Beruf und Familie zu vereinbaren ist auch in Finnland Frauensache.

Foto: Tourist and Convention Bureau's Material Bank/Lauri Rotko

Wann immer die Rede von der Gleichberechtigung der Geschlechter ist, fällt früher oder später der Hinweis auf Europas Norden. Schweden, Finnland und Norwegen gelten seit vielen Jahren als Motor der Geschlechter-Gleichstellung in Europa. Doch was ist dran am Hype? dieStandard.at hat sich die Situation von berufstätigen Müttern in Finnland genauer angesehen und festgestellt, dass Österreich vom finnischen System tatsächlich noch einiges lernen kann, in manchen Bereichen aber sogar besser dasteht.

Wie werden die Kinder betreut?

Fangen wir gleich beim größten Brocken an, der Organisation der Kinderbetreuung. In Finnland hat jedes Kind bereits im Kleinkindalter das Recht auf einen Betreuungsplatz. Das führt zu einer völlig anderen Ausgangssituation für Eltern: Sie sind keine BittstellerInnen gegenüber einer Behörde oder einem Wunschkindergarten, sondern die Behörde ist dafür verantwortlich, dass die Kinderbetreuung im geforderten Ausmaß funktioniert. Mütter müssen lediglich vier Monate vor dem geplanten Kindergarteneintritt einen Platz anfordern, und diesen bekommen sie in der Regel dann auch. In Finnland würde keine Mutter auf die Idee kommen, sich bereits in der Schwangerschaft um einen Platz zu bewerben, Briefe zu schreiben oder sich irgendwelchen Bewerbungsgesprächen für einen Krippenplatz zu stellen.

Ein weiterer Unterschied zu Österreich: Ob die Mutter oder der Vater berufstätig ist oder nicht, ist für die Vergabe des Platzes irrelevant. Gerade weil es das Recht eines jeden Kindes ist (und nicht das der Eltern), spielt es für die Betreuung auch keine Rolle, ob die Eltern des Kindes berufstätig, arbeitslos oder noch in Ausbildung sind.

Die öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen übernehmen Kinder allerfrühestens ab elf Monaten. Arbeiten Eltern in Schichtdiensten, können sie einen 24-Stunden-Kindergartenplatz beantragen, der genau gleich viel kostet wie der normale Kindergarten: maximal 270 Euro im Monat, gestaffelt nach dem Einkommen der Eltern.

Welche Formen des Erziehungsurlaubs gibt es?

Das finnische Kindergeldsystem ist um einiges komplizierter als das österreichische, gleichzeitig gibt es aber auch nicht so viele Varianten: Grob gesprochen besteht es aus einem einkommensabhängigen Elternurlaub (bis 11 Monate nach der Geburt) und einem direkt anschließenden Kinderbetreuungsurlaub, der maximal bis zum dritten Geburtstag des Kindes genommen werden kann. Im Elternurlaub erhält der Elternteil 70 Prozent des Letztgehalts, im Kinderbetreuungsurlaub ist es dann ein Fixbetrag von rund 450 Euro plus diverser Zulagen (je nach Wohnort). Letzteres gibt es nur, wenn die Mutter das Kind in dieser Zeit zu Hause betreut und auf einen staatlichen Betreuungsplatz verzichtet.

Außerdem gibt es einen bezahlten Vaterschaftsurlaub (wieder mit 70 Prozent des Letztgehalts), der drei Arbeitswochen beträgt und sich um zwei Wochen verlängert, wenn der Vater noch mindestens zwei Wochen Elternurlaub zusätzlich nimmt.

Auch in Finnland gehen die wenigsten Mütter nach Ende des Elternurlaubs (also nach elf Monaten) wieder zur Arbeit. Durchschnittlich bleiben sie zwei Jahre bei ihren Kindern zu Hause, viele nützen aber auch die vollen drei Jahre Kinderbetreuungsurlaub. Das ist finnischen Frauenaktivistinnen deutlich zu lange, auch weil die finanzielle Absicherung nach den ersten elf Monaten sehr gering ist.

Ihnen missfällt außerdem, dass die finnischen Behörden den Kinderbetreuungsurlaub bei Frauen forcieren, mit dem Argument der Kostenreduktion für die öffentliche Kinderbetreuung. "Je mehr Menschen außerhalb des Arbeitsmarktes stehen, desto weniger Einkommensteuer nimmt der Staat ein. Für eine Frau ist es außerdem schwieriger, nach drei Jahren wieder in den Job zurückzufinden, und es schwächt ihre ökonomische Position auf längere Sicht", kritisiert Lotta Viinikka, Generalsekretärin beim feministischen Verband Unioni.

