Karin Neuwirth: "Mutig in der einen Richtung zu sein, nämlich Mütter und Väter gleich zu stellen, würde uns bei der faktischen Realität der Ungleichheit hängen lassen."

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Kaum ein gesellschaftspolitisches Thema hat im vergangenen Jahr die Gemüter so sehr erhitzt wie die Rechte und Pflichten von Vätern. Die Familienrechtsnovelle 2013, die nun im Februar schrittweise in Kraft tritt, ermöglicht es erstmals auch unehelichen Vätern, einen Obsorge-Antrag gegen den Willen der Mutter zu stellen. Karin Neuwirth, Juristin und stellvertretende Vorsitzende des Instituts für Legal Gender Studies in Linz, schätzt diese Entwicklung positiv ein, auch wenn das Prinzip der Gleichstellung in diesem Fall zu einer Beschneidung mütterlicher Rechte geführt hat.

Die Expertin beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit geschlechterpolitischen Implikationen des österreichischen Familienrechts und aktuell mit der Situation der "neuen Väter". Über die Crux eines modernen Familienrechts in einer traditionellen Gesellschaft gibt sie im Gespräch mit dieStandard.at Auskunft.

dieStandard.at: Sie haben das österreichische Familienrecht auch historisch untersucht. Wurden Väter vor der aktuellen Novelle tatsächlich diskriminiert?

Karin Neuwirth: Es gab eine Diskriminierung von unehelichen Vätern, also dort, wo die Eltern nie in einer häuslichen Gemeinschaft gelebt haben. Durch die internationale Judikatur musste diese beseitigt werden: Jetzt haben also auch uneheliche Väter das Antragsrecht auf Obsorge, ohne dass die Mutter grundlos widersprechen kann.

Der zweite Punkt betraf die gesetzliche Formulierung: Die Gerichte mussten nach bisheriger Rechtslage entscheiden, wer von beiden de facto besser geeignet ist, das Kind zu betreuen. Die Väter konnten nicht schlicht sagen: "Ich will auch", sondern mussten darlegen, dass die Mutter dem Kindeswohl im Wege steht, wenn sie die gemeinsame Obsorge wollten.

dieStandard.at: KritikerInnen der Novelle betonen, dass es sich bei den strittigen Fällen nur um eine kleine Minderheit handle, für die es keine neue Gesetzgebung brauche.

Neuwirth: Es stimmt, dass die allermeisten Scheidungen einvernehmlich ausgesprochen werden. Allerdings liegt dies nicht unbedingt daran, dass sich die Ex-PartnerInnen wirklich einig sind. Vielfach sind das einfach die billigeren Verfahren. Die Konflikte gehen dann weiter bei der Obsorge oder den Kontaktregelungen. Mit der neuen Regelung wurde diese Situation insofern entschärft, als jetzt auch bei den einvernehmlichen Scheidungen zum Zeitpunkt der Scheidung eine Obsorge- und Besuchskontakte-Regelung getroffen werden muss.

dieStandard.at: Hat sich die Regierung bei der Novelle von der Väterrechtsbewegung treiben lassen?

Neuwirth: Dieser Eindruck entstand in der Öffentlichkeit, aber ich teile ihn nicht. Die neue Regelung ist eine sehr ausgewogene und erteilte der Forderung nach einer Automatik der gemeinsamen Obsorge eine klare Absage. Diese hätte impliziert, dass die genetische Elternschaft prädestiniert, für das Wohl der Kinder zu sorgen. Der Gesetzgeber verneint dies und belässt es dabei, dass bei unehelich geborenen Kindern das Sorgerecht zunächst der Mutter gehört. Erst über Antragsweg können Väter die gemeinsame oder die alleinige Obsorge beantragen.

dieStandard.at: Alle ExpertInnen sind sich darüber einig, dass das Kindeswohl entscheidend sein soll bei der Obsorge-Entscheidung. Der Ansatz ist zweifelsohne wichtig, doch vernebelt dieser Fokus nicht auch ein wenig den Blick auf die Verteilung der Betreuungspflichten zwischen den Eltern?

