Foto: Unilever Deutschland GmbH
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"Real Beauty Sketches" ist der Titel der neuesten Viralkampagne von Dove, der selbsternannten "Marke für wahre Schönheit". Im dreiminütigen YouTube-Clip, der seit seiner Veröffentlichung vor wenigen Wochen bereits über 26 Millionen Klicks erreicht hat, wird Gil Zamora, ein Phantombildzeichner vorgestellt. Während er am Zeichenbrett sitzt, nehmen neben ihm verschiedene Frauen Platz, verdeckt von einem Vorhang. Sentimentales Pianogeklimper.

Anleitung zur Selbsterkenntnis

Ohne sie sehen zu können fertigt Zamora nach deren Selbstbeschreibung jeweils ein Porträtbild an. Die eine Frau spricht von einem hervorstehenden Kinn, die andere von einer zu breiten Stirn, eine weitere von zu vielen Sommersprossen oder einem zu runden, dicken Gesicht. Anschließend zeichnet der ehemalige FBI-Mann ein zweites Bild derselben Frau – diesmal jedoch nach der Beschreibung einer anderen, ihm ebenfalls unbekannten Person. Und die fällt deutlich freundlicher aus. Der Fremdbeschreibung nach sind die Teilnehmerinnen dieses "sozialen Experiments", wie Dove es nennt, viel hübscher als nach deren eigenen Wahrnehmung.

Überraschung, Erschütterung und so manche Träne bei den porträtierten Frauen, die sich dem doppelten Ergebnis gegenüber sehen. Eine Situation, in der der Phantombildzeichner schon mal den Therapeuten raushängen lässt: "Und denkst du, du bist schöner als du selbst sagst?"

Ambivalente Message

"Dove deckt die dramatischen Unterschiede zwischen Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung anderer auf", erklärt das Kosmetikunternehmen aus dem Hause Unilever. Seit 2004 zelebriert es mit seinen "Initiativen für wahre Schönheit" den scheinbar "ganz normalen" weiblichen Alltagskörper. Um die Authentizität seiner Bemühungen zu unterstreichen, hat Dove eine internationale Studie in Auftrag gegeben, in der Frauen zur Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen befragt wurden. Der zufolge bezeichnet sich nur ein Prozent der österreichischen Frauen bzw. vier Prozent der Frauen weltweit als schön. 66 Prozent der Frauen in Österreich sagen, sie seien sich selbst gegenüber die größten Kritikerinnen, ebenso viele meinen, der größte Schönheitsdruck gehe von den Medien aus.

Es gibt wohl kaum eine Frau, die nicht schon mal mit "Lookism", also der Stereotypisierung oder gar Diskriminierung aufgrund der äußeren Erscheinung, konfrontiert worden ist. An dieser Erfahrung dockt die Dove-Werbung an und vollzieht einen "double bind": Sie hält mit den Spots den disziplinierenden Schönheitsdiskurs aufrecht ("Frauen sind schön"), gibt aber zugleich vor, Frauen vor dem Stress und den Selbstzweifeln, die dieser bei ihnen auslöst, bewahren zu wollen.

Selbstvertrauen statt Sexismus-Kritik

Die (mehrheitlich weißen) Frauen in "Real Beauty Sketches" sind nicht hässlich, weder zu dick noch zu dünn, aber offensichtlich auch nicht selbstbewusst genug, um sagen zu können: "Hey, ich sehe gut aus. Aber noch viel wichtiger ist, dass ich Intelligenz, Kompetenz und Humor besitze." Nein, noch immer ist Schönheit Thema Nummer eins, wenn eine von ihnen, stellvertretend für das weibliche Geschlecht, bekennt: "Ich sollte mir meiner natürlichen Schönheit stärker bewusst sein. Denn das hat schließlich auch Auswirkungen darauf, mit wem wir befreundet sind, für welchen Job wir uns bewerben oder wie wir unsere Kinder behandeln. Es hat einfach Auswirkungen auf alles! Unser ganzes Glück kann davon abhängen."

Erst wenn frau sich schön fühlt, fängt also das richtige Leben an. Und wer hat Schuld am mangelnden Selbstbewusstsein? Es sind nicht etwa Rollenbilder oder Sexismus, es sind die Frauen selbst. Zu allem Übel wird das falsche Selbstbild auch noch weiter vererbt: "Meine Mutter hat immer gesagt, ich habe einen breiten Kiefer", hören wir eine der Frauen sagen.

Dove geht es nicht darum, die Grenzen zwischen "hässlich" und "schön" infrage zu stellen. Stattdessen sollen Frauen dazu angehalten werden, "das volle Potenzial ihrer individuellen Schönheit zu entfalten, indem wir [Dove] Produkte entwickeln, die auf die persönlichen Bedürfnisse ihrer Haut und Haare eingehen." Vielleicht erreichen Frauen, nachdem sie sich ausreichend im taubenweißen Seifenschaum gewälzt haben, dann jenen mentalen Zustand, wie er in den diversen Parodien auf die Dove-Videos dargestellt wird (siehe hier und hier): schmallippige 08/15-Typen und Bierbauch-Besitzer, die sich ohne den geringsten Hauch von Selbstzweifel mit Promi-Beaus à la George Clooney und Ryan Gosling auf eine Stufe stellen. (Vina Yun, dieStandard.at, 25.4.2013)