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Zur Frage der Stiefkindadoption in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften erging am 15. März 2012 das mit Spannung erwartete Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Gas & Dubois gegen Frankreich.

Mit ja, aber bestätigt

Die Beschwerdeführerinnen Frau Gas und Frau Dubois lebten seit 1989 in einer Lebensgemeinschaft. Im Wege einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung wurde Frau Dubois schwanger und gebar im Jahr 2000 eine Tochter, die seither im gemeinsamen Haushalt der Klägerinnen wohnt. 2006 beantragte Frau Gas die Adoption des Kindes ihrer Lebenspartnerin. Zu diesem Zeitpunkt war das Paar bereits eine anerkannte Partnerschaft eingegangen, einen "Pacte Civil de Solidarité", der sowohl homo- als auch heterosexuellen Personen offensteht.

Alle französischen Instanzen bestätigten, dass sich beide Partnerinnen aktiv und gemeinsam um das Kind kümmerten, ihm Pflege und Zuneigung zukommen ließen und dass grundsätzlich sämtliche Voraussetzungen für eine Adoption vorlägen. Dennoch wurde der Antrag zurückgewiesen, was an einer Eigenheit des französischen Rechts liegt: Im vorliegenden Fall würde die Obsorge nämlich zur Gänze an den Adoptivelternteil wandern. Die französischen Gerichte argumentierten daher, dass eine Adoption den eigentlichen Zielen der Antragstellerinnen zuwider laufen und zudem dem Kindeswohl widersprechen würde. Denn schließlich hätte die Adoption zur Folge, dass die leibliche Mutter ihre Obsorgerechte verlieren würde.

Dieses "Adoptionshindernis" besteht nicht, wenn es sich um ein verheiratetes Paar handelt: Wenn die adoptierende Person mit einem leiblichen Elternteil des Kindes verheiratet ist, wird nämlich die Obsorge zwischen beiden geteilt. Da gleichgeschlechtliche Paare in Frankreich aber nicht heiraten dürfen, ist ihnen faktisch auch die Stiefkindadoption verwehrt.

Ungleichbehandlung wegen sexuellen Orientierung?

Frau Gas und Frau Dubois brachten ihren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Sie erachteten sich in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben sowie in ihrem Recht auf Gleichbehandlung verletzt. Der EGMR kam jedoch zu dem Schluss, dass keine Ungleichbehandlung vorlag.

Die zentralen Ausführungen des Gerichtshofs lesen sich einigermaßen kurz und bündig. Er vergleicht die Situation unverheirateter hetero- und homosexueller Paare und argumentiert, dass für beide dieselben Regelungen hinsichtlich einer Stiefkindadoption gelten würden. Daher liege keine Ungleichbehandlung aufgrund der sexuellen Orientierung vor.

Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob es überhaupt zulässig ist, dass französisches Adoptionsrecht einen Unterschied zwischen verheirateten und unverheirateten Paaren macht, fällt ebenfalls äußerst knapp aus: Die Ehe verleihe nun einmal einen Sonderstatus, daher dürfen die (in anerkannter Partnerschaft lebenden) Beschwerdeführerinnen auch anders als Ehegatten behandelt werden. Weiter gehen die Überlegungen des EGMR nicht.

Überraschende Argumentation

Diese formalistisch knappe Argumentation überrascht in mehrerlei Hinsicht. In früherer Rechtssprechung hat sich der Gerichtshof nämlich durchaus differenzierter mit diesem Thema auseinandergesetzt. So judizierte der Gerichtshof beispielsweise sowohl in Saucedo Gómez gegen Spanien (1999) als auch in Serife Yigit gegen Türkei (2010), dass eine Ungleichbehandlung verheirateter und unverheirateter Paare das Diskriminierungsverbot der Menschenrechtskonvention grundsätzlich berührt. In beiden Entscheidungen (die jeweils heterosexuelle Partnerschaften betrafen) prüfte der Gerichthof, ob diese Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel verfolgte und ob sie im konkreten Fall verhältnismäßig war. Diese Untersuchung unterlässt der EGMR im Fall Gas & Dubois zur Gänze.

