Krimiforscherin Brigitte Frizzoni: "Warum finden wir Gewaltdarstellungen von Frauen schrecklicher als von Männern? Man könnte ja auch sagen, dass der Autorin die Darstellung hervorragend gelungen ist."

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"In der Verfilmung wird die Weiblichkeit von Ermittlerinnen gerne klischeehaft herausgestrichen. Die Verbindung von Stöckelschuhen und Hartgesottenheit ist Filmemachern wichtig, um zu markieren: 'Es ist eine Frau'."

Im Bild: "Tatort"-Hauptkommissarin Conny Mey, gespielt von Nina Kunzendorf.

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"Frauen beschreiben Opfer oft mit viel Empathie", so Frizzoni. Die Hamburger Kommissarin Bella Block, gespielt von Hannelore Hoger (Bild), lässt eine Mörderin, die gleichzeitig Opfer ist, ungestraft davonkommen. Im Buch quittiert sie daraufhin den Dienst und wird Privatermittlerin, im Fernsehen bleibt sie Kommissarin.

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"Das Menschliche, die Probleme der Ermittlerinnen und dass sie auf der gleichen Stufe mit der Leserin stehen, macht sie sympathisch."

Im Bild: Sabine Postel als "Tatort"-Hauptkommissarin Inga Lürsen mit Oliver Mommsen als Kommissar Stedefreund.

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Hannelore Elsner war als "Die Kommissarin" Lea Sommer eine der Vorreiterinnen des Typs des weiblichen Ermittlers. Die in den 80er-Jahren neu kreierten Frauenfiguren zeichneten sich durch Professionalität, Schlagkräftigkeit, körperliche Fitness und Intelligenz aus.

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Bella Block und Lena Odenthal, Stephanie Plum und Lea Sommer: Krimis mit Ermittlerinnen sind inzwischen nicht mehr aus der TV- und Literaturlandschaft wegzudenken. Das war nicht immer so. Erst der "Frauenkrimi" hat ihnen den Weg geebnet. Heute spielen Krimiautorinnen mal todernst, mal humorvoll überzeichnet mit allen Facetten des Genres.

Brigitte Frizzoni vom Institut für Populäre Kulturen der Universität Zürich hat sich eingehend mit dem Phänomen des Frauenkrimis auseinandergesetzt. Im Interview mit dieStandard.at spricht die Kulturwissenschaftlerin mit Spezialgebiet populäre Literaturen über die Entstehung des Labels "Frauenkrimi" in den 80er-Jahren, die Darstellung von Gewalt an Frauen, über handlungsfähige Opfer, einsame Ermittlerinnen und das Männerbild im Frauenkrimi.

dieStandard.at: Gibt es das Label "Frauenkrimi" heute noch?

Frizzoni: Das Label ist heute verschwunden, nicht aber das Phänomen. Krimiautorinnen sind heute im Mainstream-Krimiregal angekommen. Man kann aus einer breiten Palette von Ermittlern und Ermittlerinnen, Autoren und Autorinnen wählen.

dieStandard.at: Wie ist der Frauenkrimi entstanden?

Frizzoni: Die zweite Frauenbewegung hat die Entwicklung des Krimis maßgeblich verändert. Der "hard-boiled Krimi", das "hartgesottene" Krimigenre à la Raymond Chandler, in dem bis dahin ausschließlich Männer in der Figur des toughen Ermittlers auftraten, war ein attraktives Feld für Autorinnen, das es zu erobern galt.

Krimiautorinnen schlossen sich ab Mitte der 1980er-Jahre auf Initiative der US-Autorin Sara Paretsky in Netzwerken zusammen. Als "Sisters in Crime" oder in Deutschland "Mörderische Schwestern" wollten sie gemeinsam für mehr Aufmerksamkeit kämpfen. Was ihnen auch gelungen ist: Sie konnten sich am Markt etablieren.

dieStandard.at: Was zeichnete den frühen Frauenkrimi aus?

Frizzoni: Den Krimiautorinnen der ersten Phase hat es viel Spaß gemacht, männlich konotierte Subgenres umzuschreiben und mit weiblichen Figuren zu besetzen. Es waren von Frauen geschriebene Bücher mit einem feministischen Blick auf Geschlechterfragen.

In der Frühphase waren Frauenkrimis durch eine toughe Heldin markiert, die den klischeehaften weiblichen Rollenbildern möglichst widerspricht. Eigenständige, selbstbewusste Amateuermittlerinnen wie Miss Marple hat es auch früher schon gegeben. Die neu kreierten Frauenfiguren wie Bella Block, "Die Kommissarin" oder "Tatort"-Ermittlerinnen wie Lena Odenthal zeichneten sich zudem durch Professionalität, Schlagkräftigkeit, körperliche Fitness und Intelligenz aus.

dieStandard.at: Was verhalf dem Frauenkrimi zum Durchbruch?

