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In den vergangen Jahren haben sich stets mehr Frauen als Männer für ein Medizin-Studium in Wien beworben. Begonnen haben es letztlich aber dennoch mehr Männer. Doch nicht in diesem Jahr.

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Martin Arendasy, Leiter des Arbeitsbereiches Psychologische Methodik an der Universität Graz, kann die Forderungen nach einem Maßstab für alle zwar verstehen, dennoch sei sie zu einfach.

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In den vergangenen Jahren haben sich stets mehr Frauen als Männer für ein Medizin-Studium in Wien beworben. Begonnen haben es letztlich aber dennoch mehr Männer - nur dieses Jahr nicht. Das lag allerdings nicht daran, dass Männer wie Frauen im Aufnahmeverfahren die gleichen Ergebnisse abgeliefert haben, sondern an einer nach Geschlecht getrennten Auswertung der Testergebnisse. Welche BewerberInnen studieren dürfen, wurde aus der Gesamtpunkteanzahl und einem Mittelwert berechnet, der in diesem Jahr für Männer und Frauen getrennt (für Frauen niedriger) bestimmt wurde. Bei gleicher Leistung konnten so Bewerberinnen zu einem etwas höheren Wert gelangen.

"Männerdiskriminierung" hieß es von Seiten der FPÖ, die mit ihrer Kritik nicht allein dastand. Auch die HochschülerInnenschaft (ÖH) der Meduni Wien hält dieses Verfahren für problematisch - für alle. Jede Frau, selbst wenn sie nicht von der geschlechtsspezifischen Auswertung profitiert hat, werde durch solche Methoden zur "Quotenfrau", hieß es von Seiten der ÖH.

Sollte ein "Nachteilsausgleich" sein

Verantwortlich für diese Lösung, die allerdings nur einmalig eingesetzt werden sollte, ist Vizerektorin für Lehre und Gender der Medizinischen Universität Wien Karin Gutierrez-Lobos. Sie will in der Maßnahme weniger eine Bevorzugung, als einen Nachteilsausgleich sehen. Dieser Ausgleich soll in einem neuen Testverfahren weiterhin passieren, wenngleich nicht mehr in Form einer geschlechtsspezifischen Auswertung.

Martin Arendasy ist Leiter des Arbeitsbereiches Psychologische Methodik an der Universität Graz und externer Experte der Arbeitsgruppe zur Entwicklung des neuen Testverfahrens. Er kann die Forderungen von KritikerInnen nach "einem einzigen Maßstab für alle" zwar nachvollziehen, aber mit der Fairness bei Tests sei es nun mal nicht so einfach. "Früher hat man gesagt, Fairness zwischen unterschiedlichen Gruppen wäre dann gegeben, wenn sich die Mittelwerte zwischen den Gruppen nicht voneinander unterscheiden, doch das ist eine Ansicht, die sich als nicht haltbar herausgestellt hat", erklärt Arendasy gegenüber dieStandard.at.

Ein neuerer Fairness-Ansatz ist, für unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Normen zu berechnen. In einem solchen Verfahren wird nicht zwischen den Gruppen (zum Beispiel Männer und Frauen), sondern innerhalb von Gruppen verglichen. Innerhalb der Gruppen werden die Bewerber und Bewerberinnen gereiht und die jeweils besten werden ausgewählt. "Möchte man etwa einen 50/50-Anteil in einem Studium haben, muss man diese Grundsatzentscheidung fällen - und dann auch vertreten. Dabei handelt es sich um keine angewandt-psychometrische Frage." Die Gestaltung eines Aufnahmeverfahrens ist somit nicht nur eine fachliche Frage, sondern auch eine politische.

Warum unterschiedlich bewerten?

Dennoch stellt sich die Frage: Warum Rücksicht darauf nehmen, wenn manche Gruppen - z.B. Frauen bei den Medizin-Tests - scheinbar schlechtere Leistungen erbringen?

