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Gut gelaunt stellte sich Christine Bauer-Jelinek am Dienstag den Fragen ihrer Fans.

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Wenn Christine Bauer-Jelinek in den Spiegel blickt, sieht sie eine Tabubrecherin. Mit ihrer "lockeren Beschreibung eigener Wahrnehmungen" habe sie etwas getan, was sich sonst niemand traue - nämlich die alte Leier von der Unterdrückung der Frauen durch die Männer zu enttarnen, so die Autorin des Buches "Der falsche Feind". Bei einer Lesung in der Wiener Innenstadt ließ sie am Dienstagabend durchblicken, dass sie den Wirbel um ihre Thesen durchaus genießt.

Feminismus allerorts

Eine Person mit Interesse an geschlechterpolitischen Themen mag es erstaunen, welch große Bedeutung feministischer Politik in diesem Buch zugeschrieben wird: Das politische System scheint sich mit nichts anderem als Gleichstellung, Quotenregelungen und Antidiskriminierung zu beschäftigen, glaubt man Bauer-Jelineks Ausführungen. In der öffentlichen Sphäre werde permanent für Frauen geworben - sie seien empathischer, fürsorglicher und kommunikativer als die Männer, insgesamt also das "bessere Geschlecht". Nur mehr im Schutz des Privaten könnten Menschen noch zugeben, dass sie in Wirklichkeit viel lieber mit Männern zusammenarbeiten würden. Ganz zu schweigen von der "laufenden Umverteilung des Geldes von Männern zu Frauen über die öffentliche Hand".

Unterdrückt wird inzwischen der Mann

Ein zweites Staunen setzt ein, wenn Bauer-Jelinek ihre Eindrücke über die Alltagswelt niederschreibt: Frauen verdrehen schon die Augen, wenn das Wort "Männer" nur falle, sie kassieren deren Sperma ein, um es einzig für ihre Befruchtungspläne einzusetzen, und in den eigenen vier Wänden nehmen sie ihnen mit lästigen Fragen wie "Was denkst du?" die Luft zum Atmen. Kaum zu erwähnen nötig, dass Frauen natürlich auch beim Familienrecht haushoch bevorzugt werden.

Wenn der Feind nicht der Mann ist, wer ist es dann?

Als Leserin erfährt man nicht, wer die Frauen sind, von denen hier die Rede ist. Die Autorin erklärt, es handle sich um Erfahrungen aus ihrer Praxis und Zusammenkünften in Vorträgen und Seminaren. Eine wasserdichte Grundlage für die eigenen Thesen sieht allerdings anders aus. Bauer-Jelinek erzeugt so ohne viele Umschweife ein Bild von Frauen als den neuen Herrscherinnen des gesellschaftlichen Systems und von Feministinnen als ihren Ideologinnen, die sie mit immer neuen Waffen gegen die zunehmend verängstigten Männer versehen.

Doch an dieser Stelle schlägt Bauer-Jelinek plötzlich einen Haken in der Argumentation und präsentiert triumphierend eine unerwartete These: In Wirklichkeit würden nämlich doch nicht die Frauen herrschen und auch nicht die Männer, sondern das finanzgetriebene neoliberale Wirtschaftssystem! Baff.

Vom Wirtschaftscoach zur Klassenkämpferin

Wer Bauer-Jelinek kennt, weiß, dass sie seit geraumer Zeit auf Kriegsfuß mit der herrschenden Wirtschaftsordnung steht, wiewohl sie viele "Top-Frauen" der Wirtschaft berät. Sie hat in der Vergangenheit Aufsätze über das bedingungslose Grundeinkommen verfasst, und auch bei ihrer Lesung am Dienstag entpuppte sie sich als scharfe Kritikerin einer Erwerbsarbeit-orientierten Gesellschaft. Das "herrschende System" versklave Männer wie Frauen auf einem überfüllten Arbeitsmarkt und führe letztlich zu einem Kampf der Geschlechter um die immer weniger werdenden Vollerwerbsarbeitsplätze, so ihre Conclusio.

Das Argument, das Bauer-Jelinek hier bringt, entbehrt nicht einer gewissen Logik, und es lohnt sich jedenfalls, darüber weiter nachzudenken. Allein - der Gedanke ist nicht neu. Zahlreiche feministische Denkerinnen, wie die auch von ihr zitierte marxistische Feministin Frigga Haug, sind auf eine ähnliche Idee gekommen und haben den gesellschaftspolitischen Fokus auf Vollerwerbstätigkeit als Problem erkannt.

Es bleibt unverständlich, warum die Autorin für ihre Kernaussage den Umweg über die Verächtlichtmachung feministischer Kämpfe beschreitet. Reines Kalkül, um selbst am ebenso übersättigten Coaching- und Sachbuchmarkt zu bestehen? Zutiefste Abscheu gegenüber der Institutionalisierung einer Bewegung, der sie selbst einmal angehörte? Schlichte Lust am Krawall und Tabubrechen?

"Frauenbefreiungsbuch"

Bauer-Jelinek sagt, für sie sei das Buch ein "Frauenbefreiungsbuch", um über den "Mythos des ewigen Opfers Frau" hinwegzukommen. Angesichts der billigen Hetze gegen Frauen, die in dem Buch geschieht, darf das Erreichen dieses Ziels bestritten werden. Mit Sicherheit macht "Der falsche Feind" das grassierende Feminismus-Bashing weiter salonfähig. Und den bis dato funktionierenden System-Mann bestätigt es in seinem Schweigen. Schade drum. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 4.10.2012)