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Brigitte Hornyik: "Es ist geradezu geboten, bis zur Erreichung der tatsächlichen Gleichheit von Frau und Mann Frauen anders zu behandeln".

Foto: apa/Frank Rumpenhorst

Auch Frauen sind hochgradig gewalttätig, und wenn Männer Schandtaten begehen, steht meist auch eine Frau hinter ihnen, die sie anfeuert. Diese These möchte die Autorin eines kürzlich erschienenen "Zeit"-Artikels mit vielen konkreten Beispielen belegen. "Einigen Frauen wird es ganz recht sein, dass man von ihnen annimmt, sie seien harmlos", schreibt Elisabeth Raether.

Dass Frauen eben alles andere als "harmlos" seien, und damit nicht nur Opfer, war auch im Zuge der Debatte um Alltagssexismus vielerorts zu hören und zu lesen.  Auch Männer seien Zudringlichkeiten von Frauen am Arbeitsplatz und auf der Straße ausgesetzt. Und nicht nur dem Problem der sexuellen Belästigung von Frauen wird erfolgreich die Relevanz abgesprochen, Parallelen gibt es auch beim Thema Gewalt gegen Frauen: VertreterInnen der Position, Frauenhäuser gehörten längst abgeschafft, wird regelmäßig Platz auf diversen Kommentarseiten eingeräumt. 

Und auch die Autorin Christine Bauer-Jelinek brachte sich mit ihrem Buch "Der falsche Feind. Schuld sind nicht die Männer" und der Aussage, dass die Geschlechterverhältnisse Frauen längst nicht mehr diskriminieren, sondern diese sich schlicht selbst zum Opfer stilisieren, erfolgreich ins Gespräch.

Sollen frauenpolitisch Engagierte auf diese Diskurse näher eingehen? Sind sie nur als destruktive Zwischenrufe zu werten, oder bringen sie doch bisher Übersehenes in feministische Debatten ein?

Ungleichbehandlung ist geboten

Die Verfassungsjuristin Brigitte Hornyik kennt die Antwort "Männerdiskriminierung" auf Berichte, Statistiken und Zahlen, die eine Benachteiligung von Frauen belegen, seit langem. Als Österreich Anfang der 80er-Jahre die Ratifikation der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen (CEDAW) vorbereitete, habe es bereits die gleichen Reaktionen gegeben. "Schon damals war das Argument gegen den Artikel 4, der die Zulässigkeit vorübergehender Fördermaßnahmen zur Beseitigung der Benachteiligung von Frauen enthielt: Das ist ja Männerdiskriminierung!“, erzählt Hornyik, Vertreterin des Vereins Österreichischer Juristinnen im Österreichischen Frauenring.

Damals wie heute lautet ihre Antwort: Nein, das ist keine Diskriminierung von Männern. Nach wie vor sei die Situation von Frauen und Männern eine andere, "daher ist es geradezu geboten, bis zur Erreichung der tatsächlichen Gleichheit von Frau und Mann Frauen anders zu behandeln". Zahlen der Statistik Austria und auch europäische Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Österreich hat eine große Einkommensschere (23,7 Prozent) (Zahlen, Daten, Fakten zur Lohnschere). Fakten wie diese dürften auch beim Thema Gewalt nicht aus dem Blickfeld geraten, so Hornyik. Die Männerquote unter wegen Mordes oder Vergewaltigung verurteilten Personen beträgt seit Jahren nahezu 100 Prozent. 88 Prozent der KlientInnen der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie sind Frauen, 92 Prozent der Gefährder sind männlich. 2011 standen in Wien 3.488 weibliche Opfer 471 männlichen Opfern gegenüber.

Blind für Täterinnen?

