Gelungene Hebefigur: Eine ganze Generation von Mädchen verfolgte die Verwandlung von Baby vom unsicheren Teenager zur strahlenden Tänzerin - mit ihrem Traummann Johnny an der Seite.

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"Dirty Dancing" war einer der kommerziell erfolgreichsten Filme der 1980er. Doch der Stoff von Drehbuchautorin Eleanor Bergstein wurde erst von 43 Filmstudios und Produktionsfirmen abgelehnt, bevor mit der kleinen Produktionsfirma Vestron ein Partner gefunden werden konnte.

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Liebes-, Tanz- oder Coming-of-Age-Film? Gerade in der Vermischung dieser Genres liegt offenbar der Reiz, sich den Film immer wieder anzusehen.

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Hannah Pilarczyk (Hg.)
Ich hatte die Zeit meines Lebens

Über den Film "Dirty Dancing" und seine Bedeutung
Mit Beiträgen von Hannah Pilarczyk, Birgit Glombitza, David Kleingers, Caspar Battegay, Astrid Kusser, Kirsten Rießelmann, Christoph Twickel, Jan Kedves und Christine Kirchhoff
Verbrecher Verlag 2012
192 Seiten, 15 Euro

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Herausgeberin Hannah Pilarczyk: "Die Missachtung des Films war gleichzeitig immer auch eine Missachtung der Fans. Gerade weil so viele Frauen den Film mochten, wurde er von der Filmkritik nicht ernst genommen."

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In diesem Jahr jährt sich der Kinostart von "Dirty Dancing" zum 25. Mal. Die Journalistin Hannah Pilarczyk nahm dies zum Anlass, in einer Anthologie der Magie des erfolgreichen Jugendfilms nachzuspüren.

Der Band "Ich hatte die Zeit meines Lebens" analysiert "Dirty Dancing" erstmals im deutschsprachigen Raum aus kulturwissenschaftlicher Sicht und fördert dabei erstaunliche Hintergrundinformationen über Film und Soundtrack zutage. Mit der Herausgeberin sprach dieStandard.at über Stärken und Schwächen des Films und die neuerliche Aneignung durch seine feministischen Fans.

dieStandard.at: Wie oft haben Sie "Dirty Dancing" gesehen - als Zuseherin und nicht als Filmkritikerin?

Pilarczyk: Eigentlich gar nicht so oft - insgesamt fünfmal im Laufe meines Erwachsenenlebens. Für mich ist das allerdings sehr viel, weil ich mir ansonsten Filme ungern mehrfach anschaue. Es war tatsächlich ein Ausgangspunkt, mich überhaupt mit "Dirty Dancing" zu beschäftigen: Wie kommt es, dass ich mir den Film so oft angesehen habe?

dieStandard.at: Das Immer-wieder-Ansehen ist ja ein Merkmal des "Dirty Dancing"-Fans. Haben Sie eine Erklärung dafür gefunden?

Pilarczyk: Das hat verschiedene Gründe. Vor allem aber wird das Vortasten von Baby ins Erwachsenenleben und in die Sexualität einfach sehr gut erzählt. Darüber hinaus schaut man die Entwicklung - von der unbeholfenen Wassermelonen-Szene bis zur gelungenen Hebefigur - auch gerne an, weil Baby in der Zeit nicht demontiert wird. Baby kann sie selber bleiben und muss nicht schöner, schlanker, braver oder weiblicher werden, um den Mann zu bekommen, den sie liebt.

Baby betritt die Welt des Dirty Dancings mit einer Wassermelone in der Hand. Quelle: www.youtube.com 

dieStandard.at: Die Filmkritik hat den Film 1987 sehr schlecht besprochen - seichte Liebesschnulze, trashiger Tanzfilm, lauteten die Urteile. Was hat Sie dazu bewogen, den Film aufzuarbeiten?

