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Brüste zu vergeben? Manche Frauen haben das Gefühl, dass ihnen ihr Busen nicht mehr selbst gehört, wenn sie Mütter werden.

Foto: REUTERS/JASON LEE

Das "Times"-Cover, das um die Welt ging.

Foto: Time Magazine

"Still‘" lautete in Sachen Säuglingsernährung lange Zeit die einzige Anweisung. Frauen, die ihr Baby nicht mit ihrem Busen ernährten, erhielten höchstens noch die Frage, "Was, du stillst nicht?" Ansonsten war von den Alternativen oder auch Problemen des Stillens nichts zu hören. Das scheint sich nun zu ändern, wenn frau sich in Mainstream-Medien aber auch Blogs umhört. Auffällig viele Autorinnen fragen sich plötzlich, wem ihr Busen gehört: Dem Baby, der Natur, dem Staat oder vielleicht doch ihnen selbst?

Reiner Körper, kein Gehirn

Sabine Scholl scheint in ihrem literarischen Text (Ich frage mich ...) im STANDARD eine klare Antwort darauf gefunden zu haben. Dem Kind. "Die Mutter muss reiner Körper sein, kein Gehirn. Sie muss alles geben, darf sich nicht aufhalten im Überlegen. Ihr Körper wird eingefordert durch das Kind." Und kurz vorher: "Mein Busen ist Schlafplatz und Essen. Alles ist von ihm bestimmt."

Körperliche Selbstbestimmung und Stillen scheinen schwer zusammen zu gehen, und auch das Denken ist unter der Beschwörung des Milchflusses hinderlich: "Was Mutter zu sein bedeutet, kann die Seite des Wissens nie zureichend bestimmen. Die Trägheit, die das Denken abwehren soll - der Milchfluss und die Freude daran wollen sich sonst nicht einstellen -, lässt sich mit einem Sinn und einem Begründen nie verbinden."

Dass das Stillen nicht immer leicht gelingt, ist eine Sache. Wenn Frauen das Stillen aber kategorisch ablehnen ist das noch ein größeres gesellschaftliches Tabu. In der "Zeit" erschien unlängst ein längerer Artikel mit dem Titel "Schluss mit dem Muss". Die Autorin Jeannette Otto beklagt darin, dass angesichts der allgemeinen Stilleuphorie keine neutralen Informationen über die Alternativen, das Milchpulver, zu bekommen seien. "Kaum eine Mutter weiß, wie die Hersteller von Säuglingsnahrung arbeiten, woran sie forschen, welche Ziele sie verfolgen, wer sie kontrolliert." Frauen- und KinderärztInnen wie auch Hebammen würden unaufhörlich über Muttermilch reden.

Dass das so ist, liegt an den starken Richtlinien, die die Weltgesundheitsorganisation und diverse Organisationen der Nahrungsindustrie auferlegt haben: Diese darf keine Werbung für Produkte machen, die in direkter Konkurrenz zur Muttermilch stehen. Unter diesen Voraussetzungen ist die Grenze zwischen Information und Werbung eine Gratwanderung, auf die sich ExpertInnen nicht leichtfertig begeben.

Berührte Mütterbilder

Die Frage, ob stillen oder nicht, scheint dabei stark an das vorherrschende Mutterbild gekoppelt zu sein. "Viele Frauen haben Angst, dem Kind zu schaden, wenn die Milch aus der Flasche anstatt aus der Brust bekommt; sie empfinden sich als schlechte Mütter, die ihr Kind nicht selbst ernähren können. Das Gefühl, versagt zu haben, verfolgt manche Mutter noch nach Jahren," schreibt Otto.

Das schlechte Gewissen bei Müttern hat vor allem Elisabeth Badinter in ihrem aktuellen Buch "Der Konflikt" dekonstruiert - als Schlinge, die einem dem Naturalismus huldigende Gesellschaft gebärfähigen Frauen um die Hälse zieht. Doch neben der Fähigkeiten einer guten Mutter, ihr Kind mit ihrem eigenen Körper ernähren zu können, sind es vor allem auch die gesundheitlichen Fragen, die Frauen die Wahl zwischen stillen oder nicht erschweren.

