Ariane Sadjed über die Kaufgewohnheiten im Iran: "Einen Kenwood-Kühlschrank zu haben ist eine Frage des Prestiges."

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Ariane Sadjed: "Shopping for Freedom" in der islamischen Republik. Widerstand und Konformismus im Konsumverhalten der iranischen Mittelschicht.
225 Seiten,
Transcript Verlag 2012
ISBN: 3837619826

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"I shop therefore I am" oder "Buy me, I'll change your life", lauten die berühmt gewordenen Slogans der Konzeptkünstlerin Barbara Kruger, die in ihren Werken einen kritischen Blick auf die US-amerikanische Konsumgesellschaft wirft. Die Beschäftigung mit Konsum und seiner identitätsstiftenden Wirkung in unserem Alltag haben auch in wissenschaftlichen Überlegungen längst Eingang gefunden.

Wie sich soziale Unterschiede im Konsumverhalten ausdrücken, und unter welchen ökonomischen und politischen Bedingungen dies geschieht, untersucht die in Wien lebende Kulturwissenschaftlerin Ariane Sadjed in ihrem soeben erschienenen Buch "Shopping for Freedom" - allerdings am Beispiel der iranischen Mittelschicht. Anhand ethnografischer Beobachtungen in u.a. Einkaufszentren in Teheran, qualitativer Interviews mit Gruppen und Einzelpersonen sowie der Analyse ausgewählter Zeitschriften sammelte Sadjed Informationen zum Konsumalltag in der iranischen Hauptstadt - und damit auch Perspektiven auf die sozialen Brüche und Wandlungsprozesse innerhalb der Gesellschaft Irans.

Obwohl Konsum nicht nur in den westlichen Industrienationen ein wesentlicher Bestandteil moderner Alltagskultur ist, gilt er nur dort als selbstverständlich - als Merkmal demokratischer, "freier" Gesellschaften. Sadjeds Analyse ist somit auch eine Kritik am westlichen Blick auf den Iran, der "Religiosität" und "Unterdrückung" als alleine stehende Merkmale ausmacht und den "weltlichen" Konsum mit Autonomie oder gar Widerständigkeit in Verbindung bringt.

dieStandard.at: Wenn es um den Iran geht, berichten westliche Medien in erster Linie über das autoritäre Regime Ahmadinejads bzw. seine GegnerInnen sowie "den" Islam. An Konsum und Freiheit denken hier wohl die wenigsten. Was hat Sie zu diesem Perspektivenwechsel veranlasst?

Sadjed: Der Begriff Freiheit kommt durchaus vor, aber unausgesprochen als etwas, das in der iranischen Gesellschaft zu fehlen scheint. Vielen Berichten liegt eine bestimmte Definition von Freiheit zugrunde, die dem säkularen Liberalismus entspringt. Sie ist aber zu starr, wenn sie auf Gesellschaften angewandt wird, die eine andere (Ideen-)Geschichte haben. Das heißt, es gibt Formen von Widerständigkeit bzw. Selbstbestimmung, die z.B. von religiösen AkteurInnen oder Personen aus der Unterschicht ausgeübt werden, die aber nicht als solche wahrgenommen werden.
Mich hat interessiert, Konflikte innerhalb der iranischen Gesellschaft auch in Bezug auf ökonomische Aspekte zu analysieren und nicht nur in Bezug auf die Kultur. Im Iran gibt es auch Upper-Class Lifestyle-Magazine und Fitnessstudios. Sie stehen nicht im Gegensatz zu den Ayatollahs, sondern funktionieren zusammen. Im Alltag der Menschen spielen diese Dinge meist eine wichtigere Rolle.

dieStandard.at: Bereits der Buchtitel "Shopping for Freedom" legt einen Zusammenhang zwischen Konsum und widerständigem Handeln nahe. Was hat Konsum im Alltag mit persönlicher oder politischer Freiheit zu tun?

Sadjed: Der Titel stellt die Möglichkeit, über Konsum zu Freiheit zu gelangen, infrage. Wer konsumiert moderne Konsumgüter, die meistens aus dem Westen importiert werden? Im Iran ist dies vor allem der Oberschicht vorbehalten. Darunter sind durchaus auch religiös-konservative Personen. Einen Kenwood-Kühlschrank zu haben ist eine Frage des Prestiges. Die Unterschicht hat andere Prioritäten als schick auszusehen. Nur weil man einen schwarzen Tschador trägt und keine überdimensionierten Sonnenbrillen, ist man aber keineswegs eine staatstreue Fanatikerin.

dieStandard.at: Wie verbreitet sind westliche Konsumgüter im Iran und welche Bedeutung haben sie für die Kaufenden, die Oberschicht?

Sadjed: Westliche Konsumgüter sind im Iran mit vielen Symbolen aufgeladen. In den 1950er und -60er Jahren hat die Konsum- und Unterhaltungsindustrie unter dem Schah geboomt. Damit wurden auch US-amerikanische Konzepte von Modernität in Zusammenhang mit dem konsumierenden Subjekt in der iranischen Gesellschaft verankert. Das wurde von der konservativ-nationalen Seite als grobe Bevormundung und auch als moralische Aushöhlung gesehen. Seit der Revolution 1978 ist das offene Zurschaustellen von Konsum daher verpönt - es findet nun im Privaten statt. Das revolutionäre Konzept der Gleichheit aller hat jedenfalls nicht funktioniert.

