Beseelt von einer politischen Idee: Hannelore Mabry bei einer der regelmäßigen Info-Veranstaltungen des von ihr gegründeten Vereins "Der Feminist" in der Münchner Innenstadt. Auch Männer waren dort zur Mitarbeit aufgefordert.

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Infostand auf dem Münchner Marienplatz.

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Mabry (re.) bei der legendären "Dombesetzung" vor der Münchner Frauenkirche 1983

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Die darin abgehaltene Mütter-Fastenaktion für den Frieden wurde polizeilich geräumt, Mabry und ihre Mitstreiterinnen kamen in Vorbeugehaft.

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Als "Alpha-Tier", selten von Selbstzweifeln geplagt, nicht sonderlich tolerant und diplomatisch, mit der Zeit häufig auch hart und unnachgiebig, so beschreiben ehemalige Mitstreiterinnen die Feministin und Pazifistin Mabry heute.

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Die Vereinszeitschrift "Der Feminist" - eine "überlegte Provokation"

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Sie war Frauenrechtlerin, Pazifistin, Agnostikerin und feministische Theoretikerin, dominant, kämpferisch, wortgewandt und unnachgiebig. Sie provozierte in der Öffentlichkeit, stieß mitunter aber auch die Menschen in den eigenen Reihen vor den Kopf. Die Leute rieben sich an ihr. Hannelore Mabry, Mitgründerin der Neuen Frauenbewegung in Deutschland, war von einer großen politischen Idee beseelt, der sie ihr ganzes, manchmal sehr einsames, Leben widmete.

"Sie hatte ganz klare Vorstellungen vom Leben der Frauen und Männer: Die Hausarbeit ist für beide, die Kinder sind für beide, die Berufstätigkeit ist für beide. Und es gibt eigentlich nicht die Frauenfrage, es gibt die Mütter- und Kinderfrage", fasst es ihre ehemalige Mitstreiterin Assunta Tammelleo zusammen. Der Einsatz für Mütter und den Schutz der Kinder war zeitlebens ein zentraler Punkt in Mabrys Wirken, bei öffentlichen Aktionen wie in ihren Thesen. So zitierte sie 1975 auch die "Zeit": "Nicht, dass wir Frauen die Kinder kriegen, ist die Tragödie, sondern, dass diese Gesetzmäßigkeit der Natur archaisch vom körperlich Überlegenen – dem Mann – ausgebeutet wird."

Und Tammelleo nennt auch den Grund für Mabrys schwierige Position innerhalb der Frauenbewegung: "Ihre Zusammenarbeit mit Männern, ihre Ablehnung aller doktrinären Strukturen wie Marxismus, Anarchismus, Kapitalismus, Christentum im politischen Kampf um die Lösung der Kinderfrage machten sie – mit 'ihren' Feministen und Feministinnen – politisch zur Einzelgängerin in der Frauenbewegung."

Frauenpolitisch spätberufen

Dabei war die 1930 in Chemnitz als Hannelore "Lorley" Katz geborene gelernte Schauspielerin eine frauenpolitisch Spätberufene: Nach erfolgreichen Engagements in Theater, Film und Rundfunk, längerem USA-Aufenthalt, zwei geschiedenen Ehen und als alleinerziehende Mutter einer Tochter begann sie 1966 mit 36 Jahren noch einmal zu studieren: Soziologie, Politikwissenschaften, Volkswirtschaft, Psychologie und Philosophie. Ihre Erfahrungen als berufstätige Mutter in einer männerdominierten Gesellschaft trugen dazu bei, dass sie sich für die Frauenbewegung interessierte.

Ihre Diplomarbeit schrieb sie über "Die Relevanz weiblicher parlamentarischer Arbeit für die Emanzipation der Frau". 1972 kam diese unter dem Titel "Unkraut ins Parlament" als Buch heraus. Mabry bezog sich damit auf einen Ausspruch des ehemaligen bayrischen Landtagspräsidenten und CSU-Mitbegründers Michael Horlacher aus den späten 1940er-Jahren: "Als Einzelne wirkt die Frau wie eine Blume im Parlament, aber in der Masse wie Unkraut."

Frauenforum München e. V.

