Gerechtigkeit verträgt keine Ausnahmen. Deshalb muss der Feminismus jegliche Objektivierung ablehnen, meint Nils Pickert.

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Im 21. Jahrhundert ist es möglich, im eigenen Schlafzimmer allerhand Besuch zu haben. Seine/n LangzeitpartnerIn (der oder die auch gerne gleichgeschlechtlich sein darf), eine Affäre oder eine einmalige sexuelle Begegnung. Manche laden sich mehrere Leute auf einmal ein, verbringen die Abende mit einem Buch oder vor dem Fernseher oder haben eine Kinderwiege neben dem Bett stehen. Und gelegentlich soll es sogar vorkommen, dass sich Menschen, Frauen wie Männer, den Feminismus mit ins Bett holen.

Doch nicht erst seit Charlotte Roches 2011 erschienenem Bestsellers "Schoßgebete" wird darüber nachgedacht und lamentiert, dass man verhältnismäßig unbequem liegt, wenn man sich zuvor mit dem Feminismus gebettet hat. Roches Protagonistin stört sich daran, dass sie ihre Vorstellungen von vorgeblich freier Sexualität nicht in die Tat umsetzen kann, ohne dass ihr der Feminismus dabei einen Strich durch die Rechnung macht. Als dessen Verkörperung muss in dem Roman gar die mentale Projektion von Alice Schwarzer zum Schweigen gebracht werden, damit es endlich ungestört zur Sache gehen kann.

Ist Feminismus lustfeindlich?

Dabei stellt sich eine Frage, die den Feminismus als Vorwurf schon seit seiner Entstehung begleitet: Ist Feminismus lustfeindlich? Und als Anschlussfragen ergeben sich daraus: Was tun Feministinnen und Feministen eigentlich, wenn sie feststellen, dass sich ihre sexuellen Fantasien und Bedürfnisse nicht mit ihren Idealen und politischen Überzeugungen vereinbaren lassen? Muss ihr Weltbild draußen vor der Tür so lange auf das "Bitte nicht stören!" starren oder riskieren sie ständig wiederholende sexuelle Frustration?

Zuerst ein paar Worte darüber, über welche Sexualität wir hier eigentlich sprechen: Ich meine die sexuelle Zusammenkunft von Menschen, bei der das gegenseitige Begehren klar im Vordergrund steht. Dem gegenüber steht eine sexuelle Zusammenkunft, bei der es sich um Nähe, Liebe und Vertrauen dreht. Wenn Menschen einen One-Night-Stand haben, dann tragen sie aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Begehrlichkeiten zur Schau und lassen sich die des Partners/der Partnerin zeigen. Wenn Menschen in einer Beziehung sind und einander lieben, schlafen sie zumeist miteinander, manchmal ficken sie sich oder ganz selten sogar beides zur gleichen Zeit.

Je länger man nur das eine oder das andere macht, umso mehr neigt man dazu, das jeweils andere zu vermissen. Notorische Singles beginnen, nach der Sinnhaftigkeit ihrer sexuellen Kontakte zu fragen und von ihnen mehr Tiefgang einzufordern. Langzeitpaare versuchen das leidenschaftliche Begehren aufrechtzuerhalten, in dem sie sich bemühen, einander wieder fremder zu werden und aus der Haut des anderen zu fahren, um für ihn wieder einen hungrigen Blick zu bekommen. Sie versuchen, den Partner oder die Partnerin erneut zum Objekt der Begierde werden zu lassen und genau deshalb muss der Feminismus damit ein Problem haben.

Kritik der Objektivierung

Die Verdinglichung des menschlichen Subjekts zu einer Sache, die man haben und benutzen will, ist mithin die fundamentalste Kritik, die der Feminismus vorzubringen hat. In seinem Kern interessiert sich der Feminismus nicht speziell für Frauen oder Männer, sondern für Menschen und die Menschlichkeit, die sie zu solchen macht. Er arbeitet heraus, wie Menschen miteinander umgehen, wenn sie aufhören sich so zu behandeln als sei Menschlichkeit eine Eigenschaft, die dem Gegenüber niemals und unter keinen Umständen abgesprochen werden kann. Weil er nicht selektiv ist, ist er darin unermüdlich.

Gerechtigkeit verträgt keine Ausnahmen. Nur weil wir es mit jemandem mal so treiben wollen, wie wir es uns schon immer gewünscht haben, macht der Feminismus nicht Mittagspause und wartet geduldig darauf, dass wir postkoital wieder zur Besinnung kommen. Und da wir nach wie vor in einer Welt leben, in der sowohl männliche als auch weibliche Sexualbedürfnisse von Umständen sozialisiert und ausgeformt werden, die es eigentlich zu überwinden gilt, ist Gleichberechtigung im feministischen Sinn nicht die Basis, auf der wir begehren, sondern die Instanz, die nachgeordnet Kritik übt.

Daher noch einmal: Der Feminismus darf, nein, er muss ein Problem damit haben, wenn Leute ficken ... Und darum haben die Leute ein Problem mit dem Feminismus.

