Lilly Axster, Christine Aebi (Illustr.):
DAS machen?
Projektwoche Sexualerziehung in der Klasse 4c

Foto: Axster/Aebi

Illustration aus "DAS machen?" - Bärensex.

Foto: Axster/Aebi
Foto: Axster/Aebi

Gab es schwule Dinosaurier? Kann ich mein eigenes, einzigartiges Geschlecht haben? Wie können zwei Mütter ein Kind zeugen? Was hat es mit dem Cross-Dressing auf sich? Ist Sex ein Gefühl oder etwas anderes? Mit Fragen wie diesen beschäftigen sich die ProtagonistInnen im Kinderbuch "DAS machen?". Das Buch spiegelt Erfahrungen und Gespräche mit SchülerInnen unterschiedlicher Alterstufen im Rahmen von Sexualerziehungs-Workshops wider. Als Aufklärungsbuch für Menschen ab 6 und deren Bezugspersonen stellt es queere Vielfalt ins Zentrum - und hat damit Seltenheitswert im deutschsprachigen Raum.

Im Gespräch mit dieStandard.at erzählt die Autorin des Buches, Regisseurin und Präventions-Trainerin Lilly Axster, wie Sexualaufklärung queeres Begehren unsichtbar machen kann und warum manchmal auch Teddybären anrüchig sind.

dieStandard.at: Die Kinderbücher von Ihnen und der Illustratorin Christine Aebi können meist auch als Statement gegen stereotype Geschlechterrollenbilder in der Kinderliteratur verstanden werden. Was ist denn das Ziel des vorliegenden Bilderbuches?

Lilly Axster: Wir wollten kein Aufklärungsbuch im herkömmlichen Sinn machen, in dem Erwachsene Kindern erklären, wie Sexualität "funktioniert". Wir wollten ein Buch zu kindlicher Sexualität machen, das Kinder mit ihren Fragen dort abholt, wo sie stehen. Möglichst viele Kinder sollten sich in dem Buch wiederfinden können. Darum wollten wir ein queeres Buch schreiben, das Sexualität fließend und beweglich darstellt und in alle Richtungen offen ist.
Wir wollten weder Heteronormativität noch Vorstellungen von (weißer) körperlicher Normalität
bedienen, wie das in vielen anderen deutschsprachigen Aufklärungsbüchern der Fall ist.

dieStandard.at: Wie sehen Bücher und Lehrmaterialen zu Sexualerziehung üblicherweise aus?

Axster: Fast alle Aufklärungsbücher gehen von zwei Themen aus: erstens Geschlechtsverkehr und Kinderkriegen - das ist natürlich auch sehr interessant, aber trotzdem weit weg von der eigenen kindlichen Sexualität. Und zweitens wollen sie den Kindern sagen, wie aus ihrer Sicht Sexualität für die Kinder später, wenn sie erwachsen sind, sein wird. Es gibt wenige Bücher, die sich damit auseinandersetzen, was Kinder in ihrer Sexualität tatsächlich beschäftigt: Von Neugierde, Intimität, Schamgrenzen, Geschlechterrollen und Sich-Selbst-Berühren bis hin zur Frage, welche Kleidung und Frisur ich trage.

dieStandard.at: Was hätten Sie selbst sich als Kind an Informationen zum Thema Körper und Sexualität gewünscht?

Axster: Es gab von meiner Mutter damals sehr gute Informationen zum Thema Menstruation und zum Kinderkriegen, weil ich kleinere Geschwister hatte. Aber dass ich auch selbst Freude an meinem Körper haben kann, oder dass Sex nicht automatisch Mann und Frau, Prinz und Prinzessin bedeutet, das wurde nie thematisiert. Ich lebe selber queer, schon immer, auch wenn ich das als Kind nie so genannt hätte. Es gab da zwar Aufklärungsbücher, die bei uns zu Hause unkommentiert im Bücherregal herumstanden. Die fand ich aufregend, genauso wie die 'Bravo'. Aber ich kam halt mit meinem Begehren darin nicht vor. Inzwischen ist Homosexualität zwar in jedem guten Aufklärungsbuch Thema. Es wird erwähnt, dass Mädchen sich in Mädchen und Buben in Buben verlieben können. Aber immer als Extrakapitel, als Randerscheinung, als "und das gibt es auch noch".

dieStandard.at: In ihrem Buch haben Sie versucht, diese Themen bewusst ins Zentrum zu stellen...