Und was, wenn RichterInnen für Frauen als Täterinnen blind sind, wie im erwähnten "Zeit"-Artikel erwogen? Oder FamilienrichterInnen erst gar nicht auf die Idee kommen, dass auch Frauen schlecht für ihre Kinder sorgen könnten, wie in den Obsorge-Debatten von Männerrechtlern immer wieder eingewendet wird?  "RichterInnen sind auch nur Menschen, und ihre Prägungen und Werte fließen in die Rechtsprechung ein. Ein Väterrechtler wird mit Sicherheit die eine Richterin zitieren, von der er sich als Gewalttäter vorverurteilt fühlte", sagt Hornyik. Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen könnten hingegen von vielen Fällen berichten, in denen berufstätige Mütter bei Gericht als "Karrierefrauen" schlechtgemacht worden seien, die sich nicht um ihre Kinder gekümmert hätten. Bei Schilderungen von konkreten Fällen müsse daher immer auch die andere Seite gehört werden, außerdem sei kein Fall wie der andere, weiß die Juristin nach fast über 35 Jahren im öffentlichen Dienst. "Bitte keine Pauschalurteile!", betont sie.

Ob man Frauen nun nachsagt, dass sie sich als Opfer stilisieren, oder Männer glauben, sich selbst als Opfer präsentieren zu müssen - ob als Vater, Konsument oder von Frauen im Allgemeinen - für Hornyik ist das alles kein Zeugnis eines gesellschaftlichen Fortschritts. Ob Opfer oder nicht, "als in der Frauenpolitik engagierte Juristin erlaube ich mir, mich um die Missstände zu kümmern, die Frauen betreffen; da bin ich jedenfalls parteilich für die Frauen." Dennoch sieht sie auch Mängel in der Erforschung der Rolle von Männern, die sich aus manchen Statistiken nur schwer herauslesen lasse. Etwa in der Österreichischen Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern des Österreichischen Instituts für Familienforschung oder auch in einer repräsentativen Studie zu Gewalt an Frauen aus Deutschland. Für die Studie in Deutschland wurden 10.400 Frauen befragt, gleichzeitig wurde eine nicht repräsentative Studie zu Gewalt an Männern erstellt, befragt wurden 190 Männer. "Warum? Hat man nicht so viele männliche Gewaltopfer gefunden, oder wollte keiner darüber reden?", fragt Hornyik. Ein Dunkelfeld sei hier sicher vorhanden, aber: "Das ist Aufgabe der Männerpolitik, wir haben in der Frauenpolitik genug mit dem sogenannten Hellfeld zu tun."

Richtige Männerarbeit in Deutschland

Doch wie sieht es mit der hiesigen Männerpolitik oder der Männerarbeit im Allgemeinen aus? "In Österreich hinken wir da ziemlich hinterdrein", lautet das Urteil der Juristin, die im vergangenen Oktober an einer Männerkonferenz in Berlin teilnahm. "Ich war beeindruckt von den politischen Ansätzen in Deutschland und in der Schweiz: Da setzen sich Männer ganz aktiv und offen mit ihrer Rolle in Beruf, Familie, Gesellschaft auseinander." In Österreich fehlten allein schon für die Arbeit mit männlichen Gewalttätern die Ressourcen. Hornyik würde anstreben, dass sich Frauen- und Männerpolitik gemeinsam im Kampf um mehr finanzielle Ressourcen engagieren.

Letztlich gehe es darum, dass Frauen und Männer gleiche Chancen haben und ihr Leben - auch ihre Sexualität - selbst bestimmen können. "Und ja, da müssen Frauen ermutigt werden, auch über Sexualität und sexuelle Übergriffe offen zu sprechen, ihre Vergewaltiger, Belästiger, Grapscher anzuzeigen - das ist unsere Aufgabe in der Frauenpolitik." Und auch Männer sollten darüber sprechen lernen, wenn sie sich Übergriffen ausgesetzt fühlen und sich als benachteiligt sehen. Nur: Das sei nun einmal nicht Aufgabe der Frauenpolitik. (beaha, dieStandard.at, 11.4.2013)