Mabry schloss aus ihren Untersuchungen, dass nur eine eigene starke Frauenorganisation oder -partei die Frauenfrage im Parlament und in der Gesellschaft lösen könne. Um selbst aktiv dazu beizutragen, gründete sie im Dezember 1971 das "Frauenforum München e.V.", die lange Zeit mitgliederstärkste Frauenorganisation in der BRD. "Das Frauenforum brachte etwa alleine in München 16.000 Menschen in Sachen Abtreibungsparagraf 218 auf die Beine", schildert Tammelleo. "Der Verein sollte Frauen helfen, selbstbestimmt, ohne männliche Bevormundung, ihre eigene Identität zu finden und dazu beitragen, die Frauen höchstmöglich zu organisieren."

Während die Männer im Allgemeinen aufgrund ihres Geschlechts aus der Frauenbewegung ausgeschlossen waren, war Mabry jedoch der Meinung, dass diese gefälligst mithelfen sollten, die "Scheiße des Patriarchats wegzuräumen". Die Pazifistin forderte eine feministische Politik für Frauen und Männer, denn: "Politisch muss die Frauen- und Kinderfrage als Männer- und Väterfrage artikuliert und behandelt werden. Nicht die 'bürgerliche' und nicht die 'Arbeiter-Klasse', nicht eine bestimmte 'Rasse' und nicht ein bestimmtes Geschlecht hat sich mit der Lösung dieser Frage zu beschäftigen: Es ist die Aufgabe jedes Menschen, Ausbeutung und irrationale Herrschaft zu bekämpfen."

Richtungsstreit – und Spaltung

Mit ihren Vorstellungen von frauenpolitischer Arbeit mit dem Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung erntete Mabry nicht nur Wohlwollen: "Ihr von Anfang an gemischtgeschlechtlicher Ansatz, die Forderung nach einer feministischen Partei und die Fokussierung auf die Frauenfrage als 'Mütter- und Kinderfrage' stieß innerhalb der Autonomen Frauenbewegung zum Teil auf heftige Ablehnung", sagt Solveig Senft, die zwölf Jahre lang an Mabrys Seite aktiv war.

So kam es 1975 zur Spaltung des "Frauenforums". Hannelore Mabry ging ihrer Wege: Sie gründete 1976 den „Förderkreis zum Aufbau der Feministischen Partei" (FFP), später umbenannt in "Förderkreis Der Feminist" (FF), und gab die Zeitschrift "Der Feminist" heraus. "Eine überlegte Provokation", so Senft im Gespräch mit dieStandard.at. "Feminismus war für sie nicht eine Sache des Geschlechts, sondern eine Haltung."

Auf der Straße, bei Blockaden, vor Gericht

Für ihre Überzeugung ging Mabry mit "ihren" Feministinnen und Feministen auch regelmäßig auf die Straße. Die mündliche Auseinandersetzung war ihre Stärke, die gesprochene Sprache ihr Werkzeug. Sie konnte sich Gehör verschaffen, da kam ihr auch die Ausbildung als Schauspielerin zugute. "Mabry sprach und diskutierte mit jeder und jedem, vom Kind zur Greisin, von der Putzfrau bis zum Bankdirektor, und hat dabei jeden Menschen ernst genommen", schildert Senft. "Sie betrieb 'feministische Aufklärung' an den regelmäßig initiierten Infoständen der Gruppe in der Münchner Innenstadt, auf Veranstaltungen, bei Demonstrationen, Blockaden von Militäreinrichtungen und im Gerichtssaal."

Ihre Aufklärungskampagnen sorgten mitunter aber auch für Verstörung: So etwa Mabrys selbst erfundener Gruß "Heil Kind!", den sie Menschen gerne ohne Vorwarnung zurief, um sie für die Kinderfrage zu sensibilisieren. Doch das bewusste Spiel mit dem Hitler-Gruß stieß nur selten auf positives Interesse. "Aus werbetechnischer Sicht war der Spruch eine unglückliche Wahl, weil eigentlich nicht begreifbar", stellt Tammelleo heute fest. "Diesen geistigen Sprung mitzumachen, war von den Menschen sehr viel verlangt. Der Gruß hat immer zuerst Ablehnung ausgelöst. Man kann nicht von jedem erwarten, sich mitten auf der Straße auf eine Diskussion einzulassen, wie der Spruch gemeint sein könnte."

Festgenommen

Auch die Erregung öffentlichen Ärgernisses scheute die streitbare Feministin nicht. Deutschlandweit bekannt wurde Mabry durch die Münchner "Dombesetzung", bei der sie 1983 gemeinsam mit Vereinsmitgliedern die unangemeldete Protestaktion "Helft Müttern im Kampf gegen die Gewalt!", eine Mütter-Fastenaktion für den Frieden, in der Frauenkirche durchzog. Das Erzbischöfliche Ordinariat ließ den Dom polizeilich räumen, die AktivistInnen wurden in Vorbeugehaft gebracht.