Axster: Meine Erfahrung ist, dass Kinder auch ein großes Interesse an der Frage haben: Kann man auch ein Bub und ein Mädchen gleichzeitig sein. Und was ist, wenn man zwischen den Geschlechtern wechseln will. So weit ich das mitkriege, kriegen sie aber wenig Antworten darauf, weder in Kinderbüchern noch im Sexualkundeunterricht. Statistisch gesehen sitzen auch in vielen Klassen intersexuelle Kinder oder Kinder, die sich im falschen Geschlecht fühlen. Wenn Transgender und Transidentitäten gar nicht bearbeitet werden, dann werden auch Kinder, die damit beschäftigt sind, unsichtbar. Das schwächt die, die so fühlen und leben. Und für die anderen schreibt es eine Zweigeschlechterordnung fest, aus der es kein Entrinnen gibt.

dieStandard.at: Sexualerziehung steht für VolksschülerInnen verpflichtend im Lehrplan. Welche Themen werden da vermittelt?

Axster: Natürlich sieht Sexualerziehung in der Praxis recht unterschiedlich aus. Die Bandbreite ist groß, von sehr offen bis sehr konservativ - je nachdem, welche Leute das anbieten und welche Werte die vertreten. Da wird dann in der Praxis klarerweise auch Heterosexualität und Kleinfamilie als Norm vermittelt. Teilweise beschränkt sich das ganze darauf, wie Babies gemacht werden oder wie einzelne Geschlechtsteile heißen. Schwierig wird es auch dort, wo Kinder in der Schule in Schubladen gepackt werden - wenn sie etwa als Mädchen "zu jungenhaft" sind oder aber als "kleine Zicken" oder "kleine Machos" abgestempelt werden. Viele LehrerInnen machen den Sexualerziehungsunterricht aber auch ganz toll und lassen viel zu.

dieStandard.at: Sie arbeiten auch im Wiener Verein "Selbstlaut" und bieten dort Workshops zur Prävention von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen an. Was können Kinder oder ihre Bezugspersonen dabei lernen?

Axster: Wir wollen den Eltern und LehrerInnen nicht vermitteln, dass wir wüssten, wie man mit Kindern über Sexualität reden soll, denn das sind ideologische Fragen. Wir versuchen, sie ins Boot zu holen, in dem wir ihnen vermitteln, dass Offenheit im Reden über kindliche Sexualität eine wichtige Vorbeugung vor sexueller Gewalt ist. Wenn Kinder das Gefühl haben, über alles, was unterhalb der Gürtellinie liegt, kann ich nicht reden, dann denken sie im Zweifel: Das gehört so, da muss ich eben durch. Wenn ich als Kind die Möglichkeit erhalte, zu erforschen und auszusprechen, was sich gut anfühlt und was nicht, dann kann nicht so leicht jemand kommen und mir was anderes einreden. Vielen Kindern fehlen aber auch Wörter oder Begrifflichkeiten. Sie können vielleicht auf dem Schulhof rufen: "Fick Dich, fick Dich." Aber einer erwachsenen Person gegenüber zu sagen: 'Der wollte, dass ich seinen Penis berühre.' Das ist etwas anderes. Und wenn sie üben können, Scheide, Klitoris, Hoden, Glied auszusprechen wie Nase, Knie oder Brustbein, ist das eine potentielle Redehilfe.

dieStandard.at: Wie nehmen die Eltern das Thema Sexualerziehung auf?

Axster: Man redet, wenn man über die Sexualerziehung der eigenen Kinder spricht, indirekt ja auch oft über die eigene Sexualität. Wenn da 20 oder 30 Leute im Elternabend sitzen, hat man schon oft das Gefühl, das rattert im Kopf: Hab ich überhaupt Sex? Wie finde ich meinen eigenen Sex? Will ich eigentlich Sex? Hab ich eigentlich selbst mal gesagt, was ich nicht will? Was hab ich eigentlich als Kind davon mitgekriegt? Die eigenen Verfasstheiten der Eltern oder Lehrkräfte
und der ReferentInnen natürlich auch, sind im Raum und machen das zu einem teilweise
belastenden Thema - abgesehen von dem ganzen Missbrauchs-Diskurs.

dieStandard.at: Gibt es denn überhaupt noch Tabuthemen für Kinder in einer medial übersexualisierten Kultur?

Axster: Wir haben in unserem Buch zwei Teddy-Bären dargestellt, die in verschiedenen Stellungen Sex haben. Einige Leute fanden, das ginge zu weit. Diese Reaktion ist schon interessant, denn schließlich sind Kinder sonst überall - sei es in Filmen oder auf Plakatwänden - mit Darstellungen von erwachsenem Sex konfrontiert. Aber kaum jemand bespricht die Art der Darstellung mit ihnen, oder stellt Fragen wie: Findest du das spannend und aufregend? Findest du das peinlich oder eklig? Unser Buch ist auch dazu da, nicht allein mit dieser ganzen Bilderflut zu sein. (Augusta Dachs, dieStandard.at, 7.11.2012)