Katja Bremer: "Es ist äußerst gewagt zu behaupten, für eine Frau sei eine Trennung vom Kind schlimmer als für einen Mann."

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Katja Bremer kennt diese Blicke. Wenn die Leute ungläubig dreinschauen und sie plötzlich ganz anders ansehen. Wenn sie beginnen sich zu fragen, was mit dieser Frau nicht stimmt. Ob sie wohl alkoholkrank, drogensüchtig und einfach nur durchgeknallt sei. Bremer lacht, wenn sie darüber erzählt. Sie weiß, dass sich viele Menschen denken, eine Mutter, deren Kind nicht bei ihr lebt - das kann doch nicht sein, das muss doch einen gröberen Grund haben.

Wochenende-Mutter

Bremer ist eine gesunde Frau, sie führt ein gesetztes Leben, sie hat eine guten Job, FreundInnen und eine Wohnung im Grünen. Bloß lebt ihr Sohn seit dem Scheitern ihrer Ehe nicht bei ihr, sondern bei seinem Vater. Bremer sieht ihr 13-jähriges Kind regelmäßig an den Wochenenden, manchmal auch schon vorher, "er kann jederzeit frei entscheiden, wo er lieber wäre". Sie ist eine sogenannte "Weekend-Mum" und hat damit ein Schicksal, das in der Regel eigentlich nur Männer kennen.

Vermeintliche Modernisierung

In Zahlen ausgedrückt sieht das so aus: Im Jahr 2011 gab es laut Statistik Austria 150.700 alleinerziehende Mütter, allerdings nur 19.700 alleinerziehende Väter. Grund dafür ist eine im Kern traditionelle Einstellung, die sich trotz der Debatte über moderne Familienmodelle nicht geändert zu haben scheint: Väter haben mit Kindererziehung wenig zu tun, Kinder sind Frauensache. Diese gesellschaftlichen Muster seien dermaßen eingeprägt, dass viele Leute nicht akzeptieren wollen, wenn eine Mutter nicht ihr Kind überhabe, meint die norwegische Soziologin Grete Larsen in einer Studie über Weekend-Mums.

Erst langsam brechen auch hierzulande diese Rollenbilder auf, was sich etwa an der steigenden Zahl der Väter-Karenzen zeigt. Bei der jüngsten Novelle des Familienrechts von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) haben uneheliche Väter weiters die Möglichkeit bekommen, auch gegen den Willen der Mutter um Obsorge anzusuchen.

"Das Kind gehört zur Mutter"

Doch die althergebrachten Vorstellungen von Mutterschaft wurden auch an Bremer herangetragen, erzählt sie. Immer wieder bekam sie zu hören: "Ein Kind gehört zur Mutter." Eine Bewertung, unter der auch andere Mütter leiden, wie eine norwegische Studie ergab, für die sieben Frauen in langen Interviews befragt wurden. Sie würden es als unfair und mühsam empfinden, sich ständig für ihre Lebenssituation rechtfertigen zu müssen, erzählten die Frauen. Deswegen zogen es einige von ihnen vor, ihre Situation zu verschweigen.

Die 37-jährige Katja Bremer jedoch erzählt gern davon. Sie sitzt im Café Jelinek in Wien-Mariahilf und bestellt eine Melange. Bremer ist eine zierliche Frau, ihre offenen langen Haare lassen sie jugendlich wirken. Wenn sie erzählt, dann starrt sie auf die Wand, als würde sie das, was sie sagt, von dort ablesen. Sie spricht in ganzen, exakten Sätzen, die zeigen, wie sehr sie sich mit ihrer Situation beschäftigt hat.

Nervenaufreibende Mini-Umzüge

"Wir haben uns im Guten getrennt", sagt Bremer über ihre Beziehung. Am Anfang lebte das Kind mal bei ihr im niederösterreichischen Eichgraben, dann wieder beim Vater in Wien. "Aber da hat regelmäßig entweder hier das Biologiebuch gefehlt oder dort das Deutschheft", sagt sie. Der allwöchentliche Mini-Umzug des Sohnes war für alle Beteiligten organisatorisch schwierig und vor allem für den Sohn eine große Belastung. Und da der Sohn in Wien zur Schule geht, erwies es sich als praktischer, dass er überwiegend beim Vater wohnt. Zudem zog es auch der Sohn selbst vor, beim Vater in Wien zu wohnen.

Am Anfang hatte Katja große Sehnsucht nach ihrem Sohn. Obwohl sie sich der Zuneigung des Kindes sicher war, fühlte sie sich wie jemand, der einen Fehler gemacht hatte, weil er weggegangen war. Immer wieder stellte sie sich die Frage: Warum will mein Sohn nicht mit mir leben? "Ich halte mich zwar für eine aufgeklärte und moderne Frau mit eigenem Kopf", sagt Katja. "Aber trotzdem hatte ich diese Stereotype in mir, die mir sagten, dass das Kind zu mir gehört."

Eigene Befindlichkeiten und das "Wohl des Kindes"

Manchmal, sagt sie, sei es verlockend gewesen, sich selbst zu bemitleiden. Dann hätte sie am liebsten den Verlust der traditionellen Mutterrolle betrauert und die angeblich so einzigartige Beziehung, die eine Mutter zum Kind habe, beschworen. Aber Bremer ließ sich nicht gehen. "Das sind meine eigenen Befindlichkeiten, die nicht dem Wohl des Kindes dienen", sagt sie. Man müsse gewisse Dinge manchmal einfach annehmen.

Außerdem gehe es den Männern in so einer Situation schließlich auch nicht anders als den Frauen, ist Bremer überzeugt. "Es ist äußerst gewagt zu behaupten, für eine Frau sei eine Trennung vom Kind schlimmer als für einen Mann."

Kontakt mit beiden Elternteilen gewahrt

Bremer findet, mal sollte sich weniger darum kümmern, was Väter und Mütter wollen - und mehr darauf schauen, was die Wünsche der Kinder sind. Sie sagt, sie habe Glück, ihr Ex-Partner sei jemand, mit dem sie einen ehrlichen Umgang habe. Sie könne sich mit ihm gut über den Sohn verständigen, und dadurch würden auch keine Informationen verloren gehen. "Aber natürlich kriege ich nicht mehr so viel über ihn mit wie früher."

Laut einer dänischen Studie kann das Wohnen beim Vater sogar Vorteile für das Kind haben. Der Soziologe Mogens Nygaard Christoffersen untersuchte in den 90er Jahren das Wohl des Kindes bei getrennt lebenden Eltern. Sein Ergebnis: Kinder, die beim Vater leben, hätten eine intensivere Beziehung zu beiden Elternteilen, denn Mütter würden sich in so einer Situation mehr um Kontakt bemühen als Väter.

Katja beklagt sich nicht darüber, dass ihr Sohn nicht bei ihr lebt. Im Gegenteil, das Verhältnis zu ihrem 13-Jährigen sei herzlich und es gewinne mehr und mehr eine neue Qualität. "Was die Gesprächskultur und die gegenseitige Wertschätzung betrifft, wird es langsam erwachsener." (Nina Brnada, dieStandard.at, 28.10.2012)