Macht es sich der EGMR einfach?

Interessanterweise spielte sowohl in Saucedo Gómez als auch in Serife ausgerechnet die Entscheidungsfreiheit im Bezug auf eine Eheschließung eine große Rolle. In beiden Fällen maß der Gerichtshof dem Umstand Bedeutung zu, dass das Paar rechtlich und faktisch hätte heiraten können und dies aus freien Stücken nicht getan hatte. Diese Freiheit, sich für eine Ehe (die einzige rechtliche Chance auf eine Stiefkindadoption) zu entscheiden, besteht für Frau Gas und Frau Dubois nicht. Dennoch beschäftigt sich der EGMR nicht mit der Frage, ob hier nicht gerade deshalb eine Diskriminierung vorliegt, weil den Klägerinnen aufgrund der absoluten Unmöglichkeit zu heiraten auch die Adoption pauschal verwehrt ist.

Der EGMR macht es sich einfach: Er hält einerseits fest, dass er es in ständiger Rechtsprechung für zulässig hält, wenn Staaten gleichgeschlechtliche Paare von der Ehe ausschließen. Und er betont andererseits, dass es sich bei der Ehe um einen Sonderstatus handle, der besondere Adoptionsregeln für Verheiratete rechtfertige. Was der EGMR durch die analytische Trennung dieser beiden Rechtsfragen nicht in den Blick bekommt, ist die eigentliche Pointe der Situation von Frau Gas und Frau Dubois: Nämlich die Tatsache, dass durch das Zusammenspiel beider Faktoren (Ausschluss von der Ehe, Sonderstatus der Ehe) gleichgeschlechtliche Paare de facto immer von der Stiefkindadoption ausgeschlossen sind. Die simplifizierende Sichtweise des EGMR überrascht, da an und für sich eine klassische "indirekte Diskriminierung" vorliegen könnte: Eine scheinbar neutrale Regelung hat disproportional negative Effekte für eine bestimmte Gruppe; in diesem Fall gleichgeschlechtliche Paare.

Wo bleibt der Blick auf das Kindeswohl?

Der EGMR hätte sich auch noch mit einem weiteren Ansatzpunkt auseinandersetzen müssen, nämlich dem Kindeswohl. Normalerweise vertritt der EGMR die Auffassung, dass die unterschiedliche Behandlung von Kindern nicht daran geknüpft werden darf, ob sie einer Ehe entstammen oder nicht. Im Fall Gas & Dubois hingegen analysiert der Gerichtshof die Situation lediglich unter der Perspektive, welche Rechte den Beschwerdeführerinnen aufgrund ihres partnerschaftlichen Status zustünden.

Er geht weder auf die Pflichten der Beschwerdeführerinnen gegenüber ihrer Tochter noch auf sonstige Interessen des Kindes ein. Dieses Versäumnis ist in der Tat erstaunlich und scheint geradezu als Bruch mit der bisherigen umfangreichen Judikatur zur Unehelichkeit. Es stellt sich die Frage, warum der Gerichtshof nicht auf die Idee gekommen ist, einen Vergleich zwischen der Situation eines Stiefkinds in einer Ehe mit der eines Stiefkinds in einer homosexuellen Partnerschaft anzustellen. Diese Kritik äußert auch Richter Mark Villiger in seiner abweichenden Meinung. Die Richter Costa und Spielmann hingegen betonen, dass der Gerichtshof die Staaten in dieser umstrittenen Materie nicht bevormunden dürfe. Sie appellieren aber gleichzeitig an Frankreich, das Adoptionsrecht zu novellieren und den sozialen Realitäten anzupassen.

Dass das Urteil selbst sich nur reichlich oberflächlich mit der faktischen Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare auseinandersetzt und außerdem die Berücksichtigung des Kindeswohls vom rechtlichen Status seiner Eltern abhängig macht, ist enttäuschend. Und ein Schritt in die Vergangenheit. (Marion Guerrero, Ines Rössl, derStandard.at, 25.9.2012) )