Der Grund liegt für Arendasy darin, dass es schlichtweg Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Diese seien selbstverständlich nicht "natürlich", sondern lägen beispielsweise in der Sozialisation oder in der Ausbildung begründet. "Die Forschung bestätigt, dass es noch immer so ist, dass Mädchen weniger Spielzeug haben, das die Raumvorstellung fördert", so Arendasy über Bedingungen, die sich in den Tests auswirken können. Derartige Unterschiede würden sich insbesondere nach der Pubertät zeigen. "Frauen sind etwa in bestimmten sprachlichen Fähigkeiten Männern überlegen, Männer sind oft in der mentalen Rotation besser". Auch ergeben sich enorme Unterschiede durch die Bildungssozialisation und die Vorbildung: Beispielsweise treten HAK-MaturantInnen mit einem völlig anderem Wissen an einen Test heran, als AbsolventInnen einer HTL. "Aus diesen Unterschieden dürften sich aber keinesfalls Nachteile ergeben, was zuweilen in der Vergangenheit so war", gibt Arendasy zu bedenken.

Was ist fair?

Wenn somit ein Testverfahren vorwiegend Gewicht auf Fähigkeiten lege, die von einer Gruppe eher erbracht werden können als von einer anderen, könne das aufgrund unterschiedlicher Entwicklungs- und Vorbildungsbedingungen als unfair betrachtet werden, womit sich die Verwendung eines einheitlichen Maßstabes als hinterfragenswert herausstellt, erklärt Arendasy. "Das Gleiche gilt für den Fall, dass ein Aufnahmeverfahren nicht alle benötigten, sondern nur bestimmte Aspekte erfasst". Mit der Zusammensetzung von Aufnahmetests kann also unter Umständen genau gesteuert werden, welche Gruppe eher Vorteile hat als eine andere.

Aufgrund dieser unterschiedlichen Bedingungen sei das heurige Vorgehen, geschlechterspezifisch auszuwerten, aus wissenschaftlicher Sicht auch vertretbar, so Arendasy, "schwerer aber vor der Allgemeinheit".

Daher soll das neue Testverfahren für die Med-Unis vor allem eines bieten: Chancengleichheit. Das bedeutet aber für Martin Arendasy auch, dass unterschiedliche Entstehungsbedingungen berücksichtigt werden müssen. Der neue Test soll daher betreffend Fähigkeiten breiter angelegt sein. Dass Chancengleichheit nicht einfach durch Gleichbehandlung und Nivellierung zu erreichen sei, schlägt sich auch in Testverfahren in den USA nieder. In Aufnahmeverfahren im tertiären Bildungssektor wird Vorbildung ebenso wie die ethnische Zugehörigkeit bereits in der Phase der Testkonstruktion berücksichtigt - eine Vorgehensweise, die auch juristischen Prüfungen standgehalten habe, wie der Experte betont.

Neuer Test soll breiter angelegt sein

Arendasy empfiehlt im neuen Test auch keine Ein-Punkt-Messung. Darunter ist zu verstehen, dass die BewerberInnen an einem Tag und zu einer bestimmten Zeit besonders gut sein müssen. Doch so umfassend auch die verschiedensten Kompetenzbereiche in einem Testverfahren berücksichtigt werden, alle Aspekte können letztlich nicht erfasst werden. Man könne zwar etwas über die kognitiven oder emotional-sozialen Kompetenzen sagen, aber z.B. nichts darüber, wie sich jemand im Studium entwickeln werde, meint Arendasy über die Grenzen der Testbarkeit. "Man kann letztlich nicht prognostizieren, wer eine gute Ärztin oder ein guter Arzt wird - das wäre bei 18-Jährigen viel zu weit in die Zukunft geblickt. Das eine ist Potential, das andere die Realisation, wobei ersteres letzteres bedingt, letzteres aber nicht ausschließlich von ersterem abhängig ist". (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 26.8.2012)