Es gibt viele Bruchlinien innerhalb der Gesellschaft im Iran. Diese verlaufen weniger entlang der Kategorien "religiös" und "säkular" oder "pro-" und "anti-westlich". Der ökonomische Status spielt eine viel größere Rolle. Viele Menschen aus einfachen Verhältnissen sind durch die Revolution zu höheren Posten und damit auch zu Geld gekommen. Sie vertreten die moralische Position eines bescheidenen und einfachen Auftretens, das verhindert, dass sich ein Individuum über das andere stellt. In der Praxis sieht das aber oft anders aus. Diejenigen, die unter dem Schah politischen und ökonomischen Einfluss hatten, sind jetzt an den Rand gedrängt. Bei ihnen geht es um Fragen des Stils, die sich an der vor-revolutionären Vergangenheit orientieren. Gesellschaftliche Positionen werden also stark anhand des äußeren Auftretens ausgehandelt.

dieStandard.at: Modern und frei, das sind nach westlicher marktwirtschaftlicher Logik jene, die konsumieren können. Ist demnach die Teilhabe an gesellschaftlichen Transformationsprozessen klassenspezifisch bestimmt?

Sadjed: Es stimmt schon, dass die Möglichkeit zu konsumieren als ein Recht angesehen wird. Das wurde auch in vielen post-kommunistischen Staaten beobachtet. Der Wunsch danach, mehr konsumieren zu können, ist ja auch mit Wohlstand verknüpft und findet sich über verschiedene Schichten hinweg. Allerdings ist die Teilhabe an der globalen Konsumwelt natürlich nur für Privilegierte möglich. Das ist in unseren Gesellschaften auch so, aber in Ländern wie dem Iran ist dieser Unterschied markanter.

dieStandard.at: Welche klassenspezifischen Muster haben Sie beobachtet? Wo kauft die privilegierte Klasse in Teheran ein, wo die unteren Klassen?

Sadjed: Die Personengruppe, die ich befragt habe, ist der Mittelschicht zuzuordnen, wobei ich aber nicht Zugang zu allen Segmenten hatte. Die gehobene Mittelschicht scheint zu einem großen Teil aus Personen zu bestehen, die durch die Revolution soziale Mobilität erfahren haben. Sie sind stärker verpflichtet, die Ideale der Revolution nach außen hin zu praktizieren. Im Alltag sieht das so aus, dass sie im Bazar einkaufen und nicht - obwohl sie es sich leisten könnten - in den modernen und teuren Einkaufszentren. Sie bevorzugen generell heimische Produkte und verbringen ihre Freizeit zuhause oder mit der Familie im Park, also an Orten, wo nichts konsumiert werden muss.

Die Einkommenskategorie darunter verhält sich ganz anders: Sie legt Wert auf Konsum und Unterhaltung, geht viel auf Partys und nimmt auch eher an der Körperkultur teil, die mit der modernen Konsumgesellschaft einhergeht, das heißt sie besuchen Fitnessstudios und Schönheitssalons. Sie entsprechen eher der Mittelschicht, wie wir sie in westlichen Gesellschaften verstehen.

Die Personen mit dem niedrigsten Einkommen in meiner Befragung stellen so etwas wie eine kulturelle Avantgarde dar. Sie stammen eigentlich aus wohlhabenden Familien, verweigern sich aber sowohl der modernen Konsumgesellschaft als auch den Anforderungen des iranischen Staates.

dieStandard.at: Kulturwissenschaftliche und feministische TheoretikerInnen ziehen eine Verbindung zwischen der Herstellung "weiblicher Identität" und kommerzieller Konsumkultur. Was bedeutet eine solche Verknüpfung am Beispiel der Rolle iranischer Frauen?

Sadjed: Im Fall des Irans dient die kommerzielle Konsumkultur als Trennlinie zwischen den vermeintlich modernen, liberalen Frauen auf der einen Seite und den fanatischen und unzivilisierten Frauen auf der anderen. Die hübschen Iranerinnen, die viel Haar unter dem Kopftuch zeigen, möglichst enge Mäntel tragen und sich mit Accessoires schmücken, sind der westlichen Frau vermeintlich näher. Die schwarz Verschleierten stellen das absolut Fremde dar. Dazu kommt, dass westliche Beobachter das Religiöse automatisch mit konservativen und autoritären Einstellungen assoziieren. Das Religiöse spielt im Iran tatsächlich eine wichtige Rolle, es gibt jedoch nicht nur die eine Interpretationsmacht, die vom Staat ausgeht. Religiöse Einstellungen können auch in Widerspruch zum Staat stehen und von diesem als subversiv wahrgenommen werden. (Vina Yun, dieStandard,at, 5.9.2012)