Bild nicht mehr verfügbar.

Zubereitung eines Drogenersatzmittels in der Apotheke.

Foto: APA/Georg Hochmuth

In Österreich befinden sich derzeit etwa 17.000 Patienten in einer Opioid-Substitutionstherapie. Lisa R.* ist eine davon: Die Journalistin war heroinsüchtig und lebt seit 13 Jahren im Substitutionsprogramm. Ihre Medikamente ermöglichen ihr ein normales Leben, von präventiven Maßnahmen hält sie wenig.

derStandard.at: Heroinsüchtige, egal ob im Substitutionsprogramm oder nicht, werden von der Bevölkerung als verwahrloste Junkies wahrgenommen. Was unterscheidet Sie von diesen Menschen?

Lisa R.: Ich lebe seit mehr als 13 Jahren in diesem Programm und bin sehr stabil. Im ersten Jahr habe ich vielleicht noch fünfmal begleitend zu meinen Medikamenten Heroin konsumiert. Danach nie wieder. Ich nehme morgens und abends meine Tablette ein, lebe aber ansonsten wie jeder andere ein ganz normales Leben.

Die Menschen, denen man auf der Straße begegnet, sind geprägt von Antriebslosigkeit. Ich kenne dieses Gefühl, diese Lust- und Kraftlosigkeit. Möglichkeiten werden einem nicht angeboten, deshalb vegetiert man in den Tag hinein, oft auch draußen, um nicht alleine zu sein. Diejenigen, die im Substitutionsprogramm sind, verkaufen ihre Medikamente, um an Heroin zu kommen. Der Schwarzmarktwert einer solchen Tablette ist ja ziemlich hoch.

derStandard.at: Müssen diese Patienten die Substitutionsmedikamente denn nicht unmittelbar vor dem Apotheker konsumieren?

Lisa R.: Ich nicht. Es ist vom betreuenden Arzt abhängig und davon, welchen Eindruck der Amtsarzt beziehungsweise Apotheker von dem Patienten gewinnt. In meinem Fall konnte ich vermitteln, dass ich stabil bin. Da ich einen geregelten Tagesablauf besitze und einer beruflichen Tätigkeit nachgehe, bekomme ich meine Medikamente immer im Voraus für eine ganze Woche verabreicht.

derStandard.at: Was bringt das für einen Vorteil?

Lisa R.: Einen großen, denn in einer Apotheke steht der Suchtpatient in einer Reihe mit anderen Kunden, die gerade auf ihr Aspirin oder ihre Nasentropfen warten. Dann kommt der Apotheker mit seinem Morphiumordner und öffnet ihn. Die Namen darin und auf dem Rezept sind für jeden ersichtlich. Der Betroffene ist total exponiert. Mein Apotheker verschwindet, sobald ich komme, nach hinten, verpackt die Medikamente in ein normales Sackerl und gibt mir dieses dann. Kein Mensch bekommt dabei mit, dass es sich um Morphin retard handelt.

derStandard.at: Wie ist das beim Amtsarzt?

Lisa R.: Auch nicht anders. Einmal im Monat gehen Substitutionspatienten zum Amtsarzt, um ihr Suchtgiftrezept stempeln zu lassen. Also man geht nicht direkt zum Amtsarzt, sondern legt das Rezept vor und wartet, bist es gestempelt wird. Irgendwann kommt der Amtsarzt dann in den Warteraum - da, wo auch alle anderen Patienten sitzen -, verkündet den Namen, und gleichzeitig brüllt er, dass das Substitutionsrezept abgestempelt ist. Ich habe mit der Amtsärztin schon vor Jahren ausgemacht, mich in das Arztzimmer zu holen.

derStandard.at: Es ist also wichtig für Sie, dass Ihre Umgebung davon nichts mitbekommt. Wissen Ihre Familie und Ihr Arbeitgeber Bescheid?

Lisa R.: Nein, es gibt genau drei Menschen, die davon wissen. Das sind mein jetziger Lebenspartner und zwei Menschen, die mich im Laufe meiner Drogenkarriere begleitet haben.

derStandard.at: Wie lebt es sich damit, immer schweigen zu müssen?

Lisa R.: Es ist Gewohnheit, und mir ist es lieber so. Es schützt mich vor Stigmatisierung. Ich finde es bedauerlich, dass niemand ein Problem damit hat, wenn Schmerzpatienten Morphium bekommen. Beim Substitutionspatienten will das keiner, weil der ist und bleibt der klassische Junkie, der auf der Straße herumliegt, alten Frauen die Handtaschen klaut und versucht, irgendwie an Geld heranzukommen. Sucht wird allgemein als Zeichen von Schwäche und nicht als chronische Erkrankung betrachtet.

derStandard.at: Macht Sie das Morphin retard high?

