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Jegliche Gewalt gegen SexarbeiterInnen als Hassverbrechen einzustufen - das fordert die "Sex Worker Task Group" der Westminster Stadtverwaltung in London.

Foto: REUTERS/Tim Wimborne

In Großbritannien, wo unter Premierminister David Cameron ein harter austeritätspolitischer Kurs gefahren wird, wächst die Zahl der SexarbeiterInnen - und sie stehen unter zunehmenden ökonomischen und sozialen Druck. Laut einem vor kurzem veröffentlichten Bericht, verfasst von der "Westminster Sex Worker task group", verdienen SexarbeiterInnen in London derzeit bis um die Hälfte weniger als noch vor einigen Jahren. Unter diesen Bedingungen steige das Risiko für SexarbeiterInnen, Opfer von gewalttätigen Übergriffen zu werden.

Prekäre Gesetzeslage

Im Vereinten Königreich herrschen in Sachen Sexarbeit regional unterschiedliche Regelungen. Vor allem die für England und Wales geltende Gesetzeslage ist widersprüchlich und nur schwer zu durchschauen: Demnach ist Prostitution an sich erlaubt, damit in Zusammenhang stehende Aktivitäten jedoch untersagt. So dürfen SexarbeiterInnen zwar ihre Tätigkeit etwa in einem Bordell legal ausüben. Der Besitz oder das Betreiben einer solchen Einrichtung, in der mehr als zwei Personen sexuell aktiv sind, stellt hingegen allerdings eine Straftat dar.

In Westminster, dem historischen Stadtbezirk im Zentrum Londons, herrscht dem Report zufolge die höchste Bordell-Dichte der Stadt - mit etwa achtzig bis hundert Etablissements -, wobei die tatsächliche Zahl jedoch höher liegen dürfte. Doch nicht nur Bordelle, auch die öffentliche Bewerbung für sexuelle Dienstleistungen ist verboten. In der Regel ist daher von "Escort-Agenturen" oder "Massage-Einrichtungen" die Rede. Um Zwangsprostitution einen Riegel vorzuschieben, steht in Großbritannien seit 2010 der sexuelle Verkehr mit "ausgebeuteten Personen" unter Strafe.

Mehr Sexarbeiterinnen - auf und abseits der Straße

Wie der Bericht feststellt, sind in den letzten Jahren sowohl die Straßenprostitution als auch die vereinzelte Sexarbeit "off street" (zum Beispiel in Privatwohnungen) in Westminster stark angestiegen. Das vergrößerte Angebot wirke sich negativ auf die SexarbeiterInnen aus - nämlich sowohl was ihr Einkommen als auch ihre Sicherheit angeht.

Um den finanziellen Verlust auszugleichen, nehmen SexarbeiterInnen mehr Risiken in Kauf - sie akzeptieren häufiger nicht vertrauenswürdig erscheinende Kunden oder bieten zusätzliche sexuelle Dienstleistungen an. Die Schließung von Bordellen begünstige die Straßenprostitution, und um Kunden zu treffen, seien SexarbeiterInnen mobiler geworden, was den kontinuierlichen Kontakt seitens unterstützender lokaler SexarbeiterInnen-Organisationen erschwere. All das erhöhe die Gefahr, Übergriffen ausgesetzt zu werden, so der Report.

Die meisten SexarbeiterInnen, die "indoors" tätig sind, sind MigrantInnen aus Osteuropa, Lateinamerika (insbesondere Brasilien) und Südostasien (vor allem China und Thailand). Auch wenn die Zahlen nur geschätzt werden können, stellen von Menschenhandel betroffene, zur Prostitution gezwungene Personen hier eine Minderheit dar.

Vielschichtige Gewalt

Die Gründe für Gewalt gegen SexarbeiterInnen sind mannigfaltig: Prostiutierte stehen in der gesellschaftlichen Hierarchie weit unten und werden nach wie vor als "unmoralische" Personen gesehen, die "Bestrafung" verdienen würden. Neben dem sozialen Stigma fördere aber auch die Kriminalisierung von Prostitution ein Klima, in dem Gewalt gegen SexarbeiterInnen toleriert werde. Besonders hoch sei die Gewalt gegen Transgender-Personen in der Sexarbeit, die sowohl mit geschlechtlicher als auch sozialer Diskriminierung konfrontiert sind.

Im Bericht kommen aber auch die Ursachen, warum SexarbeiterInnen Übergriffe oft gar nicht erst melden, zur Sprache: Misstrauen gegenüber der Exekutive, weil diese nicht eingreift oder dem Anliegen Glauben schenkt; Angst, selbst verhaftet zu werden und die Identität preiszugeben; Resignation, weil Gewalt als "Teil des Jobs" wahrgenommen wird. Inbesondere undokumentierte migrantische SexarbeiterInnen fürchten negative Konsequenzen auf ihren Aufenthaltsstatus, sobald die zur Polizei gehen.

"Hate Crimes" gegen SexarbeiterInnen verurteilen

Im Bericht fasst die "Westminster Sex Worker task group" Empfehlungen an die lokale Stadtregierung, an die örtliche Polizei und an das nationale Gesundheitsministerium zusammen - basierend auf der gemeinsamen Haltung, dass jegliche Gewalt gegen SexarbeiterInnen strikt abzulehnen ist. Neben verstärkter Aufklärungsarbeit und Trainings für Exekutive und Stadtverwaltung wird unter anderem eine langfristige finanzielle Förderung für lokale SexarbeiterInnen-Organisationen gefordert - auch weil erst über deren Erfahrungen und Informationen Gewalt überhaupt identifiziert und bekämpft werden kann.

Zudem empfiehlt die Arbeitsgruppe, die 2012 ins Leben gerufen wurde und die Gesundheit und Sicherheit von SexarbeiterInnen im Fokus hat, sämtliche Verbrechen an SexarbeiterInnen als "Hate Crimes" (Hassverbrechen) zu behandeln und diese auch in der Öffentlichkeit explizit zu verurteilen. Nicht zuletzt sei dies auch ein Thema in der allgemeinen Gewaltprävention: Denn TäterInnen, die SexarbeiterInnen angreifen, üben auch gegen andere Bevölkerungsgruppen Gewalt aus. (viyu, dieStandard.at, 29.4.2013)