Pilarczyk: Ich wollte zunächst rein persönlich wissen, warum "Dirty Dancing" so erfolgreich war und auch kulturell so einen Nachhall produziert hat. Dann habe ich bemerkt, dass es zu dem Film kulturwissenschaftlich so gut wie gar nichts gibt. Aber immerhin gibt es die Fans im Internet, die vor allem die feministischen Aspekte des Films hochhalten.

dieStandard.at: Reflektiert das Buch also das, was die Fanbasis im Internet bereits ein Stück weit geleistet hat?

Pilarczyk: Ich würde sagen, es läuft parallel. Als jetzt im Sommer in den USA das 25-jährige Jubiläum von "Dirty Dancing" begangen wurde, kam noch eine Welle von Interviews und Blogeinträgen im Netz dazu, die den Film und seine Macherinnen gewürdigt haben. Aber da war das Buch ja schon längst fertig.

Grundsätzlich finde ich es bezeichnend, dass der Film von den Fans gepusht wird, denn die Missachtung des Films war ja gleichzeitig immer auch eine Missachtung der Fans. Gerade weil so viele Frauen den Film mochten, wurde er von der Filmkritik nicht ernst genommen. Nun hat sich die Fangemeinde den Film angeeignet und sagt: Wir wollen mit unserem Filmgenuss ernst genommen werden.

dieStandard.at: Ist es Ihnen wichtig, mit Ihrem Buch dem Fantum von Frauen grundsätzlich zu seinem Recht zu verhelfen?

Pilarczyk: Ja, für mich gehört zum Filmgenuss die affektive, emotionale Ebene einfach dazu - das leben männliche Filmfans natürlich auch. Unter dem Label des "Nerd" gilt das aber im Gegensatz zum weiblichen Filmfan, der oft als hysterisch diffamiert wird, als legitim. Wenn Tanzszenen begeistern, wenn die Musik mitreißt oder auch wenn man sich in den Hauptdarsteller verliebt - das sind für mich Beweise für die Stärke eines Films. So etwas sollte in Filmkritiken oder Analysen stärker gewürdigt werden.

dieStandard.at: Entgegen dem landläufigen Image des Films kommen in "Dirty Dancing" auch harte politische Fragen wie illegale Abtreibung und Sexarbeit bei Männern vor. Dem Erfolg des Films hat dies aber keinen Abbruch getan.

Pilarczyk: Die politischen Themen hat man schon sehr Mainstream-kompatibel dosiert. Denken Sie nur an das Filmplakat, wo Jennifer Grey und Patrick Swayze als einsames Paar abgebildet sind und allein die Tagline "Have the time of your life" danebensteht. Wer genauer hinsehen wollte, konnte die gesellschaftspolitischen Konflikte aber natürlich erkennen.

dieStandard.at: Warum wurden die Themen überhaupt aufgegriffen, wenn sie gleichzeitig so nebensächlich verhandelt wurden?

Pilarczyk: Der Film spielt ja im Sommer 1963, das war eine Zeit, in der die 60er eigentlich noch die 50er waren. Die Themen, die wir heute retrospektiv mit den 60ern verbinden, wie etwa die Bürgerrechtsbewegung, der Feminismus oder auch die Studentenbewegung, haben zu dem Zeitpunkt noch nicht die öffentlichen Diskurse bestimmt.

Der Film deutet das alles an und schirmt sich gleichzeitig dagegen ab, die radikalen Aspekte dieser Zeit behandeln zu müssen. Er zeigt ja eine sehr positive Sicht auf die 1960er, indem er sie als Epoche des gesellschaftlichen Aufbruchs beschreibt, in der es gilt, gesellschaftliche Verkrustungen aufzubrechen, sich zu begegnen zwischen den Klassen und Rassen. Baby leistet mit ihrer persönlichen Geschichte quasi einen Vorgeschmack auf diese Entwicklungen.

