Das Cover der umstrittenen Unterrichtsmaterialien.

Foto: Selbstlaut

Die Kernfamilie in Österreich durchlebt schwierige Zeiten. Nicht nur, dass die Scheidungsrate seit Jahren bei über 40 Prozent liegt, nein, jetzt wird ihr auch noch mit öffentlichen Geldern - also quasi ganz offiziell - der ideologische Hahn abgedreht!

Moderne Sexualerziehung

So in etwa unkt es seit ein paar Wochen aus erzkatholischen Kreisen. Stein des Anstoßes sind neue Unterrichtsmaterialien des Vereins "Selbstlaut", in dem Sexualität, Liebe und Familie unter nicht-heteronormativen Vorzeichen thematisiert wird.

Einer kleinen Gruppe von radikalen Konservativen passt das nicht. Angefangen hat alles mit einem Presse-Artikel vor rund zwei Wochen, in dem aus dem Beschwerdebrief einer "losen Gruppe von Eltern rund um die Juristin und Theologin Gudrun Kugler" zitiert wurde. Die Eltern beklagten die in der Broschüre "völlig gleichwertige Verwendung" von lesbisch, schwul, hetero und trans und die starke Repräsentation von homosexuellen Paaren, die nicht der gesellschaftlichen Realität entsprechen würden.

Parlamentarische Anfragen von ÖVP und FPÖ

Zehn Tage später ist nun auch in den parlamentarischen Anfragen von ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon und FPÖ-Mandatar Walter Rosenkranz an Bildungsministerin Schmied von "mehreren Anfragen von besorgten Eltern, die mit der Broschüre in Berührung kamen", die Rede. Die Politiker übernahmen in ihren Anfragen die Diktion der Elterngruppe, obwohl sie wussten, dass es sich dabei um eine sehr kleine Gruppe handelte. Auf ihrer Facebook-Seite "Skandal im bmukk" versammelten sich vor zwei Wochen lediglich 40 Fans.

Unterrichtsmaterialien richten sich an Lehrpersonal

Auch lässt sich die Frage stellen, wie die "besorgten Eltern", von denen in den Anfragen von Amon und Rosenkranz die Rede ist, mit den Inhalten der Unterrichtsmaterialien in Berührung kamen. Entgegen der Behauptung, dass die Materialien zur Sexualerziehung wie eine Broschüre in der Schule zur freien Entnahme aufliegen würden, sind sie nämlich ausschließlich an das Lehrpersonal adressiert und nicht für eine breite Öffentlichkeit bestimmt (wohl aber im Netz abrufbar).

Es ist offensichtlich, dass es sich bei diesem Vorstoß um eine sehr kleine und einschlägig bekannte Gruppe von AktivistInnen handelt: Die Juristin Gudrun Kugler-Lang, Mitbetreiberin des katholischen Partnertreffs "KathTreff", ist eine seit Jahren bekannte radikale Abtreibungsgegnerin und Bewahrerin "christlicher Familienpolitik". In ihrer Freizeit dokumentiert sie die "Diskriminierung von Christen in Europa". Als sie 2005 als Parteilose für die Wiener ÖVP kandidierte, gab es heftige Kritik von SPÖ und Grünen, aber auch in den eigenen Reihen war die Entscheidung nicht unumstritten.

ÖVP liebäugelt mit religiösen Hardlinern

Es ist nicht weiter verwunderlich, dass sich Menschen mit dieser Geisteshaltung über das Konzept von "Ganz schön intim" beschweren, wirklich ärgerlich ist allerdings die billige Parteinahme der Regierungspartei ÖVP. Dort scheinen immer mehr die religiösen Hardliner das Sagen über gesellschaftspolitische Standpunkte zu haben.

Erst wird aus Rücksicht auf die Bischofskonferenz die Ausbesserung des Gleichbehandlungsgesetzes einmal mehr verhindert, und nun agitiert man gegen ein Unterrichtsmaterial, in dem doch tatsächlich Homosexuelle und Transpersonen als vollkommen gleichwertig beschrieben werden! Sicher würde es ihnen besser gefallen, wenn ihre Kinder weiterhin lernen würden, dass Homosexuelle eine irgendwie zu tolerierende Minderheit seien, die man bitte nicht auf der Straße anspucken soll - aber mit einem selber hat das natürlich gar nichts zu tun. Diese ganze Aktion zeigt wieder einmal überdeutlich, dass die ÖVP überhaupt nicht versteht, woher Homophobie rührt und was man dagegen tun kann. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 29.11.2012)