Kommunikationswissenschaftlerin Klaus stellt klar: "Frauen machen per se überhaupt keinen anderen, schon gar keinen 'besseren' Journalismus."

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Wurden im "Spiegel" als "ScheinriesInnen" verunglimpft: Die ProQuote-Aktivistinnen Bascha Mika, Anne Will, Anja Reschke und Iris Radisch (v. li.) mit Unterstützerin Ursula von der Leyen (2. v. li.)

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"Wie unabhängiger Journalismus zum Propagandainstrument verkam" erklärte der deutsche Wirtschaftsjournalist Thomas Tuma jüngst in einem Essay im "Spiegel", in dem er mit der Interessenvertretung "ProQuote" abrechnete. Seine Kernthese: die Vereinsmitglieder, allesamt erfolgreiche Journalistinnen, würden mit ihrer Lobbyarbeit für eine 30-prozentige Frauenquote an der Spitze der deutschen Medien ihren Status und ihre Macht missbrauchen, um selbst als Frauen nach oben zu kommen. Derzeit sind nur zwei Prozent aller ChefredakteurInnen-Posten in Deutschland mit einer Frau besetzt.

Das Meinungsstück führte zu einer Kontroverse über die Frage, ob politisches Engagement mit einer journalistischen Tätigkeit verträglich sei und wo genau die Qualitätskriterien für unabhängigen Journalismus liegen. Für ein feministisches Medium wie dieStandard.at stellt sich Frage nach Unabhängigkeit und Ausgewogenheit in der Berichterstattung noch einmal anders als für Mainstream-Medien. Die Kommunikationswissenschafterin Elisabeth Klaus erläutert, warum Unabhängigkeit im Journalismus so wichtig ist und welche Chancen parteilicher Journalismus mit sich bringt.

dieStandard.at: Den ProQuote-Journalistinnen wurde im "Spiegel" vorgeworfen, dass sie parteilichen Journalismus machen, sich also mit einer Sache gemein machen. Was ist von diesem Vorwurf zu halten?

Klaus: ProQuote geht es um die Arbeitsbedingungen der Journalistinnen. Das ist etwas anders, als wenn eine Journalistin für ein Unternehmen Public Relations macht. JournalistInnen haben ihre Interessen schon immer auch über Gewerkschaften vertreten, insofern kann ich diesen Vorwurf nicht nachvollziehen.

dieStandard.at: Geht es nicht auch darum, dass diese Journalistinnen über die Brancheninteressen hinaus auch ganz konkrete politische Arbeit mit ProQuote machen, indem sie sich für Gleichstellung in den Medien einsetzen?

Klaus: JournalistInnen haben ja auch Bürgerrechte, die sie wahrnehmen dürfen und sollen. In diesem Fall geht es um die Verwirklichung der gesetzlich verankerten Gleichberechtigung von Frauen und Männern, die in Bezug auf Führungspositionen in Medien, Politik und Wirtschaft eklatant verletzt werden.

dieStandard.at: Das heißt, aus ihrer Sicht ist politisches Engagement und Journalismus miteinander vereinbar?

Klaus: Natürlich, JournalistInnen haben das Recht, ihre Interessen als ArbeitnehmerInnen und BürgerInnen zu vertreten. In diesem Fall kann man sogar sagen, dass die Journalistinnen aufgrund ihrer Wächterfunktion in der Demokratie die besondere Verantwortung haben, darauf hinzuweisen, dass Gleichberechtigung in der Gesellschaft zwar eingefordert wird, im Gegensatz dazu aber immer noch die wenigsten Chefposten mit Frauen besetzt sind.

dieStandard.at: Wie sieht es beim frauenpolitischen Journalismus aus? Der sagt ja von vorn herein, dass er parteilich ist und sich der Frauenperspektive verschrieben hat.