Frizzoni: Vorreiter in Sachen Frauenkrimi im deutschen Sprachraum war der Argument-Verlag. Er brachte mit den "Ariadne-Krimis" als Erster eine ganze Frauenkrimi-Reihe heraus. Auch Homosexualität hatte darin ihren Platz: Die Bücher mit geraden Zahlen hatten heterosexuelle Ermittlerinnen, jene mit ungeraden waren queer.

Als weitere kleine Verlage auf die Frauenkrimi-Welle aufsprangen, merkten auch die größeren, dass es eine große Nachfrage in dieser Richtung gibt. Immer mehr Verlage brachten Buchreihen unter dem Label "Frauenkrimi" heraus. In den Buchhandlungen gab es eigene Abteilungen unter diesem Titel, und die Medien berichteten darüber. Dieser Hype wurde durch Fernsehkrimis und TV-Serien, in denen nun auch Ermittlerinnen auftraten, noch verstärkt.

dieStandard.at: Darf man es sich als Krimiautorin heute noch leisten, klischeehaft zu schreiben?

Frizzoni: Ich glaube schon, wenn gleichzeitig mit solchen Klischees gespielt wird. Ich als Leserin habe eine gewisse Erwartung an eine weibliche Ermittlerfigur, und es würde mich ärgern, wenn Klischees völlig unreflektiert bedient würden. Oft wird das humorvoll gelöst, wie bei "Adelheid und ihre Mörder", wo die Titelfigur zwar die klassische Sekretärinnenrolle bedient, aber immer die ist, die den Fall löst.

dieStandard.at: Es gab damals Diskussionen, ob Autorinnen von Krimis detailliert Gewalt an Frauen beschreiben sollten. Wie viel Gewalt wird Autorinnen zugestanden?

Frizzoni: Die Frage ist: Warum finden wir Gewaltdarstellungen von Frauen schrecklicher als von Männern? Man könnte ja auch sagen, dass der Autorin die Darstellung hervorragend gelungen ist. Dass sie sich in Täter- und Opferpsychen einfühlen können, ist ja, was gute Krimiautorinnen und -autoren auszeichnet.

Wie viel Gewalt vorkommt, hängt natürlich auch vom Subgenre ab: Wenn es um Serienkiller geht, wird klarerweise Gewalt beschrieben. Krimileserinnen und -leser müssen, glaube ich, individuell entscheiden, was für sie erträglich ist.

dieStandard.at: Gab es auch unter KrimiautorInnen Diskurse zu Gewalt von Frauen an Frauen?

Frizzoni: Es hagelte natürlich auch Vorwürfe aus den eigenen Reihen. Der schottische Bestsellerautor Ian Rankin etwa sagte in einem Interview, dass es auffällig sei, dass gerade die schrecklichsten Gewalttaten an Frauen von Frauen geschrieben würden. Männer würden sich das auf diese offensive Art nicht trauen.

Seine mit ihm befreundete Kollegin Val McDermid setzte sich dagegen entschieden zur Wehr: Sie hinterfragte, warum die Beschreibung von Gewalt für Autorinnen nicht legitim sein sollte. Auch ihr werde immer wieder vorgeworfen, sie schreibe so gewalttätig. Würde man aber ihre Texte kennen, wisse man, dass sie Gewalt aus Notwendigkeit, der Handlung wegen, und nicht um der Gewalt willen platziere. Es sei immer dramaturgisch legitimiert.

Frauen würden Gewalt an Frauen auch deshalb so plausibel beschreiben, weil diese für sie alltagsrelevant sei. Sie könnten sich gut vorstellen, wie es sei, verängstigt nachts alleine durch einen dunklen Park zu gehen.

dieStandard.at: Man könnte auch argumentieren, dass Autorinnen solche Beschreibungen gerade deshalb vermeiden wollen.

Frizzoni: Viele lösen die Situation, indem sie Frauen nicht in der Opferrolle verharren lassen. Dafür bedienen sie sich des beliebten Typus der weiblichen Rächerfigur: das Opfer, das sich wehrt und zurückschlägt, die Ermittlerin, die sich stellvertretend für das Opfer einsetzt, oder die Profilerin, die dem Opfer über den Tod hinaus eine Stimme verleihen möchte.

Das war besonders in der Frühphase des Frauenkrimis für Leserinnen attraktiv. Frauenkrimis galten lange als Synonym für Rächerinnentexte mit männermordenden Frauen, die mit fragwürdigen Slogans wie "Nur tote Männer sind gute Männer" vermarktet wurden.

dieStandard.at: Gab es zur Gewaltdarstellung von Frauen auch eine feministische Debatte?

Frizzoni: Das Frauenteam des Ariadne-Verlags zum Beispiel hat Texte von Autorinnen nicht mehr ins Programm genommen, wenn sie als gewaltverherrlichend empfunden wurden. Vor dem Internetzeitalter hatte der Verlag zu Beginn jedes Buches eine Einleitung, in der erklärt wurde, was der Verlag mit den Texten wollte.