Neuwirth: Zunächst: Das Kindeswohl umfasst alle Aspekte, die für die kindliche Entwicklung wichtig sind. Das Gericht mutet keinem Kind zu, mit einer kontaktunfähigen oder -unwilligen Person eine Eltern-Kind-Beziehung haben zu müssen. Hier ist auch ganz klar definiert, dass das Kind gewaltfrei und ohne psychischen Stress aufwachsen soll.

Die Kinderrechte sind ein Perspektivenwechsel, der eigentlich schon in den 1970ern mit dem Fall der väterlichen Gewalt begonnen wurde und die Obsorge eingeführt hat. Es geht nicht um Rechte und Ansprüche der Eltern, sondern um das Kind. Diese in meinen Augen positive Entwicklung entlastet uns aber nicht, die Geschlechterdebatte weiter zu führen. Wir müssen auch immer darauf schauen, ob die Gleichstellung bereits erreicht ist.

dieStandard.at: Die Frage, was Gleichstellung in Bezug auf Familie bedeutet, ist allerdings nicht leicht zu beantworten.

Neuwirth: Wir müssen hier zwischen der juristischen und der faktischen Situation unterscheiden. Juristisch ließe sich die Hausfrauen-Ehe, die ja durchaus noch gelebt wird, im Sinne der Gleichstellung einfach abschaffen. Das würde aber viele Änderungen im Sozialversicherungsrecht nach sich ziehen.
Faktisch wird in Österreich eher ein Zwischenmodell gelebt, das bei vielen Frauen zu einer Ungleichbehandlung führt, weil sie die Verluste bedingt durch Familienzeit nicht mehr aufholen können.

dieStandard.at: Bei der Diskussion zum Familienpaket entstand manchmal der Eindruck, dass die SPÖ - entgegen ihren sonstigen politischen Forderungen - das traditionelle Familienmodell mit einer starken Mutterverantwortung in der Kindererziehung bewahren wollte. Was ist hier passiert?

Neuwirth: Man kann diese Haltung sehr gut anhand des Frauenpensionsalters erläutern. Juristisch wurde entschieden, dass das unterschiedliche Antrittsalter gleichheitswidrig ist. Doch im Wissen um die gesellschaftliche Realität schuf die SPÖ eine Übergangsregelung im Verfassungsrang, um diese Gleichstellung nicht umsetzen zu müssen. Faktisch war das ein Schutz der sozial Schwächeren.

Ähnlich sehe ich ihre Position in der Obsorge-Debatte. Man kann nicht sagen, dass die SPÖ-Frauen hier ein Zurück zu alten Rollenmodellen forderten. Es überwog die Sorge, dass eine übergangslose Gleichstellung faktisch zu Lasten der Frauen wirken würde. Deshalb vertreten sie diese Beharrungshaltung, was manchmal etwas anachronistisch wirkt.

dieStandard.at: Während die ÖVP mehr auf Eigenverantwortung und Wahlfreiheit abzielt?

Neuwirth: Ein Mehr an Väterrechten konnte von der ÖVP als Verwirklichung der Wahlfreiheit verbucht werden, ja. Der Schutz der sozial Schwächeren gehört auch nicht zu ihrem Parteiprofil.

dieStandard.at: Wie könnte dieses Dilemma zwischen erwünschter Gleichstellung und gelebter Ungleichheit aufgelöst werden?

Neuwirth: Mutig in der einen Richtung zu sein, nämlich Mütter und Väter gleichzustellen, würde uns bei der faktischen Realität der Ungleichheit hängen lassen. Aufgrund der Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern entscheiden Familien weiterhin so, dass die Frauen als geringer Verdienende zu Hause bleiben und damit Sozialversicherungsansprüche verlieren.

Um aus diesen Modellen herauszukommen, müsste man im Prinzip staatlich angeordnete Gleichstellung praktizieren. Das hieße: verpflichtende Karenzzeiten für Väter, verpflichtende Betreuungszeiten für beide Elternteile und eine Umstrukturierung unseres Arbeitslebens - also Arbeitszeitverkürzungen, um Vereinbarkeiten erreichen zu können. Dann sind wir aber wieder bei der Frage, inwieweit der Staat in Entscheidungsfreiheiten seiner BürgerInnen eingreifen darf. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 24.1.2013)