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Maria Sveland zeigt in ihrem neuen Roman Strukturen auf, die Gewalt begünstigen.

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Julia und Emma sind dickste Freundinnen. Wenn sie zusammen durch die Wälder streichen, scheint es keine Außenwelt zu geben. Zu einer Symbiose verschmolzen, vergessen sie dann alle widrigen Umstände, die das Leben für die 13-jährigen Mädchen Ende der 80er in einer schwedischen Kleinstadt bereithält. Ein kleines Kunststück für die beiden, das nicht mehr gelingen will, als das offenkundig Schreckliche alles Versteckte und Verdrängte an die Oberfläche quellen lässt.

"Häschen in der Grube" ist das zweite Buch der Schwedin Maria Sveland, das auf Deutsch erscheint. Ihr Debüt "Bitterfotze" (2009) wurde ein radikaler Roman darüber, wie weit es im Gleichberechtigungs-Vorzeigeland Schweden her ist mit der fairen Verteilung der Kinderbetreuung, der modernen Vaterschaft und den Möglichkeiten für frischgebackene Mütter, auch außerhalb ihrer Mutterrolle ein Leben zu führen. Sveland gelang damit ein starkes feministisches Statement über die riesige Kluft zwischen vorbildlichen Regelungen und Gesetzeslagen und dem tatsächlichen gesellschaftlichen Status quo.

Gewalt - ein "Frauenthema"?

In ihrem neuen Roman beschäftigt sich Sveland mit sexueller Gewalt, einem "Frauenthema", wie es auf der Rückseite des Buches heißt. Doch vielmehr ist es ein riesiges gesellschaftspolitisches Problem, das weltweit enormes Leid verursacht und dennoch konsequent nachlässig behandelt wird.

Die Hauptfiguren Julia und Emma kommen aus völlig unterschiedlichen Familien. Emma lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter ein wenig konventionelles Familienleben. "Blut ist dicker als Wasser" gilt für ihre Mutter Annika nicht, FreundInnen gehen ein und aus, es herrscht zwar Chaos, dafür gibt es aber viel emotionale Wärme, und zwischen Mutter und Tochter scheint ein mehr freundschaftliches denn hierarchisches Verhältnis zu herrschen. Doch selbst wenn das Leben von Annika und ihrer Tochter Emma dem anfänglichen positiven Eindruck nicht standhält, ist es immer noch besser als das von Julia. Ihr Zuhause ist dem Emmas diametral entgegensetzt.

Julias Mutter Gisela widmet sich hingebungsvoll ihren Hausarbeiten, schrubbt das Haus und tischt jeden Mittag pünktlich das Essen auf. Doch das alles rettet die Stimmung, die im perfekt eingerichteten Heim herrscht, nicht. Papa Carl will eigentlich allein sein, aber zu einem Mann in seiner Stellung - mittleres Management in einer Autofabrik - gehört nun mal eine Familie. Mutter Gisela fühlt sich an der Seite von Carl, der im Gegensatz zu ihr aus einer "guten Familie" kommt, irgendwie deplatziert. Dennoch meint sie dankbar sein zu müssen, dass ihr Gatte sie in den gehobenen Mittelstand gerettet hat.

Es ist nirgends sicher

Doch wie überall sonst ist es auch in dieser Schicht für Frauen nicht sicher. Diese Aussage - oder sollte man sagen: Warnung? - kristallisiert sich im Laufe der Geschichte von Emma, Julia und deren Müttern immer deutlicher heraus. Und: Frau darf sich keine Hilfe und keinen Schutz vor physischer, sexueller oder psychischer Gewalt erwarten; nicht von der Polizei, nicht von zuständigen SozialarbeiterInnen, nicht von der Justiz.

In "Häschen in der Grube" wird ein schreckliches Geheimnis vom nächsten furchtbaren Ereignis abgelöst, die Abgründe werden immer tiefer. In Summe ist es eine unglaubliche Menge an Übergriffen, denen praktisch alle Protagonistinnen im Buch ausgeliefert sind. Und sie passieren auf allen Ebenen: vom Missbrauch einer Machtposition im Job bis hin zum konkreten sexuellen Übergriff im eigenen Bett. Durch diese nicht abreißen wollende Gewaltspirale wirkt die Geschichte von Julia, Emma und Co stellenweise wie ein vorhersehbarer Horrorfilm.

Irritierend ist auch, dass "Häschen in der Grube" in den 80er-Jahren angesiedelt ist. Kein Problem, das Sveland in ihrem Roman anspricht, hat sich seither gegenwärtig erledigt oder maßgeblich verbessert. Die Schwierigkeit, sexuelle Gewalt nachzuweisen, die verbreitete Annahme, dass Mädchen und Frauen Übergriffe erfinden, nur um zu diffamieren, oder die unerträglichen Situationen, in die Opfer von sexueller Gewalt kommen, wenn sie die Tat zur Anzeige bringen: Um dies alles zu beschreiben, braucht es keine Zeitreise in die Vergangenheit.

Nicht zu beschreiben

Dennoch findet Sveland meistens den richtigen Ton, um sich dem Thema sexuelle Gewalt zu nähern. Das gelingt ihr vor allem deshalb, weil sie die Folgen von Vergewaltigung und sexuellen Übergriffen für die Opfer als unbeschreibbar stehen lässt. Die Autorin reduziert ihre Darstellung auf eine eindrückliche Beschreibung einer Isoliertheit, die die betreffende Figur in eine völlig andere Lebenswelt abgleiten lässt. Sveland maßt sich damit keine näheren psychologischen Spekulationen über die Gefühle eines Opfers von sexueller Gewalt an.

Auch gelingt es Sveland mit ihrem Roman, einige Strukturen offenzulegen, die sexuelle Gewalt begünstigen und sie ungehindert zirkulieren lassen. Sie beschreibt ein Netz von Abhängigkeiten, das durch die wenigen Aufmerksamen und Engagierten kaum löchrig werden kann. Ein trostloser Roman voller realer Grausamkeiten. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 20.1.2013)