Lisa R.: Nein, die Substitution verfolgt ja nicht das Ziel, berauscht zu sein, sondern hält den Morphinspiegel aufrecht, den der süchtige Organismus braucht. Wenn ich das Medikament verspätet einnehme, merke ich relativ schnell, dass ich zu schwitzen beginne und unruhig werde. Nehme ich die Tablette ein, dann geht es mir sehr rasch körperlich wieder besser. Wenn ich also meinen Einnahmenrhythmus einhalte, verspüre ich weder in der einen noch in der anderen Richtung irgendeine Wirkung.

derStandard.at: Das Substitutionsprogramm ermöglicht also ein normales Leben?

Lisa R.: Genau, und gibt den Betroffenen dazu die Möglichkeit, nicht permanent ihren Drogen hinterherlaufen zu müssen. Ich selbst musste, bevor ich mit der Drogenersatztherapie begonnen habe, monatlich neben den Lebenserhaltungskosten zwischen 50.000 und 70.000 Schilling aufbringen, um die Drogen zu erwerben. Der Druck ist also hoch und der Grat hin zur Kriminalisierung ist tatsächlich schmal.

derStandard.at: Waren es vor allem die finanziellen Gründe, die sie dazu bewogen haben, an dem Substitutionsprogramm teilzunehmen?

Lisa R.: Es ging gar nichts mehr. Ich habe mein Studium vernachlässigt, mein Konto war weit überzogen, und ich musste jede Nacht als Kellnerin arbeiten, um an Geld zu kommen. Irgendwann habe ich es auch mental nicht mehr geschafft. Ich wollte nicht mehr täglich irgendwo hinfahren und irgendeinen Dealer treffen. Es war furchtbar.

derStandard.at: Wie war Ihr Einstieg in das Programm?

Lisa R.: Ich bin zufällig einem Mädchen über den Weg gelaufen, mit dem ich zuvor gemeinsam in einer Studenten-WG gewohnt hatte. Sie war bereits im Substitutionsprogramm und hat mir dann eine Woche einen Teil ihrer Substitutionsmedikamente überlassen. Damit wollte sie mir zeigen, wie es sich anfühlt, wenn man nicht mehr jeden Tag Drogen besorgen und konsumieren muss. Mit Hilfe ihrer Medikamente habe ich dann die Zeit bis zu meinem ersten Termin bei meiner Ärztin überbrückt. Die war im Übrigen am Anfang etwas sauer darüber, weil ihr das Mädchen quasi die Möglichkeit genommen hatte, mich auf ein anderes Medikament einzustellen.

derStandard.at: Ist die Drogenersatztherapie auf einen langfristigen Entzug ausgelegt?

Lisa R.: In erster Linie ist sie darauf ausgelegt, einen Menschen zu stabilisieren, ihm die Möglichkeit zu geben, einen ganz normalen Alltag zu erleben, ohne diesen Stress, Geld und Drogen besorgen zu müssen. Sobald ein Patient stabil ist, wird auch eine sukzessive Reduktion angestrebt, so lange, bis die erforderliche Opiatmenge so gering ist, dass auf ein alternatives, schwächer wirksames Medikament umgestellt werden kann. Der Entzug, der dabei entsteht, ist angeblich nicht so massiv und kann mit begleitenden Medikamenten wie Schlafmitteln reduziert werden.

derStandard.at: Wo stehen Sie nach 13 Jahren Therapie?

Lisa R.: Ich wurde bereits zweimal reduziert, schätze also, dass ich mich ungefähr auf halbem Weg befinde. Ich bin aber selbst die Bremse. Meine Ärztin fragt mich immer wieder, ob ich reduzieren will, aber ich habe Angst vor den körperlich unangenehmen Zuständen. Ich weiß aber, dass es bald so weit sein wird.

derStandard.at: Sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Lisa R.: Ich kann nicht für andere sprechen, aber ich hätte mir am Anfang mehr Aufarbeitung gewünscht. Ich weiß bis heute nicht, warum ich diesen Weg gegangen bin. Ich weiß nicht, war es Neugier, jugendlicher Leichtsinn, der Tod eines Partners, Veranlagung oder einfach nur Blödheit? Ich würde es gerne wissen, um es besser verarbeiten zu können.

derStandard.at: Wäre Ihnen bei entsprechender Prävention eine Drogenkarriere erspart geblieben?

Lisa R.: Ich erinnere mich, dass wir in der Schule "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" von Christiane F. vorgeführt bekamen. Auf 90 Prozent der Schüler hat dieser Film abschreckend gewirkt. Zehn Prozent haben gesagt: "Das will ich auch." Meiner Meinung nach ist Prävention in diesem Bereich nicht wirklich möglich.

derStandard.at: Warum nicht?

Lisa R.: Weil viel vom Umfeld abhängt. Wenn ein Mensch mit den "falschen" Leuten zusammentrifft und nebenbei auch noch einen Suchtcharakter besitzt, dann wird er es in jedem Fall ausprobieren, egal ob in der Schule präventive Maßnahmen getroffen wurden oder nicht. (Regina Walter, derStandard.at, 21.2.2013)