Denn was ist das überhaupt für ein Feminismus, der sich so stark für das Sexualleben der Menschen interessiert? Der sich einmischen und regulieren will, wie und woran Menschen Lust zu empfinden haben? Warum hält er sich nicht aus der ganzen Sache raus und warum merkt er nicht, wenn er es schon nicht tut, dass er mit beinahe gleicher weltanschaulicher Wucht wie diverse Religionen versucht, das menschliche Intimleben für seine Deutungshoheit zu vereinnahmen? Denn der abrahamitische Gott hatte immer schon ein merkwürdig obsessives Interesse an den Genitalien und dem Sexualleben einer bestimmten Gruppe Primaten.

Der unnachahmliche Christopher Hitchens war es, der in diesem Zusammenhang in Anlehnung an einen elisabethanischen Dichter immer wieder darauf hingewiesen hat, dass monotheistische Religion stets behauptet, wir seien krank erschaffen und zur Gesundung verpflichtet.

Der Feminismus, von dem ich spreche, unterscheidet sich davon lediglich in der Reichweite und dem Umfang der Bestrafung bei Nichteinhalten der nichtoptionalen Verpflichtung und darin, dass er uns als krank sozialisiert bezeichnen würde. Es ist der Radikalfeminismus von Catharine MacKinnon beispielsweise, die vor etlichen Jahren die sogenannte Donald-Butler-Entscheidung auf den Weg gebracht hat, die es der kanadischen Regierung gestattete, Pornografie strafrechtlich zu verfolgen.

Bezeichnenderweise wurde von diesem Recht bisher nur ein einziges Mal Gebrauch gemacht - bei dem Verbot des lesbischen Magazins "Bad Attitude". Bezeichnend zum einen deshalb, weil der Versuch, Menschen allgemein und Frauen besonders vor übergriffigem, erniedrigendem Sex zu schützen, von staatlicher Seite gegen Frauen gewendet wurde. Zum anderen aber, weil diejenigen, die schützen wollten, Frauen wieder bevormunden und ihnen sagen, wie sich etwas für sie anzufühlen hat.

Diese Feminist Sex Wars gehören in den USA längst zur Vergangenheit.

Heutzutage nehmen sich junge Frauen, die sich ohne mit der Wimper zu zucken Feministinnen nennen, die Freiheit, auch politisch unkorrekten Sex zu genießen, und reflektieren darüber.

PorYES und PorNO

Auch deutschsprachigen Raum haben Vertreterinnen und Vertreter der Dritten Welle des Feminismus neue Zugänge zu dieser Thematik gefunden, in denen sie sich beispielsweise klar von einer generellen Ablehnung jeglicher Pornografie distanzieren und es möglich ist, entsprechende Filme mit einem Feministischen Pornofilmpreis zu prämieren, oder in denen das alte Verdikt vom weiblichen Masochismus als Kollaboration mit dem Feind aufgebrochen wird.

Das ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil es dabei wie schon erwähnt nicht nur um eine (Über)regulierung von heteronormativem Geschlechtsverkehr geht, sondern auch noch Frauen Vorschriften dazu gemacht werden, wie und was Sex mit ihrer gleichgeschlechtlichen Partnerin zu sein hat und was nicht. Trotzdem sind die alten Modelle im deutschsprachigen Raum nach wie vor wirkmächtig. Eine Neuauflage von "Emmas" PorNO-Kampagne gab es erst 2007. Sie spricht nach wie vor wichtige Punkte an - schafft es aber gleichzeitig nicht, die Menschen in die Mündigkeit zu entlassen. Es bleiben viele Fragen offen.

Sex als großes Schauspiel

Wieso darf einvernehmlicher Sex zwischen gleichberechtigten PartnerInnen nicht gewalttätig, demütigend und schmutzig sein? Wieso dürfen Menschen andere Menschen nicht benutzen, wenn sich alle Beteiligten vorher darauf geeinigt haben? Sie können doch auch auf einer Bühne Jago und Othello spielen, ohne dass jemand ernsthaft einwenden würde, die Problematik um Verrat, Rassismus und latente Homosexualität müsste sich zwangsweise auf ihre Persönlichkeit auswirken. Vielleicht ist ja der ganze zwischenmenschliche Sex nur eine Bühne und alle Frauen und Männer bloße SpielerInnen. Sie treten auf und gehen wieder ab. Ihr Leben lang spielt jede/r manche Rollen durch viele Akte hin.

So nachvollziehbar der feministische Wunsch ist, die Hände, die den eigenen und andere Hälse umklammern, wegzuschlagen - es gibt Menschen, die können sich dafür begeistern. Und selbstverständlich ist es mehr als angebracht, immer wieder nachzuhaken, warum jemand Gefallen daran findet, sich zum Objekt machen zu lassen oder andere zu benutzen. Krank sozialisiert ist diesbezüglich ja eine durchaus akkurate Diagnose. Die perfideste Machtausübung ist immer diejenige, die den Betroffenen suggeriert, sie handelten aus freien Stücken, so dass sich Unterdrückung durch nachträgliche Rationalisierung in vorgeblich freien Willen besser anfühlt.

Trotzdem sind manche so frei oder wollen so frei sein. Der Feminismus sollte diese Menschen loslassen, sonst lassen sie ihn fallen. Und das wäre schade um eine gute und nützliche Sache. (Nils Pickert, dieStandard.at 23.5.2013)