Mit der Katholischen Kirche nahm sie es 1987 erneut auf. Papst Johannes Paul II. sollten am Münchner Siegestor die Parolen "Schütz Kinder vor Allmächtigen! Sei Feminist! Heil Kind!" erwarten. Mabry hatte den Protest gegen den "Patriarchen" initiiert und angemeldet und ein riesiges Transparent anfertigen lassen. Doch zur Aufstellung sollte es nicht kommen: Mabrys Telefonanschluss war überwacht worden. Am Tag des Papstbesuchs wurde sie auf dem Weg zum Siegestor mitten auf der Straße, aus dem Auto heraus, von der Polizei in Gewahrsam genommen und sieben Stunden in einer Ordnungszelle festgehalten. Ihren Mit-Feministinnen wurden brachial die Transparente entwendet.

Hannelore Mabry klagte mithilfe ihrer MitstreiterInnen gegen die Ingewahrsamnahme und die Gebührenbescheide für den Polizeieinsatz. In einem siebenjährigen Musterprozess erreichte sie einen Freispruch mit Schmerzensgeld sowie die Novellierung des bayrischen Polizeiaufgabengesetzes, das besonders häufig gegenüber politischen DemonstrantInnen zum Tragen kam. Das bislang darin enthaltene Polizeikostengesetz wurde gestrichen.

Nicht für die Mutterrolle gemacht

So sehr sich Mabry öffentlich für die Kinderfrage einsetzte, so wenig konnte oder wollte sie privat ihren Aufgaben als Mutter nachkommen. "Das war nicht ihre Paraderolle, aber das hätte sie uns gegenüber vermutlich nie zugegeben", sagt Assunta Tammelleo. "Ihre Mutter und Schwägerin unterstützten sie sehr dabei, die Tochter aufzuziehen. Durch das totale Versenken in ihre politische Aufgabe hat sie, glaube ich, ein Stück weit den Bezug zur Familie verloren – was niemanden interessiert hätte, wäre sie ein Mann gewesen."

Tammelleo bewundert an ihr, "dass sie den von der Gesellschaft ihr zugeordneten Platz als Frau, als Mutter nicht brauchte. Deshalb war sie teilweise aber auch sehr einsam."

Frauenarchiv aufgebaut

In späteren Jahren widmete sich Hannelore Mabry verstärkt ihrer theoretischen Arbeit und gründete das Bayerische Archiv der Frauenbewegung e.V., eine Sammlung von Schriften der Alten und Neuen Frauenbewegung, ihrer Forschungen, Briefwechsel, Unterlagen und Protokolle. Sie organisierte auch selbst, dass ihr Vor- und Nachlass im Institut für Zeitgeschichte in München archiviert werden. Das war ihr wichtig, denn sie hatte Sorge, dass diese Leistungen von Frauen, wie so oft in der Geschichte, verschwinden, als wenn sie nie gewesen wären.

Trotz ihrer Einsamkeit war Mabry später mit ihrer politischen Idee nicht alleine. Sie führte internationale Briefwechsel mit PolitikerInnen, beschäftigte sich mit Philosophie und Psychologie. "Sie ist vermutlich davon ausgegangen, dass die Einsamkeit im Alter der Preis ist, den sie für ihre politische Überzeugung zahlt, weil sie Leute, die ihre Ansichten gar nicht teilten, auch nicht um sich haben konnte", so Tammelleo.

Am Desinteresse verzweifelt

In zunehmendem Alter sei Mabry bisweilen aber auch an der Ignoranz und am Desinteresse vieler verzweifelt. Die Friedens- und die Frauenbewegung ebbten ab, die Politik stand nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses der meisten Menschen.

2005 erkrankte Hannelore Mabry an Alzheimer, eine Krankheit, die sie immer fürchtete, weil sie auch ihre Mutter ereilt hatte. Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie, rund um die Uhr betreut, in einer Münchner Seniorenresidenz. Am 20. März 2013 verstarb die deutsche Frauenrechtlerin mit 82 Jahren. Der Förderkreis „Der Feminist" befindet sich nun in Auflösung. Kein Mitglied sieht sich dazu in der Lage, Mabrys politisches Vermächtnis als Vereinschefin anzutreten. (Isabella Lechner, dieStandard.at, 13.5.2013)