Klaus: Feministischer Journalismus sagt ganz klar: die Objektivität, der JournalistInnen angeblich immer anhängen, gibt es nicht. Der Journalismus ist also kein Spiegel der Welt, sondern liefert eine Konstruktion der Wirklichkeit. In der Wissenschaft ist das – auch jenseits der Genderstudies – weitgehend akzeptiert. Aus der Forschung wissen wir zudem, dass die herkömmlichen Nachrichtenfaktoren Ereignisse aus Elitenationen bevorzugen. Und es gibt auch nach wie vor einen ‚Androzentrismus-Faktor' in den Nachrichten, weil Ereignisse, die eigentlich die Nachrichtenfaktoren erfüllen, aber überwiegend Frauen betreffen, seltener darin vorkommen.

Feministinnen sind der Ansicht, dass Journalismus keine neutrale Berichterstattung von Ereignissen liefern kann. Das ist ja bereits ein Widerspruch in sich – guter Journalismus soll ja gerade selektieren und diese Selektion hat immer mit den gesellschaftlichen Dominanzverhältnissen zu tun.

dieStandard.at: Welche Chancen und Risiken ergeben sich, wenn  der Anspruch der Objektivität im Journalismus hinterfragt wird?

Klaus: Eine wirkliche Chance ist, dass JournalistInnen ihre Arbeit reflektieren müssen und nicht darauf bauen können, dass das, was ihnen die Nachrichtenagenturen liefern, die objektive Weltberichterstattung ist. In Bezug etwa auf die Afrika-Berichterstattung oder die über MigrantInnen gibt es ja noch viele Schieflagen.

Das Risiko liegt darin, für andere Meinungen blind zu werden, aber in einem demokratischen pluralen Mediensystem sind ja stets vielfältige Stimmen hörbar.

dieStandard.at: Wenn wir auf den Anspruch der Unabhängigkeit im Journalismus zurückkommen, um die sich ja auch Herr Tuma sorgt, kann es die als Anspruch für feministischen Journalismus überhaupt geben?

Klaus: Unabhängigkeit im Journalismus heißt grundsätzlich, dass er nicht von der Politik und der Wirtschaft abhängig ist. Da geht es um substantielle materielle Interessen und nicht darum, dass ich als Journalistin eine bestimmte Position habe oder vertrete. Das wäre eine falsche Auslegung der Forderung nach Unabhängigkeit im Journalismus. Unabhängigkeit heißt insbesondere Befreiung von Eliteinteressen. Beeinflussungen, beispielsweise durch Inserate-Schaltungen, hat es ja immer wieder gegeben. Feministische Journalistinnen sind zudem eine Minderheit in ihrem Beruf. Vereinzelt gibt es Medien, wie das ihre, die einem frauenpolitischen Journalismus verpflichtet sind, aber wir sind weit davon entfernt, dass die Pluralität der Stimmen durch feministische Positionen eingeschränkt würde.

dieStandard.at: Über die Frage, wann eine Geschichte ausgewogen ist, kann man vortrefflich streiten. Wenn ein Medium z.B. über die Obsorgediskussion berichtet, muss sie dann z.B. auch einen Väterverein interviewen, um als ausgewogen zu gelten?

Klaus: Nein, das glaube ich nicht. Nicht jeder Artikel muss ausgewogen sein und auch nicht jede Zeitung ausgewogen berichten. Zeitungen haben eine redaktionelle Linie, die etwa in den Redaktionsstatuten festgelegt ist. Das wird nur dann zum Problem, wenn es nur noch diese eine Zeitung geben würde. Es ist auch völlig legitim, dass eine Zeitung festlegt: "Diese Gruppierung hat so schmale Argumente, dass sie bei uns nicht zu Wort kommt". Gerade in der Obsorgedebatte gibt es ja viel aggressive antifeministische Polemik, für die seriöse Medien kein Forum bereitstellen sollten.

dieStandard.at: Gibt es für Sie Qualitätsansprüche, die besonders für feministische Medien gelten?

Klaus: Die Berliner Professorin Margreth Lüneborg hat bei ihren Studien festgestellt, dass feministische Journalistinnen mit ihrer Arbeit den Objektivitätsmythos infragestellen. Wenn es Objektivität nicht gibt, wird es umso wichtiger Parteinahme offenzulegen und die eigenen Quellen und Argumente zu nennen.