Welchen Anteil übernehmen die Väter bei der Kinderbetreuung?

Oft herrscht in Mitteleuropa der Glaube, dass eine mehrmonatige Väterkarenz in Finnland der Normalfall sei - das ist jedoch ein Gerücht. Zwar nehmen mehr als 80 Prozent der finnischen Väter Vaterschaftsurlaub, doch nicht einmal drei Prozent gehen anschließend auch noch in Elternurlaub. Für die eigene Familie den Job über längere Zeit zu unterbrechen ist in Finnland ein fast ausschließlich weibliches Phänomen. In Österreich liegt die Zahl zwischen fünf und elf Prozent Väteranteil (je nach Variante). Die Zahlen sind ebenfalls niedrig, aber um ein Stück größer als in Finnland.

Wie ist es um die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen bestellt?

Zwar lässt die Performance der Väter in puncto Erziehungsurlaub auch in Finnland zu wünschen übrig, doch in Sachen Arbeitsmarkt hat Finnland gegenüber Österreich eindeutig die Nase vorn. Teilzeit zu arbeiten hat dort keine Tradition und bei Arbeitnehmerinnen ein schlechtes Image. Frauen wie Männer sind auf dem Standpunkt, dass Teilzeit nur den Unternehmen zugutekomme, die von den Angestellten dann dieselbe Leistung innerhalb kürzerer Zeit erwarten würden. Daraus folgt, dass Unternehmen Teilzeitjobs kaum anbieten und fast alle Frauen nach der Babypause wieder Vollzeit erwerbstätig sind.

Laut Eurostat waren 2011 20 Prozent der erwerbstätigen Frauen in Finnland teilzeitbeschäftigt. Was hoch klingt, ist im Vergleich zu Österreich ein Klacks: Hierzulande arbeiten inzwischen fast 50 Prozent der erwerbsfähigen Frauen in Teilzeit.

Da die Teilzeitquote auch in Finnland steigt (von 2001 bis 2011 um rund drei Prozent, in Österreich im gleichen Zeitraum um sieben Prozent) und kaum Väter Elternurlaub nehmen, wird in Finnland derzeit über eine Änderung des Kindergeld-Modells debattiert. Frauenaktivistinnen plädieren für ein Modell, das Eltern bis 18 Monate nach der Geburt einkommensabhängig unterstützt, wobei sechs Monate für die Mutter reserviert sein sollen, sechs Monate für den Vater und sechs Monate individuell vereinbart werden können.

Sind die finnischen Mütter weniger gestresst?

Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Hanna M., selbst Vollzeit berufstätige Mutter eines zweijährigen Buben, glaubt nicht, dass finnische Mütter entspannter sind als anderswo. "Seit ich ein Kind habe, bin ich eigentlich nur noch am Rennen." Und genauso wie ihre Freundinnen kämpft sie mit Schuldgefühlen und Ängsten, ob es ihrem Kind in der Betreuung auch wirklich gut gehe.

Immerhin werden finnische Mütter nicht sich selbst überlassen, auch wenn sie länger zu Hause bleiben. Mütter von Kleinkindern können ganzjährig Parks nützen, die von der öffentlichen Hand betreut werden und Spielmöglichkeiten anbieten. Die Einrichtungen mit Indoor-Bereich sind eine Möglichkeit, ohne Konsumzwang andere Eltern zu treffen, genauso wie die Bürgerhäuser, in denen Müttercafés organisiert werden.

Der leichte Babyboom, der sich in den letzten drei Jahren im Raum Helsinki zeigt, gibt selbst den finnischen Müttern ein Rätsel auf. "Ich weiß es nicht, aber ich vermute, dass es an der ökonomischen Krise liegt", sagt Hanna. Auch in Finnland vermehren sich Jobunsicherheit und Arbeitslosigkeit, und die Leute hätten mehr Zeit, sich über ihre wirklichen Wünsche im Leben Gedanken zu machen, so ihre These. Mit 1,8 Kindern pro Frau liegt Finnland sowieso bereits weit vorne im EU-Ranking der Geburtenraten. Dass der Staat für die Betreuung aller Kinder eine fundamentale Mitverantwortung trägt, ist diesem Trend jedenfalls nicht abträglich. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 24.4.2013)