Foto: Paula Bulling, "Im Land der Frühaufsteher", avant-verlag 2012
Foto: Paula Bulling, "Im Land der Frühaufsteher", avant-verlag 2012

Die Berliner Illustratorin Paula Bulling war es in ihrer Graphic Novel wichtig, dass die Betroffenen selbst das Wort ergreifen.

Foto: Privat

Die Menschen in Sachsen-Anhalt sind ihrer Zeit voraus. Das behauptet zumindest der Slogan der aktuellen Standortkampagne des ostdeutschen Bundeslandes: "Wir stehen früher auf." Tatsächlich beginnen die Sachsen-AnhalterInnen jeden Tag etwa neun Minuten vor dem Rest der BundesbürgerInnen. Im "Land der Aufgeweckten" sei das Frühaufstehen "Ausdruck ihrer Mentalität", verrät die Homepage der Landesregierung nicht ohne Stolz.

Zum Nichtstun gezwungen

Der Berliner Illustratorin Paula Bulling erschien es zynisch, dass Strebsamkeit und Fleiß in dem Bundesland als ur-deutsche Tugenden bemüht werden, bestimmte Bevölkerungsgruppen dann aber zum Nichtstun gezwungen sind - zum Beispiel AsylwerberInnen. In ihrer ersten Graphic Novel "Im Land der Frühaufsteher" hat sich die Künstlerin deshalb mit den prekären Bedingungen, unter denen Flüchtlinge in Deutschland ihr Dasein fristen, auseinandergesetzt.

AsylwerberInnen dürfen in den ersten zwölf Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland nicht arbeiten und sind in den folgenden drei Jahren mit einem sogenannten "nachrangigen Arbeitsmarktzugang" konfrontiert. Konkret heißt das: Sie dürfen nur dann einen Job annehmen, wenn sich nachweislich keinE deutsche oder EU-BürgerIn für die Arbeitsstelle findet. Die Frist wurde mittlerweile auf neun Monate herabgesetzt.

Verschärft wird ihre soziale Lage zudem dadurch, dass ihre Grundsicherung bei lediglich 220 Euro pro Monat liegt. Den Umstand, dass der Betrag seit 1993 (!) nicht angepasst wurde, hat nun im Sommer sogar das Karlsruher Verfassungsgericht bemängelt.

"Der Knast, der seinen Namen nicht sagt"

Mit Blick auf die zahlreichen Hürden für Asylsuchende recherchierte Bulling zum Alltag jener Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind. Dafür besuchte sie  Asylheime in Sachsen-Anhalt, wo sie in den 2000er Jahren auch ihr Studium an der Hochschule für Kunst und Design absolvierte. In der 125 Seiten umfassenden Graphic Novel werden aber nicht nur die erdrückenden Lebensumstände der AsylwerberInnen dargestellt, sondern auch deren Widerstände und Kämpfe sichtbar gemacht - gegen eine Politik, die das Recht auf Asyl sukzessive infrage stellt und stattdessen das Ziel verfolgt, "die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland [zu] fördern", wie es etwa in der bayerischen Asylverordnung heißt.

Bulling nutzt die populäre Form des Comics für eine politische Reportage aus der Ich-Perspektive, gespeist aus persönlichen Erinnerungen an Erlebnisse und Gespräche mit Asylsuchenden. Gemäß ihrem Anliegen verfolgt die 26-jährige Künstlerin keine glatte Mainstream-Comic-Ästhetik: Die monochromen Bilder sind mit grobem Strich umgesetzt - Bulling verwendet u.a. Tusche, Filz- und Bleistift - und vermitteln in ihrer Skizzenhaftigkeit einen unbeugsamen, dissenshaften Charakter.

"Wir leben hier in einem Knast, der seinen Namen nicht sagt", sagt Aziz, ein Heimbewohner in Halberstadt, im Comic. Gemeint ist die Residenzpflicht, die AsylwerberInnen das Verlassen des Landkreises verbietet - und damit die Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit massiv einschränkt. Es ist eine Isolation mit System, denn die meisten Flüchtlingsheime liegen zudem weit ab vom Schuss. Derart werden das Knüpfen sozialer Kontakte, das Aufsuchen unabhängiger Rechtsberatung, Arztbesuche u.ä. erschwert bis verunmöglicht.

Unzumutbar sind auch die maroden Zustände, in denen sich zahlreiche Heime befinden - so fordert etwa der Flüchtlingsrat in Bernburg schon seit Monaten die Schließung des lokalen Asylheims, das vor kurzem wegen einer Kakerlaken-Plage in die Schlagzeilen kam. Schuld sei das "Wohnverhalten" der Flüchtlinge, lautet die rassistisch anmutende Verteidigung des Heimbetreibers in Bernburg. Es sind Missstände, wie sie auch in Österreich nicht neu sind, wie das Beispiel der kürzlich geschlossenen "Sonderanstalt" auf der Kärntner Saualm zeigt. Hier wie dort wollen jedoch die Verantwortlichen nichts von strukturellen Problemen wissen.

Remembering Oury Jalloh

Paula Bullings Graphic Novel bezieht in mehrfacher Hinsicht Position: Nicht nur der repressive Umgang mit Asylsuchenden, auch ihre eigene Rolle als weiße Erzählerin steht hier zur Disposition. "Mit Tropenhelm durch's Land der Frühaufsteher", scherzt ein Freund im Comic. "In letzter Zeit treffe ich überall weiße Mädels, die Filme über die armen schwarzen Flüchtlinge machen." Bulling geht auf die Kritik ein, indem sie das Privileg, als Mehrheitsdeutsche selbstverständlich für die "Fremden" sprechen zu können, transparent macht: "Zuhören und die Anderen reden lassen", antwortet der Freund auf Paulas Frage, wie man sich denn verhalten solle, wenn man die herrschenden Verhältnisse nicht reproduzieren will.

"Im Land der Frühaufsteher" ergreifen die Betroffenen selbst das Wort - und organisieren Widerstand. Wie etwa auf einer Demo gegen die Residenzpflicht, auf der auch an die Opfer der rassistischen Asylpolitik gedacht wird: 2005 verbrannte Oury Jalloh, gefesselt an Händen und Füßen, in einer Polizeizelle in Dessau. Bis heute sind die genauen Umstände, unter denen der abgelehnte Asylwerber aus Sierra Leone zu Tode kam, ungeklärt. Nach dem skandalösen Freispruch des angeklagten Polizisten, der an jenem Tag für Jallohs Gewahrsam verantwortlich war, wurde das Urteil 2010 aufgehoben. Das neu aufgerollte Verfahren dauert bis heute an.

Auch in der Graphic Novel steht am Ende der unaufgeklärte Tod eines Menschen: Azad Murat Hadji, ein kurdischer Asylwerber aus Georgien, der mit seiner Familie in Möhlau untergebracht war, starb im Sommer 2009 an den Folgen schwerer Verbrennungen. Es wird vermutet, dass er Opfer eines Brandanschlags durch Neo-Nazis wurde. Eine detaillierte Aufklärung bleibt aus, die Polizei stellte die Ermittlungen nach nur zwei Monaten ein. Erst im Sommer haben seine Frau und seine zwei Töchter, die kurz vor der Abschiebung standen, durch die Härtefallkommission des Landes das Bleiberecht erhalten. Der Kampf dauert an. (Vina Yun, diestandard.at, 26.9.2012)