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Warum interessiert man sich gar so sehr für Pussy Riot? Ist es die "Erotik der Revolution"? Oder liegt es doch daran, dass es nicht "nur" um Feminismus geht?

Foto: Reuters/THOMAS PETER

Anfang des Sommers tauchten die bunten Strumpfmasken noch recht selten in der breiten medialen Öffentlichkeit auf. Heute sind sie zum Markenzeichen für die Protestband "Pussy Riot" geworden, die es in den letzten Wochen zur internationalen Berühmtheit schaffte. Was sind die Gründe für diese große Anteilnahme am Prozess gegen die drei Aktivistinnen Nadeschda Tolokonnikowa (22), Maria Aljochina (24) und Jekaterina Samuzewitsch (29)? Die Antworten, die AutorInnen auf diese Frage fanden, reichen von "Schönheit" bis hin zu Empathie für ihre Mutterrolle. Es ist, so scheint es, der Faktor "Frau", der bewegt und nicht etwa ihre politische feministische Arbeit.

Angesichts des Auftrittes und der Agenda von Pussy Riot mutet dies allerdings als paradoxe Interpretation an. In kunterbunter Kleidung, mit knallfarbenen Strickmasken auf dem Kopf, tanzten und protestierten sie alles andere als "ladylike" in der Christ-Erlöser-Kathedrale. Die kollektive Kostümierung, das verhüllte Gesicht, der laute Auftritt vor einem Altar - damit agierten Pussy Riot jener Auffassung völlig entgegengesetzt, die nun mitunter als Erfolgsrezept für ihre Medienpräsenz ausgemacht wird.

So erotisch, diese Revolution

Schwache, schöne Frauen gegen den starken Mann Putin - "ein perfektes Medienpaket", ist sich etwa Spiegel-Autor Georg Diez sicher. Und sexy seien sie auch noch, zumindest eine gefällt Diez, weshalb er gleich seine Schlüsse über die "Erotik der Revolution" zieht. Ihr verdanken wir es, dass sich plötzlich alle "für Demokratie und Menschrechte in Russland interessieren". Dass Pussy Riot ihren kollektiven Charakter auch auf ästhetischer Ebene überdeutlich machen, geht an ihm vorbei. Diez interessiert sich nur für die "schöne Nadja". Sie will er weniger mit Aktivismus, als vielmehr mit Sexyness und dem sich unter dem T-Shirt ("in dem sie besonders gut aussieht") abzeichnendem Busen in Verbindung setzen.

Das alles ist für Diez ein guter Grund, Pussy Riot ein positives Zeugnis auszustellen, ganz ohne sie verstanden zu haben.

Feminismus, aber bitte ohne Feminismus

Auch diese Sache mit dem Feminismus möchte man am liebsten ausradieren. So leuchtet etwa Robert Rotifer besonders ein Tweet von Songschreiberin Mary Epworth ein: "Die Sache einzig als feministisches Thema zu sehen, geht daran vorbei, wie revolutionär sie sind. So kraftvoll und inspirierend." Rotifer zeigt sich, wie Diez, begeistert von Pussy Riot, will sie aber nicht als das verstehen, was sie sind und als was sie sich bezeichnen: Als feministisches Kollektiv. Denn Feminismus versteht Rotifer eher als eine Selbstermächtigung über die Pussy Riot weit hinausgehe, sie verkörpern vielmehr ein "komplettes revolutionäres Umsturzmanifest".

Mutterschaft und Starrummel

Zu diesen Erklärungsfaktoren "Frau" oder weil Pussy Riot ja viel mehr als feministische Selbstverwirklichung verkörpern würde, gesellt sich auch noch der in den vergangen Wochen erstarkte Starrummel um Pussy Riot. Von Sting über Madonna bis hin zu den Red Hot Chili Peppers nutzten Superstars ihre Konzerte in Russland, um sich solidarisch zu zeigen. Das schürte Sympathien für die Aktivistinnen in der breiten Masse. Und auch die Mutterschaft zweier der drei Inhaftierten wurde immer wieder genützt, um das Vorgehen der russischen Justiz zu skandalisieren, die Frauen von ihren Mutterpflichten durch eine Gefängnisstrafe abhielte.

Unerschrockene Kritik

Doch diese Begründungen für den Medienrummel blenden eines aus: Das bewusste Handeln der Aktivistinnen. Der Faktor "Frau" und anderes wiegen schwerer als das geschickte, überlegte und symbolträchtige Werken der Protagonistinnen.

Dass dieser eingeschränkte Fokus der politischen Sprengkraft von Pussy Riot nicht gerecht wird, davon legten Tolokonnikowa, Aljochina und Samuzewitsch selbst bei ihren Schlussplädoyers eindrucksvoll Zeugnis ab. Unbeirrt nutzten sie die Gelegenheit, das politische System Russlands, die Verstrickung von Autoritäten (wie die Kirche mit der Politik) oder die mangelnde Pressefreiheit zu kritisieren.

Vielleicht ist es auch diese Unerschrockenheit, die diese im Grunde doch sehr kleine Aktion zu diesem Medienereignis werden ließ. Staunen konnten auch jene, die feministischen Protest bisher nur als Forderungen nach Quoten, nach gleichen Karriere-Chancen oder geteilte Familienarbeit verstanden haben und nun am Beispiel Pussy Riot sehen, dass es viel weiter geht: Um die Kritik an repressiven Strukturen. Dass diese mächtig sind, hat Pussy Riot ebenso gezeigt wie auch, wo ihre wunden Punkte liegen. Eine reife Leistung und ein wirklich guter Grund für das enorme mediale Interesse. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 22.8.2012)