"Es wird spannend sein zu sehen, was dieser starke Backlash in der Spielwarenwelt mit unseren Geschlechterrollen anstellen wird", sagt Stevie Schmiedel.

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Das kennen wir nur allzu gut: Rosa für Mädchen, Hellblau für Buben. Die visuelle Verdeutlichung des Geschlechts mittels Farben ist ein alter Hut. Ebenso, wie die geschlechtsspezifische Ausrichtung der Spielzeugwelt von jeher sorgfältig zwischen Puppenküche und Baukasten unterscheidet. Doch während die Produkte vor einigen Jahren noch in farblicher Vielfalt angeboten wurden, ist das heute anders.

Die Welt der Mädchen ist jetzt pink. Pink und nichts als pink. Vom Bällchen bis zum Püppchen, vom Handy bis zum Laptop: Alles ist rosa gefärbt. Warum ist das so? Aus der psychologisch begründeten Wirkung von Farben wissen wir, dass Rosa beruhigt und besänftigt, einfühlsam macht und sogar die Fürsorglichkeit anregen soll. Ideal also, um patriarchale Attribute von Weiblichkeit zu fördern. Um den Hintergründen und Wirkungen der "Pinkifizierung" näher zu kommen, befragten wir Stevie Schmiedel, Gründerin des Vereins Pinkstinks, der sich für die Sensibilisierung gegenüber Produkten einsetzt, die Mädchen eine limitierende Geschlechterrolle zuweisen. Die promovierte Genderforscherin ist Lehrbeauftragte an der Uni Hamburg und Mutter zweier Töchter.

dieStandard.at: Seit wann ist eine Pinkifizierung der Warenwelt zu beobachten?

Schmiedel: Es begann in den 1970ern und verstärkte sich in den 1990ern. Während Lego in den 1950ern noch für alle Kinder gleichermaßen vermarktet wurde, glaubt heute keiner, dass Mädchen mit Bauklötzen spielen, wenn sie damit nicht Cupcakes backen und Beauty-Salon spielen können - bitte in Rosa.

dieStandard.at: Ist dieser Trend Abbild erstarkender Rollenbilder?

Schmiedel: Nein, aber sich verändernder Rollenbilder. Heute arbeiten mehr Frauen als in den 1950ern, mehr Männer helfen im Haushalt mit, und schleichend kommen Frauen auch in Führungspositionen an. Damit ist Gleichberechtigung noch lange nicht erreicht, aber wir sind definitiv weiter als in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Trend der Pinkifizierung ist ein Abbild der Angst vor dieser Veränderung, nicht nur der Männer, auch die Frauen sind sich in den neuen Rollen noch nicht sicher. Und die Marktwirtschaft nutzt diese Angst aus.

dieStandard.at: Mit einem Backlash, der sich hinter rosa Fassaden verbirgt?

Schmiedel: Ja, deshalb wird es spannend sein zu sehen, was dieser starke Backlash in der Spielwarenwelt mit unseren Geschlechterrollen anstellen wird.

dieStandard.at: Aktuelle Studien zeigen, die Zukunftswünsche der Mädchen sind ziemlich traditionell - ein Ergebnis rosaroter Puppenküchen?

Schmiedel: Laut einer Studie wollen 80 Prozent der englischen Mädchen lieber Model werden als Premierministerin oder Ingenieurin. Dabei sind es gerade die MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, Anm.), die derzeit nötig wären. Um Mädchen dafür zu interessieren, drehte die englische Regierung vor kurzem ein Werbevideo - mit Chemikerinnen im Model-Look. Anders glaubt man nicht an die Mädels heranzukommen, die mit Barbie und Lillifee aufwachsen.

Dass ein solches Video Mädchen für Chemie begeistern wird, ist eher fraglich. Wir sind skeptisch, aber vielleicht liegen wir ja falsch, und Frauen werden trotz Pinkifizierung weiter in der Wirtschaft ankommen, mitbestimmen und für familiengerechtere Arbeitszeiten sorgen. Eines ist jedoch sicher: Sie werden dabei nicht sorglos und glücklich sein, sondern auf eine andere Weise unfrei.

dieStandard.at: Wegen des Schönheitswahns?

Schmiedel: Ja, denn mit dem Fokus auf Beauty in der rosa Glitzerwelt geht es mit dem Selbstbewusstsein unserer Töchter steil bergab. 2006 fühlten sich noch 70 Prozent der Mädchen wohl in ihrer Haut, 2012 sind es laut WHO nur noch 43 Prozent.

Die meisten Mädchen fühlen sich zu dick und hässlich. Und besser könnte es für die Marktwirtschaft nicht sein, denn 80 Prozent der Produkte und Dienstleistungen der westlichen Welt werden von Frauen gekauft. Und die können mit einem unerreichbaren Schönheitsideal vermarktet werden. Was Frauen schon von Lillifee und Barbie kennen: Alles, was zählt, ist Schönsein.

dieStandard.at: Wird den Mädchen durch Rosarot eine heilere Welt suggeriert, sozusagen der Blick durch die rosa Brille?

