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Je nach Staat ist das Ausmaß der Diskriminierung gegen LGBTI-Personen unterschiedlich - diskriminierungsfreie Länder gibt es in der EU dennoch keine.

Foto: REUTERS/RADOVAN STOKLASA

Letzte Woche veröffentlichte das Europäische Parlament eine neue Studie über die Gleichbehandlung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender- und Intersex-Personen (LGBTI) in der EU. Die Studie soll als Grundgerüst für einen EU-weiten Aktionsplan dienen, der die Rechte von LGBTI-Menschen stärken sowie neue Gesetze und Regelungen diesbezüglich bündeln soll.

Fahrplan zur Gleichbehandlung

Seit 2011 hat das EU-Parlament die Kommission wiederholt dazu aufgefordert, einen Fahrplan für die Gleichstellung von LGBTI-Menschen zu formulieren. Diese Forderung wurde nun mit der Studie, in Auftrag gegeben vom Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des EU-Parlaments, konkretisiert - und ist vor allem an Viviane Reding gerichtet, die als erste EU-Kommissarin für den Bereich Menschenrechte zuständig ist.

Fahrpläne sind als Strategiedokumente zu verstehen, die Handlungen der EU zu einem bestimmten Thema über einen Zeitraum von mehreren Jahren ausarbeiten und zusammenfassen. Beispiele für solche Dokumente sind die EU-Strategie zur Gleichstellung von Frauen und Männern 2010-2015, die Europäische Strategie für Menschen mit Behinderungen oder die EU-Rahmenstrategie für nationale Integrationspläne für die Roma.

Die Bedeutung eines solchen Aktionsplans unterstreicht Sophia in't Veld, Vizepräsidentin der interfraktionellen Arbeitsgruppe des EU-Parlaments für LGBT-Fragen (kurz: LGBT Intergroup): "Eine solche Richtlinie kostet kaum etwas, wenn überhaupt, und sie garantiert, dass die EU ihr Versprechen der Gleichstellung und Nichtdiskriminierung einhält." Ihr Kollege Michael Cashman, Kopräsident der LGBT-Intergroup, fügt hinzu: "Ein LGBT-Fahrplan würde sicherstellen, dass Kommission, Rat und Parlament quer über alle Aktivitäten der EU hinweg effektiv der Gleichstellung verpflichtet sind."

Umfassender Nachholbedarf

Unter dem Titel "Towards an EU Roadmap for Equality on Grounds of Sexual Orientation and Gender Identity" gibt die Studie einen Überblick über die Hürden, mit denen LGBTI-Personen in den EU-Ländern konfrontiert sind, etwa in den Bereichen Beschäftigung, Bildung oder Gesundheit. Ebenso zur Sprache kommen auch Hassverbrechen und Gewalt gegen LGBTI-Menschen sowie die Rechte von Flüchtlingen, die aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität verfolgt werden und in der EU um Asyl ansuchen.

Das Ausmaß der Diskriminierung gegen LGBTI-Personen variiert von Staat zu Staat - doch sie finden nach wie vor und in allen EU-Ländern statt, wie die StudienautorInnen festhalten. Das Spektrum ist umfassend und reicht von der Beschneidung von Grundrechten, wie etwas dem Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit bei "Gay Pride"-Events, über fehlende Schutzmaßnahmen für LGBTI-Jugendliche, die an Schulen gemobbt werden, bis hin zu Zwangsoperationen bei intergeschlechtlichen Neugeborenen, deren Geschlecht durch einen chirurgischen Eingriff "vereindeutigt" werden soll.

Es bleibt allerdings nicht beim bloßen Aufzählen der Probleme: Die Studie formuliert Empfehlungen für nächste Handlungsschritte sowie einen Zeitplan für das EU-Parlament, die Kommission sowie die einzelnen Mitgliedsstaaten.

Trans und Intersex entpathologisieren

Trans- und Intersex-Personen widmet die Studie ein eigenes Kapitel - denn sie sind vergleichweise am stärksten von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen. So gaben etwa in einer EU-Umfrage von 2009 79 Prozent der Befragten an,  im öffentlichen Raum belästigt worden zu sein, in Form von transphoben Äußerungen oder körperlichen bzw. sexuellen Übergriffen.

Eines der größten Missstände stellt die fortwährende Pathologisierung von trans- und intersexuellen Menschen dar - ihre Identität wird weiterhin als "Störung" gewertet. Seit Jahren setzt sich etwa das internationale Netzwerk "STP 2012" dafür ein, die Kategorien "Geschlechtsdysphorie" und "Geschlechtsidentitätsstörungen" unter anderem aus dem Krankheitskatalog der Weltgesundheitsorganisation zu streichen. Dennoch ist in den meisten EU-Mitgliedsstaaten die Diagnose einer "Geschlechtsidentitätsstörung" sowie eine Sterilisation zwingende Voraussetzung dafür, um eine medizinische und rechtliche Geschlechtsangleichung in die Wege leiten zu können.

Kritisiert wird auch der alltägliche diskriminierende Umgang mit Intersex-Personen. In allen EU-Ländern muss in offiziellen Dokumenten mit dem Personenstand auch das Geschlecht eindeutig als "Mann" oder "Frau" festgelegt werden, Alternativen sind keine vorgesehen. Ähnlich wie bei Trans-Personen werde die körperliche Integrität zwischengeschlechtlicher Menschen - und damit auch ein sicherer, nichtdiskriminierender Zugang zur Gesundheitsversorgung - nur wenig geachtet. Allerdings: Insbesondere zur Situation von Intersex-Personen lässt die Datenlage noch zu wünschen übrig, wie es in der Studie heißt.

Um Diskriminierung wirkungsvoll bekämpfen zu können, müssen noch zahlreiche Informationslücken geschlossen werden. Einen Schritt in diese Richtung wurde im Frühjahr 2012 gesetzt, als die EU-Agentur für Grundrechte die erste EU-weite Umfrage zur Lebenssituation von LGBTIs gestartet hat. Die ersten Ergebnisse dieser Erhebung werden für die erste Jahreshälfte 2013 erwartet. (viyu, dieStandard.at, 29.10.2012)