Sofie Peeter, unterwegs in ihrer Nachbarschaft.

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Eine Einladung auf ein Getränk und gleich noch eine Einladung - diesmal zu einem gemeinsamen Mittagessen. Die Annäherungsversuche kommen von völlig Fremden, auf der Straße und mitten am Tag. "No - merci, no - merci", muss die junge Frau immer wieder beteuern, die im Brüsseler Stadtteil Anneessens unterwegs ist. Bei den "Du bist sexy"-, "Sexy Arsch"-, "Hure"- oder "Schlampe"-Kommentaren bleibt ihr nur, sie zu ignorieren. Sofie Peeter heißt die Filmstudentin, die diese Belästigung mit einem Film dokumentierte.

Tägliche verbale Übergriffe

Den Macho-Spießrutenlauf kennt Peeter als fixen Bestandteil ihres Alltags nur zu gut. Jeden Tag, wenn sie ihre Wohnung verlässt, begleiten sie respektlose Sprüche und drängende Einladungen auf ihrem Weg. In ihrem Film "Femme de la rue" hält sie diese täglichen verbalen Übergriffe und Belästigungen fest, indem sie sich auf ihrer Route durch die Nachbarschaft mit einer versteckten Kamera filmen lässt.

"Femme de la rue" löste ein enormes Echo aus, und infolgedessen sahen auch andere eine Gelegenheit, um auf die Problematik hinzuweisen. Zum Beispiel nutzte die französische feministische Gruppe "Osez Le Feminisme" das große Interesse an Peeters Film, um ihren eigenen Film über sexuelle Belästigung auf der Straße mit vertauschten Rollen in Umlauf zu bringen.

Feministinnen aus Frankreich betonten angesichts von Peeters Film auch, dass sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum ein universelles Problem darstellten und rigorose Gesetze nötig seien. Diesbezüglich kann sich Frankreich seit kurzem als Vorbild sehen: Erst vergangene Woche wurde im französischen Parlament beschlossen, dass sexuelle Belästigung mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann. Dass "Femme de la rue" viele Reaktionen aus Frankreich provozierte, verdankt sich auch einem kürzlich geschehenen beispielhaften Vorfall. Dieser ereignete sich nicht auf den Straßen irgendwelcher Vororte von Paris, sondern im französischen Parlament. Wohnbauministerin Cédile Duflot wurde bei ihrem Erscheinen im Parlament von einigen Abgeordneten mit "Aahh" und "Oohh" empfangen, der Grund: Sie trug ein Sommerkleid.

Jede hat eine Geschichte dazu

Die Aussage des Films "Femme de la rue", dass sexuelle Belästigung noch immer massiv vorhanden ist, untermauert auch eine Studie aus London: 43 Prozent der Frauen zwischen 18 und 34 hatten im vergangenen Jahr Erfahrung mit sexueller Belästigung gemacht. "Sexuelle Belästigung ist derart tief verwurzelt, dass sie kaum noch bemerkt wird", so Holly Dustin, Leiterin der Organisation "End Violence Against Woman", die die Studie in Auftrag gab, gegenüber dem "Guardian". Doch wenn erst einmal Gespräche über dieses Thema in Gang seien, zeige sich schnell, dass beinahe jede eine schreckliche Geschichte dazu erzählen könne, so Dustin.

Sexuelle Belästigung betrifft praktisch alle Frauen, unabhängig davon, ob sie in Brüssel, London oder Paris leben. Doch dieser universelle Aspekt von sexueller Belästigung wird in Sofie Peeters Film nicht thematisiert, wofür sie Rassismusvorwürfe erntete. Peeters zeigt in ihrem Film ihre persönliche Situation. Sie erlebt sexuelle Belästigung vorwiegend in ihrer Nachbarschaft, dem Brüsseler Stadtteil Anneessens, in dem besonders viele nordafrikanischstämmige Menschen leben. Somit sind es zum großen Teil Menschen mit Migrantionshintergrund, die Peeter als Belästiger vor der Kamera bringt. Die "taz" spricht daher von einer "diskutablen Auswahl" der gefilmten Gegend und Peeter hätte ergänzend ebenso zeigen können, wie wenig korrekt sich "Einheimische" verhalten. Peeters Entgegnung, die gezeigten Machos seien "nicht repräsentativ für die maghrebinische Gemeinschaft", bezeichnet die "taz" als "naiv".

Spielt Rechtsradikalismus in die Hände

Konkrete negative Folgen von Peeters Film sind im Netz schnell zu finden. So haben bereits rassistische und antiislamische Webseiten das Video für ihre Zwecke eingespannt. Eine solche Webseite sieht durch die im Film abgebildeten Belästigungen durch "islamische Einwanderer" die Gefahr der "Islamisierung" bestätigt. "Femme de la rue" hat somit eine emanzipatorische Idee - wenn auch unbeabsichtigt - für rechtsradikal Gesinnte aufbereitet. Diese können ihre Unkenntnis in Sachen Frauenrechte und Feminismus natürlich keine drei Zeilen lang verbergen: So selbstverständlich die Autoren die Schuld an der sexuellen Belästigung auf offener Straße der multikulturellen Gesellschaft in die Schuhe schieben, so selbstverständlich thematisieren sie das Aussehen und Verhalten des Opfers, das in "in freizügiger Kleidung" durch die Straßen "flaniert" sei. Menschen, die jegliches Kleidungsstück an Frauen (in dem Fall ein ärmelloses Sommerkleid) als freizügig und ihren gehetzten Schritt als "Flanieren" einstufen - mit denen kann frau sich auf der Straße bestimmt auch nicht wohlfühlen. (beaha, dieStandard.at, 8.8.2012)