Eine weitere Überlegung betrifft das Verständnis von "Aktualität" im Journalismus. Was wird als aktuell wahrgenommen und bekommt viel Raum? Die traditionellen Normen werden infrage gestellt und stattdessen Alltagsthemen vorangetrieben, die  Menschen wirklich berühren. Schließlich setzen sich diese Medien stärker mit strukturellen Problemen der Gesellschaft auseinander. So gehen in der ereignisfokussierten Berichterstattung die graduellen, oft aber bedeutenderen Entwicklungen verloren, aktuell etwa dass soziale Ungleichheiten stark zugenommen haben. Dadurch, dass immer alles „neu" sein muss, werden solche strukturellen Probleme nur ausgesprochen selten thematisiert.

dieStandard.at: Gibt es nicht eine Veränderung der Mainstream-Medien in den letzten zehn Jahren hin zu mehr sogenannten "soften Themen", wie Soziales und Familie?

Klaus: Das stimmt zum Teil, ist aber hauptsächlich der Privatisierung und Ökonomisierung der klassischen Medien und der damit einhergehenden Krise verbunden. Es gibt heute den Versuch, die potentiellen LeserInnen  besser zu erreichen, weshalb die Berichterstattung zum Teil boulevardisierter geworden ist, sich zum Teil auch stärker an Alltagsthemen orientiert. Man muss aber genau hinschauen, wie diese Alltagsthemen behandelt werden.

dieStandard.at: Wie sieht es mit den Themen Kinderbetreuung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus? Sind diese in der Zwischenzeit nicht im Mainstream angekommen?

Klaus: Natürlich kommen solche Themen heute vor, aber nicht in allen Medien und auch nicht auf den Titelseiten der Blätter. Wenn wir den "Global Media Monitoring Survey" anschauen, der alle fünf Jahre an einem Stichtag die globale Nachrichtenberichterstattung auswertet, so zeigt sich, dass Frauen als Akteurinnen, aber auch sogenannte Alltagsthemen nach wie vor marginalisiert sind. Nach wie vor dominieren in den Mainstreammedien die großen politischen und wirtschaftlichen Akteure mit ihren Themen.

Auch bei den MigrantInnen wird das Problem sichtbar. Sie kommen in der politischen Berichterstattung nur vor, wenn es um neue Gesetze geht oder um große Debatten wie die „Mohammed-Karrikaturen" oder den Kopftuchstreit. Zugleich haben sie darin aber keine eigene Stimme. Und da sind wir wieder bei der Quotenfrage.

dieStandard.at: ProQuote argumentiert ja auch, dass sich die Medienberichterstattung ändern würde, wenn mehr Frauen in Chefpositionen kämen. Ist diese Hoffnung realistisch?

Klaus: Frauen machen per se überhaupt keinen anderen, schon gar keinen "besseren" Journalismus. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass im Aufruf von ProQuote konsequent von "Lesern" die Rede ist, also nicht einmal dort wird eine geschlechterdemokratische Sprache verwendet. Eine Veränderung der Berichterstattung durch mehr Frauen ist also nicht automatisch zu erwarten. Außerdem durchläuft ja jede Journalistin eine redaktionelle Sozialisation, bei der die Regeln, Normen und Konventionen journalistischer Arbeit angeeignet werden. In den Mainstream-Medien kann nur aufsteigen, wer sich ihrer Systemlogik weitgehend anpasst.

Die Forschung zeigt insgesamt, dass Frauen keinen anderen Journalismus machen. Aber: Es gibt Hinweise darauf, dass Journalistinnen bei Gleichstellungsthemen und Emanzipationsfragen aufgeschlossener argumentieren. Sie vertreten öfter emanzipatorische Standpunkte als ihre Kollegen. So hat etwa eine Untersuchung zur Rezeption von Elfriede Jelinek gezeigt, dass Rezensentinnen ihr Werk deutlich höher bewerten als die Rezensenten. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 16.6.2013)