In der freien Internet Enzyklopädie gibt es viele Konfliktlinien - eine davon verläuft auch zwischen Maskulisten und Feministinnen.

Screenshot: Wikipedia

In der virtuellen Enzyklopädie Wikipedia hat diese Woche erneut ein Begriffsstreit für Aufsehen gesorgt. Ein Autor schlug den Eintrag zum Thema "Femizid" zur Löschung vor und löste damit eine aggressive Diskussion unter mehreren NutzerInnen über die Relevanz und Richtigkeit des Begriffs aus.

Der Artikel über Femizid sei "feministische Propaganda in Reinkultur", kann dort nachgelesen werden. Ein relativ neu geschaffener Begriff werde als wissenschaftliche Tatsache verkauft und vermische Tötung, Stalking, Vergewaltigung, Sklaverei und Folter, heißt es im Löschantrag. Zudem erwecke der Artikel den Eindruck, dass die Tötung von Frauen Methode habe. "Keine Möglichkeit bleibt ungenutzt, um darauf hinzuweisen, dass die Männer die Schuldigen sind."

Rasch gesellten sich weitere antifeministische AutorInnen hinzu und unterstützten den Antragsteller in der Löschantragsdiskussion gegen AutorInnen, die den Femizid-Eintrag verteidigten. Doch die AgitatorInnen hatten Pech: Schon einen Tag nach Antragsstellung wurde der Löschantrag durch Marcus Cyron, Administrator bei Wikipedia, abgelehnt. "Es ist schlicht ein Faktum, dass in manchen Regionen der Welt Dinge wie Abtreibungen, weil die Föten weiblich sind, üblich sind." Säureanschläge, weil man Frauen loswerden wolle, Massenvergewaltigungen im Krieg, Tötungen von Frauen im großen Stil und schließlich die Tatsache, dass Männer fast immer - aktiv oder passiv - die Täter seien, waren für den Wikipedia-Administrator ausschlaggebend dafür, den Antrag abzulehnen.

"Klassische Krawallmacher"

Andreas Kemper, selbst jahrelanger Autor bei Wikipedia, erklärt: Das sei "typisch antifeministischer Wikipedia-Vandalismus". Da presche ein Unbekannter vor und errege in der Community viel Aufmerksamkeit und Ärger. "Ein klassischer Krawallmacher", zumal am Femizid-Artikel in der Enzyklopädie laut Wikipedia-Kriterien (Zitation, ausreichende Quellen) nichts auszusetzen sei. Das sei auch der Grund, warum der Löschantrag relativ rasch, bereits am Dienstag, durch einen Administrator abgelehnt wurde.

Doch der virtuelle Konflikt von Maskulisten und Feministinnen ist nur ein Ausschnitt von vielen, die auch in der analogen Welt existieren: Gerade bei sozialwissenschaftlichen und/oder politischen Beiträgen ist das soziale Klima der AutorInnenschaft frostig. Bei naturwissenschaftlichen Themen bestehe diese Problematik kaum, meint Kemper. Die verschiedenen Lager - etwa auch beobachtbar bei Einträgen zu Israel/Palästina - führen immerwährende Kämpfe um Begriffe, ergehen sich in Streitereien, beschuldigen einander der Manipulation.

Erörterung, Einmischen und Partizipation sind aber genau jene Faktoren, die das virtuelle Lexikon zu einem demokratischen Großprojekt machen. Jede und jeder kann und soll sich am Erstellen des größten Lexikons beteiligen. Diesem Aufruf von Jimmy Wales, dem Gründer von Wikipedia, folgten unzählige Menschen - darunter aber eben auch Maskulisten. So wurde die als konstruktiv erdachte Diskussion um Wissen, die Wikipedia eigentlich ausmachen sollte, zu einem oft vergifteten Streit.

Nicht willkommene Schieflagen

Anfeindungen, Diffamierungen, Demütigungen und permanenter Rechtfertigungszwang sind für Kemper ausschlaggebend für die geringe Zahl feministischer Wikipedia-Autorinnen. "Die Ressourcen Zeit und vor allem Nerven sind gerade bei ehrenamtlichen Tätigkeiten sehr knapp", so der Wikipedia-Autor. Es mangelt aber nicht nur an feministischen Autorinnen, sondern generell an Frauen: Nur zehn Prozent der AutorInnen sind Frauen. Dieses Missverhältnis besteht schon lange und ist auch bei den AdministratorInnen evident, also jenen Personen, die etwa über Löschanträge entscheiden. Wikipedia sei alles andere als eine ideologiefreie Zone, NutzerInnen müssten sich dessen bewusst sein, mahnt Kemper.

Es sind Schieflagen, die auch bei Wikipedia-Verantwortlichen nicht willkommen sind. Wikimedia, der Verein zur Förderung freien Wissens, dessen größtes Projekt Wikipedia ist, zeigt sich ob der maskulistischen Szene und des aggressiven Tenors besorgt. Alice Wiegand von Wikimedia Deutschland sagte bei einer Wikipedia-Konferenz 2012 in Dornbirn, dass die "Community scheinbar hilflos erstarrt". Als Reaktion auf Angriffe gegen Frauen richtete Wikimedia ein eigenes Forum für Betroffene und Interessierte ein, um sich über das Problem Sexismus auszutauschen. Ziel ist, die Gastfreundlichkeit für Frauen und den Autorinnen-Anteil bei Wikipedia zu erhöhen.

Herstellen von Wirklichkeiten

Den Maskulisten liege eben viel daran, sich eine Wirklichkeit zu schaffen, in der sie nichts an Macht einbüßen müssen. Digital und virtuell gehe es ihnen um das Einnehmen von Räumen. In diesen Räumen habe eine Auseinandersetzung mit Femizid keinen Platz, so Kemper. Interventionen wie der Löschantrag überraschen ihn nicht mehr: Es seien Anlässe wie ein Symposium der UNO in Wien ("Femicide - The Killing of Woman because she is a Woman") vor wenigen Monaten und aktuelle Initiativen in Italien und südamerikanischen Ländern gegen die systematische Tötung von Frauen, die Maskulisten antreiben und im Versuch enden würden, Wissen zu löschen. (Sandra Ernst Kaiser, dieStandard.at, 9.5.2013)