Schmiedel: Ja, Mädchen wird suggeriert: Action ist etwas für Jungs. In der rosa Spielwelt findet Aggressionsabbau selten statt, Mädchen richten ihre Aggressionen zu oft nach innen, mit Essstörungen oder selbstverletzendem Verhalten.

dieStandard.at: Würden Sie Töchter und Söhne ganz gleich erziehen?

Schmiedel: Es wäre schön, wenn das ginge. Selbst ich bin nach 20 Jahren Genderforschung vor Stereotypen nicht gefeit. Es ist wahnsinnig schwer, diese uralten Muster abzulegen. Hätte ich einen Sohn, würde ich wahrscheinlich "Guck mal, ein Trecker!" rufen und mich selbst wundern. Genauso wie ich mich ärgere, wenn ich zu meinen Mädchen sage, wie "süß" sie aussehen. Wichtig ist, dass wir es immer wieder versuchen und nicht aufgeben. Ich verbanne zwar Lillifee nicht aus den Kinderzimmern, hänge aber einen Boxsack daneben.

dieStandard.at: Sie sind also optimistisch, dass uns Gendering weiterbringt?

Schmiedel: Aber ja! Alleine im letzten Jahr ist viel passiert. Ich hatte im Frühjahr die Idee, Pinkstinks zu gründen, ein paar Monate später musste ich ständig Interviews geben. Viele Menschen schreiben uns, dass unsere Webpage sie anregt, über Geschlechterrollen nachzudenken. Und heute habe ich eine Außenwerbung von Tui mit einem Mädchen gesehen, die als Piratin verkleidet ist. Letztes Jahr ist "Toward the Stars" gegründet worden, eine Online-Verkaufsplattform für "starke Produkte für starke Mädchen". Ich denke, wir sind eine neue Generation Feministinnen und Feministen, die dank sozialer Netzwerke neue Möglichkeiten haben.

dieStandard.at: Wie schauen die Kampagnen von Pinkstinks aus?

Schmiedel: 2012 kritisierte Pinkstinks das Cover der "Hamburger Morgenpost", das ein C&A-Bikinimodel in der typischen "Bin ich schön genug?"-Pose zeigte. Nach ein paar Tagen war die Werbung aus ganz Deutschland und dem Internet verschwunden. Im Sommer starteten wir eine Petition gegen die Winx-Feen in rosa Überraschungseiern von Ferrero und kamen damit in fast jede deutsche Tageszeitung.

Einige Wochen waren die Überraschungseier ganz vom Markt verschwunden, jetzt sind sie wieder da: ohne Winx, dafür mit Barbie. Aber immerhin sind die Mini-Barbies nicht ganz so sexualisiert und dürr wie die Winx-Feen. Und auch der deutsche BR-Spielwarenkatalog zeigte sich zum Advent 2012 von einer ganz neuen Seite: Jungs spielten mit Spielbügeleisen und Puppen.

dieStandard.at: Welche Aktivitäten betreiben Sie derzeit?

Schmiedel: Unsere nächste Kampagne wird sich gegen die Kriterien des Deutschen Werberats richten, der sexistische Werbung nur selten abmahnt. Dazu starten wir Ende Jänner eine großangelegte Petition, bei der viele deutsche Mädchen-Sozialarbeitsorganisationen wie Terre des Femmes mitmachen. Gleichzeitig werden wir mit einem Straßentheater durch Deutschland ziehen, um die Petition zu bewerben. Unter dem Slogan "Einfach TOP - ohne MODEL!" wird es am 23. Februar in mehreren deutschen Städten Flashmobs zum Thema geben, um die Bewerbung der neuen Staffel von "Germany's next Topmodel" zu kritisieren.

dieStandard.at: Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft der Geschlechter?

Schmiedel: Viele fragen uns, wie Mädchen und Jungen unserer Meinung nach "sein" sollten. Wir haben kein Bild vor Augen und wollen der Pinkifizierung kein perfektes Bild entgegensetzen, denn das wäre nichts anderes als ein weiteres Diktat.

Was wir uns von Herzen wünschen, ist Diversität: Prinzessinnen und Prinzen, Piratinnen und Piraten oder am liebsten ganz neue Rollen, die nicht auf Märchen oder alten Mythen beruhen, die von jeher feste Geschlechterrollen porträtieren. Wir lesen beispielsweise gerade Tove Janssons "Mumins", da sind wunderbare Figuren in wunderbarer Sprache gezeichnet. (Dagmar Buchta, dieStandard.at, 13.1.2013)