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Lena Dunham als Hannah Horvath.

Foto: HBO, JoJo Whilden/AP

Was haben wir uns gewundert. Carrie Bradshaw arbeitete in "Sex and the City" lediglich an einem kleinen Kolümnchen, und trotzdem konnte sie sich Designerklamotten und tägliche Restaurant-Besuche in einer der teuersten Städte der Welt leisten. Serienerfinderin, Produzentin und Schauspielerin Lena Dunham hat dieses Bild wieder etwas korrigiert: Hannah Horvath (Dunham), eine der Heldinnen der Serie "Girls", ist auch Autorin, die sogar sehr viel Zeit an ihrem Laptop verbringt. Das Davon-leben-Können steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt, von teuren Lokalen und Luxus-Schnickschnack kann keine Rede sein. Und trotzdem lässt sich offenbar einiges in New York erleben.

"Girls" (siehe dazu auch das dieStandard.at-Fernsehauge) startete 2012 in den USA auf dem Sender HBO. Im Zentrum der Serie stehen vier New Yorkerinnen Mitte zwanzig, die überqualifiziert in schlecht bezahlten Jobs arbeiten, seltsame Beziehungen führen und in einem Bohème-Dasein festhängen, in dem ihnen durch ihre recht gut situierten Familien im Hintergrund finanziell letztlich aber nur wenig passieren kann.

Unglamouröse  Alltagsthemen

Die Serie hat inzwischen zahlreiche Preise eingeheimst und erfreut sich frenetischen Beifalls und lebehafter Debatten im US-amerikanischen Feuilleton. Seit dem Start der zweiten Staffel Anfang dieses Jahres entflammt das Interesse an der Serie erneut, und auch im weniger populärkulturaffinen Europa zieht sie mittlerweile ihre Kreise. Um einiges schneller als die TV-Kritik und FeuilletonistInnen entdeckte allerdings die feministische Community "Girls", wie ein Blick auf Twitter und Facebook zeigt, wo die Fans über die Serie diskutieren oder sich zum kollektiven Schauen verabreden.

So macht es etwa Philosophin, Ethikerin und "Girls"-Fan Michaela Moser. "Das sind Frauen aus Fleisch und Blut und nicht alles Supermodels", sagt Moser. Der mutige und uneitle Umgang mit Durchschnittskörpern, allen voran der von Dunham selbst, ist einer der Gründe, warum die Serie gerade in feministischen Kreisen zu einer großen Sache wurde. Ausnahmsweise werden einmal nicht untergewichtige und völlig durchtrainierte Körper als Norm präsentiert. Auch die Auseinandersetzung mit unglamourösen  Alltagsthemen wie Geldsorgen und Stress mit WG-Mitbewohnerinnen schätzt Moser.

"Ein kleines Arschloch"

Während die Protagonistinnen mit diesen Schwierigkeiten kämpfen, erweisen sie sich vielfach nicht gerade als Sympathieträgerinnen. "Hannah benimmt sich oft wie ein kleines Arschloch", meinte Lena Dunham in einem Interview über ihre Figur.

Die Kulturjournalistin Karin Cerny stuft die Serie sogar in erster Linie als Porträt einer "Generation Egoman" ein: Keine Solidarität zwischen den Freundinnen, jede ist sich selbst am nächsten. "Sensibilität wird kleingeschrieben, oder dass man für eine Freundin da sein sollte", so Cerny. Während in Serien wie "Sex and the City" ausführlich darüber diskutiert wurde, was zwischenmenschlich akzeptabel ist und was nicht, gäbe es in "Girls" keinerlei moralische Konsequenzen. Als Zuschauerin könne sie nur wenig Mitgefühl für diese "Egomaschinen" aufbringen, denn. "Sie bekommen eben leider - böser Neokapitalismus - nicht alles, von dem sie glauben, dass es ihnen automatisch zusteht. Letztendlich ist das Kleinkind-Tyrannei", so Cerny. "Man ist froh, nicht mehr Teil dieser Generation zu sein, die relativ wenig über ihren eigenen Tellerrand hinaus blickt".

Apropos Neokapitalismus: Obwohl alle über eine gute Ausbildung verfügen, sind die Protagonistinnen von einem gut bezahlten Job weit entfernt. In dieser Hinsicht scheint sich die Lebensrealität der jungen New Yorkerinnen wenig von den Bedingungen in Österreich zu unterscheiden. Auch Cerny sieht mit diesem Stoff durchaus den Zeitgeist getroffen: "Sie stoßen auf eine neoliberale Welt, in der ewige Praktikantinnen fix Angestellten vorgezogen werden." Auch für Film- und Kulturwissenschaftlerin Andrea Braidt ist der Fokus auf Erwerbsarbeit, Einkommenslosigkeit und die "New Poor" im Sinne der Generation Praktikum etwas Neues in einer TV-Serie.

Sex einmal ohne große Gefühle

So unglamourös die Jobs und Wohnungen der "Girls"-Heldinnen sind, so sind auch ihre sexuellen Erlebnisse. Im Gegensatz zu vielen anderen Serien steht Sex in "Girls" nicht in einem notwendigen Zusammenhang mit schöner Unterwäsche, perfekten Körpern und großer Liebe. Für Braidt zeugt das von einem emanzipierten Zugang zum Sex, der "vergleichsweise unprüde" präsentiert werde: "Die Protagonistin weiß guten Sex zu schätzen, auch wenn dieser nicht unbedingt mit romantischen Gefühlen deckungsgleich ist." Viele amerikanische Serien- und Filmerzählungen würden hingegen "wahre Liebe" mit "gutem Sex" synchronisieren, so Braidt.

Geldprobleme, Alltagsstress und hin und wieder eine gute Party - für Moser sind die Inszenierungen in "Girls" im Vergleich zu anderen Serien am "nähesten zu unserer Welt". Braidt bezweifelt allerdings, dass es vor allem die Identifikation mit den Figuren ist, die eine Serie anziehend macht. Das Empathisieren mit der erzählten Welt spielt ihrer Einschätzung nach eine größere Rolle. Eine komplexe und nicht vorhersehbare Erzählweise vorausgesetzt, liege der Spaß vor allem darin, den Figuren beim Lösen von Liebes- oder anderen Konflikten zuzusehen.

Und weil die Flut an Konflikten für die "Girls" auch in der zweiten Staffel nicht abreißen will, werden wohl auch die Debatten über die Serie noch einige Zeit weitergehen. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 24.3.2013)