsstil.

dieStandard.at: In welcher Form ware es für sie heute möglich, im Iran zu leben?

Pirdawari: Seit ich politisch aktiv bin, gar nicht mehr. 1989, bevor ich Iran-Aktivistin für Homo- und Transsexuelle wurde, bin ich als deutsche Staatsbürgerin eingereist, aber das wäre heute nicht mehr möglich. Ich habe diese Sehnsucht, aber ich würde doch lieber noch ein bisschen weiterleben.

dieStandard.at: Wie sieht ihr Leben hier in Berlin aus?

Pirdawari: Als ich hier in Berlin einmal mit meiner Freundin unterwegs war, saß da eine große Gruppe an Menschen mit muslimischer Herkunft, die mich als Lesbe beschimpft und bespuckt haben. Da wurde mir klar, warum die Menschen sich zum Beispiel an den LSVD wenden müssen, weil nämlich innerhalb der Community große Gefahren bestehen.

dieStandard.at: Weshalb ist das so?

Pirdawari: Marginalisierte Menschen geben Erniedrigungen oft weiter. Das ist aber natürlich nicht immer so. Zum Beispiel bin ich zwei von dieser Gruppe noch einmal begegnet. Die haben sich dann bei mir entschuldigt und betont, sie seien nicht homophob. Für die ist es natürlich schwierig, sich gegen die eigene Community durchzusetzen. Das braucht Aufklärungsarbeit und Beratung für Betroffene und Familien. Was glauben sie, wie schwer es ist, sich in so einer Community zu outen?

dieStandard.at: Wie schwer ist es?

Pirdawari: In streng gläubigen Familien aufzustehen und zu sagen, man ist homosexuell, das kann auch gefährlich werden. Da würde ich mich auf jeden Fall beraten lassen. Aber homophobe Gewalt erfahre ich natürlich auch von Deutschen und NichtmuslimInnen.

dieStandard.at: Was für Hilfestellungen bietet der LSVD?

Pirdawari: Es gibt zum Beispiel die Initiative Miles, die Beratung und Hilfe zur Selbsthilfe für MigrantInnen bietet. LGBT's und ihre Angehörigen können sich dort informieren.

dieStandard.at: Sie haben einmal gesagt, dass sie den immer selben Traum träumen: 'Dass wir uns vernetzen und dass alle IranerInnen in Berlin gemeinsam für ein anderes Iran kämpfen'. Gibt es dieses Netzwerk bereits?

Pirdawari: Naja, also den Traum habe ich immer noch. Als zum Beispiel Neda Soltan bei den Demonstrationen der grünen Revolution im Iran ermordet wurde, demonstrierte natürlich die Iranische Community. Aber: 100 vor der Botschaft, 50 vor dem Brandenburger Tor und 70 vor dem Europa-Center. Die Iraner_innen zusammen zu kriegen ist immer noch mein Traum, aber es klappt nicht. Ich versuche es aber natürlich weiter. (Laura Wösch, diestandard.at, 17.7.2012)