Interessant ist auch ein Blick auf die Entstehungszeit des Films. In den 80ern ist in den USA eine erste Revision der 1960er im Gange. Im Kern dieser Debatte ging es darum, ob der gesellschaftliche Aufbruch der 60er Sicherheiten zerstört oder Freiheiten geschaffen hat. "Dirty Dancing" wollte zwischen den vielen reaktionären Positionen gerade im Filmbereich festhalten, dass die 1960er eine Dekade der Emanzipation und Liberalisierung waren, die für sehr viele Menschen enorm wichtig war und ist.

dieStandard.at: Ihr Buch spürt den jüdischen Wurzeln der Geschichte nach und zeigt auch, dass die 1963 vorherrschenden Rassenkonflikte in der Geschichte einem weißen Klassenkonflikt weichen mussten. Die Thematisierung des Klassenkonflikts ist aber immerhin bemerkenswert, oder?

Pilarczyk: Was die Rassenkonflikte betrifft: Ganz offensichtlich sollte die Geschichte für ein großes weißes Publikum aufbereitet werden. Wäre Johnny schwarz gewesen, hätte man mit einem geringeren Erfolg an den Kinokassen rechnen müssen. Dennoch: Mit der Thematisierung der Klassenfrage hat "Dirty Dancing" sich an ein großes Tabu des US-Kinos herangewagt. Klassen gibt es in der US-amerikanischen Mythologie ja nicht, da herrscht das liberale Ideal vor, nach dem jeder sozial mobil sein kann, solange er nur hart arbeitet.

dieStandard.at: Bei der berüchtigten Schlussszene feiert das junge Paar seine Liebe, aber sie bringen auch die sozialen Verhältnisse zum Tanzen. Unterscheidet das "Dirty Dancing" von anderen romantischen Liebesfilmen?

Pilarczyk: Absolut, die Szene hat auch deutlich politische Konnotationen - schließlich tanzen zum Schluss Gäste und MitarbeiterInnen, Chefs und Untergebene zusammen. Aber sie unterscheidet sich auch unabhängig davon von klassischen Schlussszenen. Es ist kein komplettes Happy End in dem Sinn, dass sich hier zwei für die Ewigkeit gefunden haben. Der Songtext von "(I've Had) The Time of My Life" legt ja die Interpretation eines wortwörtlichen Abschlusstanzes nahe - hier hatte jemand bereits die Zeit seines Lebens. Es geht ein Sommer zu Ende, wo Kultur- und Klassengrenzen fallen, doch was danach kommt, weiß man eigentlich nicht so richtig. Das ist eine Utopie für einen Tanz lang.

Quelle: www.youtube.com 

dieStandard.at: Ist die Schlussszene eine Verneigung vor dem Tanzfilm-Genre?

Pilarczyk: Ich finde diese Begrenzung auf ein Genre für "Dirty Dancing" nicht passend. Es ist ein Tanzfilm, aber auch ein Liebes- und Coming-of-Age-Fim und hat auch Klassenkonflikte zum Thema. Das fällt alles zusammen und ist sicher auch ein Grund, warum man sich den Film so oft anschauen kann - weil er eben so vielschichtig ist.

dieStandard.at: Ein Beitrag in ihrem Buch arbeitet heraus, wie grundlegend anders (weibliche) Sexualität in "Dirty Dancing" dargestellt wird. Die Kamera lässt uns die Position und damit das Begehren von Baby einnehmen. Könnten diese selbstbestimmte Darstellung weiblicher Sexualität und die Objektivierung von Männerkörpern mit ein Grund für die Abwehrreaktion der damals hauptsächlich männlichen Filmkritik gewesen sein?

Pilarczyk: Ich glaube auch, dass sich männliche Kritiker damals auf den Schlips getreten fühlten, aber die meisten haben vermutlich gar nicht so weit gedacht. Die haben nur gesehen, hier wird irgendetwas von Frauen, mit Frauen, für Frauen erzählt - das hat meist schon gereicht, um den Film als banal abzutun.

Es gab definitiv einen Unwillen, dabei zuzusehen, wie eine Wunschvorstellung von Frauen aufgeht. Ein US-Kritiker hat den Film zum Beispiel einen "weiblichen feuchten Traum" genannt. Der hat noch nicht einmal Worte für seine Ablehnung gefunden, die nichts mit männlicher Sexualität zu tun haben. Leider war das sehr repräsentativ für die gesamte Behandlung des Films durch die Kritik. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 11.11.2012)