Die Schweizer Buchautorin Nicole Althaus ortet im DER STANDARD-Interview seit den 1990ern einen zunehmenden Stilldruck: "Diverse Studien wurden damals veröffentlicht, die alle einen kleinen Vorteil der Muttermilch zutage gefördert haben. Diese Studien genossen stets die höchste mediale Aufmerksamkeit. Egal, ob sie in sozioökonomisch kontrollierten Gruppen durchgeführt wurden und auch wirklich aussagekräftig waren."Gemeint ist damit, dass die beobachteten gesundheitlichen Vorzüge bei gestillten Babys auch auf die unterschiedlichen Lebensbedingungen von sozialen Gruppen zurückgeführt werden könnten.

Die Betonung der gesundheitlichen Vorteile für das Baby würde jede Frau, die die Empfehlungen nicht erfüllt, als egoistisch abstempeln. "Jede Freiheit, die sich die Mutter nimmt, gilt als nicht gut für das Kind. Womit natürlich ein fatales Mutterbild aufgebaut wird."

Stillen oder Karriere?

Für die einen ist diese Entwicklung fatal, für die anderen selbstbestimmt. Im Zuge der Veröffentlichung von "Der Konflikt" in Deutschland wurden Stimmen laut, dass sich Frauen im Gegensatz von vor 40 Jahren bewusst und eben nicht fremdbestimmt für Familienzeit entscheiden würden. Das Argument, dass Stillen die Erwerbstätigkeit von Frauen und damit ihre ökonomische Unabhängigkeit untergraben würde, sei hingegen "von gestern". Sonja Eismann pariert in der "Jungle World" dieses Argument mit dem Schicksal der "Prenzlauer-Berg-Mütter", die nach ausgedehnter Familienzeit "verwundert feststellen, dass sich der Macker samt gutem Einkommen vom Acker gemacht hat und sie mit großen Lücken in der Berufsbiografie mit 40 plus und betreungsintensiven Kindern an den Hacken eben keinen geilen, gut bezahlten Kreativ-Job mehr angeboten bekommen."

Diskussionen in den USA

In den USA hat das Erscheinen von Badinters Buch in diesem Frühjahr ebenfalls eine starke Diskussion ausgelöst. Zusätzlich befeuert wurde sie durch das "Times"-Cover "Are you Mom enough?", das mit dem Bild der 26-jährigen Jamie Lynne Grumet, die ihren dreijährigen Sohn im Stehen stillt, illustriert wurde. In dem dazugehörigen Dossier wird das Konzept der "attached parenthood" erläutert, in dem das ausschließliche und lange Stillen eine große Rolle spielt. Vor gut 20 Jahren schrieb der Kinderarzt William Sears mit "The Baby Book" einen Bestseller, der das Konzept fest in amerikanischen Mittelklasse-Familien verankerte.

Vater Staat auf unseren Brüsten

In der deutschen Blogosphäre hat sich in den letzten Jahren eine Community gefunden, die sich dem Stillen nicht prinzipiell verwehrt, wohl aber der Vereinnahmung dieses intimen Prozesses durch Gesundheitswesen und Nation. Einen Brief an die nationale Stillkommission, eine Einrichtung, die es in allen Ländern gibt, die mit der WHO in Sachen Stillförderung zusammenarbeiten, betiteln die Autorinnen des Blogs "fuckermothers" mit "Deutschland und meine Brüste".

Dort ist zu lesen: "'‘Liebe werdende Mutter', nennst Du mich da und erklärst: 'Stillen bedeutet mehr als Ihrem Kind die beste und gesündeste Nahrung zu geben. Es ist auch Nahrung für die Seele (...).' Wichtig dabei sei auch 'die Liebe' zueinander. Ich war etwas erstaunt, dass eine ansonsten nüchterne nationale Kommission plötzlich mit solch gefühlsschwangerem Vokabular um sich schmeißt und sich nun um meine Seele und Liebe sorgt. Das wundert mich umso mehr, als die 'Nation', für die Du stehst, sich ansonsten nicht unbedingt auf diesem Gebiet hervorgetan hat. Hartz IV und Asylpolitik wirken, wenn man unbedingt die emotionale Ebene einnehmen möchte, ganz schön kalt und grausam."

Neue Bewegung

Diese und weitere Stimmen im Netz, die informiert erläutern, warum sie (nicht) Stillen wollten oder konnten, zeugen davon, dass sich emanzipierte Mütter nicht mehr hineinreden lassen wollen. Und dass sie die alleinige Versorgungsarbeit von Neugeborenen auch nicht mehr hinnehmen. Die feministische Debatte um Mütterbilder scheint als eine Art "breast wars" wieder neu entbrannt und ihre erste Forderung an die Gesellschaft lautet: "Nimm Deine Finger von meinen Brüsten." (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 2.8.2012)