Es wurde an die Leser und Leserinnen appelliert, dem Verlag zu schreiben, was ihnen gefällt oder nicht gefällt. Die Leserbriefe wurden dann im "Ariadne-Forum" abgedruckt, und dort gab es zum Teil heftige Debatten über Gewaltdarstellung. Ich erinnere mich an einen Text, in dem eine Vergewaltigung unter Lesben vorkam. Das fand die Leserschaft völlig daneben, weil es die Diskriminierung lesbischer Frauen noch fördere.

dieStandard.at: Werden weibliche Opfer von Autorinnen anders dargestellt als von Autoren?

Frizzoni: Frauen beschreiben Opfer meist mit sehr viel Empathie. Die Kamera, die auf dem angstverzerrten Gesicht des weiblichen Opfers verweilt, das wäre zum Beispiel ein klassisches Klischee, gegen das frühe Autorinnen von Frauenkrimis anschreiben wollten, indem sie handlungsfähige Figuren schufen.

Doris Gercke bedient sich im ersten Bella-Block-Krimi "Weinschröter, du musst hängen" zum Beispiel des Musters des "Opferschutzes für die Täterin": Eine weibliche Figur wird aufs Schändlichste missbraucht. Bella Block kommt ins Dorf, um Selbstmorde zu untersuchen. Sie entdeckt, dass es sich um Morde an den Tätern handelt, und lässt die Mörderin, die gleichzeitig Opfer ist, ungestraft davonkommen. Im Buch quittiert sie daraufhin den Dienst und wird Privatermittlerin, im Fernsehen bleibt sie Kommissarin.

Typisch ist auch der Topos einer starken Ermittlerin im Staatsdienst, die ihre These bei den Kollegen nicht durchsetzen und so das Opfer nicht schützen kann. Der Täter wird nicht überführt, die Kommissarin quittiert aus Enttäuschung den Dienst und versucht nun als Privatermittlerin, den Opfern zu helfen.

dieStandard.at: Wie tough darf eine Ermittlerin sein und wie sehr darf sie von gängigen Frauenklischees abweichen, um beim Publikum "anzukommen"?

Frizzoni: Diese Frage ist vor allem in Film und Fernsehen interessant. In der Verfilmung wird Weiblichkeit gerne klischeehaft herausgestrichen: Stöckelschuhe, Lippenstift, blonde Mähne ... Die Verbindung von Stöckelschuhen und Hartgesottenheit, "hard-boiled and high-heeled", ist Filmemachern wichtig, um zu markieren: "Es ist eine Frau."

In Buchform darf die Ermittlerin sehr viel unkonventioneller sein, da gibt es mehr Möglichkeiten, die Figur zu entwickeln.

dieStandard.at: Gerne werden Ermittlerinnen auch als "einsame Wölfinnen" beschrieben.

Frizzoni: Das hat auch wieder mit dem Subgenre zu tun, in dem der Krimi verfasst ist: Im hard-boiled Krimi ist der einsame Ermittler zum Beispiel ein typischer Topos. Das ist dann auch bei Frauen so. Autorinnen und Autoren müssen die Genre-Konventionen bedienen, um die Erwartungshaltungen der Leser und Leserinnen zu erfüllen.

Andererseits werden solche Konventionen kreativ unterlaufen, etwa indem vielfältige Beziehungsnetzwerke gerade um die einsame Ermittlerin gesponnen werden: der Nachbar, der sich um sie kümmert, ein schwuler Freund, die beste Freundin, Kinder aus einer geschiedenen Ehe, Eltern, Großeltern ... Das Menschliche, die Probleme der Heldinnen und dass sie auf der gleichen Stufe mit der Leserin stehen, machen sie sympathisch.

dieStandard.at: Wie stellt sich das Männerbild in Frauenkrimis heute dar?

Frizzoni: In manchen frühen Texten wurden Männer als das "Tätertier" beschrieben, relativ undifferenziert und plakativ. Heute gibt es die breite Palette vom Mann als Täter, als Kollege und Partner, der die Kommissarin auf Augenhöhe unterstützt, bis hin zum erotischen Mann, dem "homme fatal", von dem man nicht weiß, ob er der Gute oder der Böse ist. Hier wird mit der Ambivalenz gespielt: Wenn ich mich jetzt einlasse auf diesen Mann, was passiert mir dann?

Manche Autorinnen wie Janet Evanovich in ihren Stephanie-Plum-Krimis bedienen ein konventionelles Männerbild von Muskeln, Schönheit, Intelligenz und dem Mann als starkem Beschützer. Andere wie Lauren Henderson wiederum spielen mit androgynen und unkonventionellen Männertypen. In diesen Texten ruht nun der lustvolle Blick der Frau auf dem schönen Mann. Da wird die tradierte Vorstellung vom erotischen Blick des Mannes, der auf der Frau ruht, umgedreht. (Isabella Lechner, dieStandard.at, 10.6.2013)