Männer sind "weiblichen" Berufen gegenüber noch immer skeptisch.

Foto: Matthias Cremer

Wie sich die Position von Frauen im Zuge der Gleichberechtigungsbestrebungen in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, wurde und wird bereits intensiv erforscht. Angesichts dieser veränderten gesellschaftlichen Anforderungen untersuchten nun WissenschaftlerInnen auch die Situation von Männern in allen EU-Ländern und EFTA-Staaten. Dafür wurden verschiedenste Bereiche fokussiert, vom Thema Gewalt über Gesundheit bis hin zu unbezahlter Arbeit.

Männer übernehmen noch immer weitaus seltener Kinderbetreuungsaufgaben als Frauen, sind "weiblichen" Berufen gegenüber skeptisch und vernachlässigen ihre Gesundheit aufgrund einer "einseitigen Sozialisierung in Richtung 'Hart-Sein'", lauten einige der Ergebnisse. Nicht zuletzt würden sich diese einer traditionellen, einseitigen Vorstellung von Männlichkeit verdanken, so die Studien-AutorInnen.

"Männerpolitik und Männerarbeit muss sowohl die Kosten als auch die Privilegien von Männlichkeit in den Blick nehmen", meint Elli Scambor vom Forschungsbüro des Vereins für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark (vormals Männerberatung Graz), die auch maßgeblich an der EU-Studie mitgearbeitet hat. Die Soziologin sprach mit dieStandard.at darüber, warum andere Kategorien wie Migrationshintergrund und soziales Milieu Chancengleichheit unter Männern verhindern und ob sich Männerberatungsstellen der Geschlechtergleichstellung verpflichtet fühlen.

dieStandard.at: In der Studie haben sich bei der Aufteilung von Familienarbeit und Karenz große Unterschiede innerhalb der EU-Ländern gezeigt. Wie steht Österreich in diesem Ländervergleich da?  

Scambor: Es sind große Nord-Süd-Unterschiede deutlich geworden. Gerade bei den Themen Karenz und nichtbezahlte Betreuungsarbeit tut sich ein großer Spalt zwischen nord- und südeuropäischen Ländern auf.

Österreich ist eines der wenigen Länder, in denen Männerpolitik auf politisch-institutioneller Ebene verankert ist. Wenn man sich allerdings das Thema Männer im Betreuungszusammenhang ansieht, hinken wir hinterher. An dieser Schraube wurde zwar in den letzten Jahrzehnten gedreht, etwa mit der Väterkarenzregelung. Aus einem vormals "abgeleiteten Anspruch" auf Väterkarenz - der Vater konnte die Karenz nur geltend machen, wenn die Partnerin darauf verzichtete - wurde im Jahr 2000 ein von der Partnerin unabhängiger Anspruch auf Väterkarenz und im Jahr 2005 ein eigenständiger und gleichrangiger Anspruch. Seither wird keinem der beiden Elternteile ein Vorrang auf Karenz eingeräumt. Diese Entwicklungen passierten zum Großteil auf Druck der Europäischen Kommission, die gegen Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstoßes gegen die Elternurlaubsrichtlinie eingeleitet hatte.

Wir führen immer wieder Interviews, die zeigen, dass es die Bereitschaft von Männern in Österreich schon gibt, sich mehr in die Familienarbeit einzubringen. Auch Partnerinnen fordern das in größerem Ausmaß ein als früher. Aber in Österreich stellen sich die Unternehmen immer wieder als Hemmschuh heraus. Vonseiten der Firmen gibt es sehr wohl öfter Warnungen, dass eine Karenz für die Karriere schlecht sei oder dass man schon Stunden reduzieren könne, aber das Gleiche leisten müsse.

dieStandard.at: In der Studie wird an mehreren Stellen betont, dass Männer und Frauen keine homogenen Gruppen seien. Dennoch muss doch Frauen- wie Männerpolitik entlang der Kategorie Geschlecht ansetzen, oder?

Scambor: Man muss zum Beispiel zwischen Frauenpolitik und Gleichstellungspolitik unterscheiden. Frauenpolitik ist Politik, die für Frauen gemacht wird und die Position von Frauen in der Gesellschaft unterstützen sollte. Doch auch bei dieser würde ich unterscheiden: Es gibt etwa Frauen mit Migrationshintergrund, die in Österreich völlig andere Teilhabemöglichkeiten als Frauen ohne Migrationshintergrund haben. Ebenso greift es zu kurz, von "den Männern" oder "den Burschen" zu sprechen. Diese Formulierungen hat die Studie entzaubert. 

Gleichstellungspolitik ist stärker auf beide Geschlechter ausgerichtet. Es reicht nicht mehr festzustellen, dass Männer dieses und Frauen jenes brauchen. Innerhalb der Kategorie Geschlecht finden Männer wie Frauen völlig unterschiedliche Situationen vor.

dieStandard.at: Ein Beispiel?

Scambor: Etwa wenn von "den Burschen" als "den Bildungsverlierern" die Rede ist. Wir haben uns genauer angesehen, wie dieser Diskurs verläuft: Es wird immer wieder das Argument vorgebracht, dass es eine Feminisierung im Bildungskontext gibt. Zusätzlich wird ein Link hergestellt zwischen einer Überzahl an Frauen an den Schulen und einem grundsätzlichen Unterschied zwischen Frauen und Männern. Und auf dieser Basis wird dann behauptet, dass die Frauen eben den Ansprüchen von Burschen nicht gerecht werden würden.

Tatsächlich ist es aber so, dass wir in Österreich zwar eine kleine Gruppe sogenannter Early School Leavers haben,- also jener, die über keine weitere Ausbildung als die Sekundarstufe 1 verfügen. Aber innerhalb dieser Gruppe befinden sich deutlich mehr Burschen mit Migrationshintergrund. Auch der Bildungshintergrund oder der Arbeitsmarktstatus der Eltern spielt eine Rolle. Hinter der Kategorie Geschlecht gibt es also andere Kategorien, die in bestimmten Bereichen noch stärker wirken. 

Diese verschiedenen Überlappungen der Kategorien, die in der Forschung Intersektionalität genannt werden, müssen viel stärker berücksichtigt werden, wenn Aussagen über das Bildungssystem gemacht werden. Erst dann kommen wir wirklich zu den Bildungsverlierern. Angesichts dieser Befundlage ist die These von der Feminisierung als Ursache für die Situation von Burschen im Bildungskontext zu hinterfragen. Bislang gibt es auch keine Studien, die die These bestätigen konnten.

dieStandard.at: Warum löst sich die Vorstellung von Männern und Frauen als einheitlichen Gruppen so schwer auf? Die Männerrechtsbewegung beruft sich nicht nur darauf, sondern sogar auf eine traditionelle Männlichkeit.

Scambor: Problematisch wird eine solche Bewegung dann, wenn nur ein Aspekt, etwa der Opferaspekt, wahrgenommen wird. Der Soziologe Michael Messner geht von einem Dreieck aus, das er für eine ausbalancierte Männerpolitik heranzieht: Auf einer Seite müssen die Kosten von Männlichkeit stehen - zum Beispiel, wenn Väter ihre Kinder aufgrund von Besuchsregelungen nicht sehen können. Eine weitere  Seite steht für die Privilegien, auch die muss Männerpolitik im Blick haben. Wenn nur die Kosten betont werden, führt das zu einem Geschlechterkampf. Und dieser wird im Netz etwa sehr untergriffig geführt.  

Darüber hinaus erfordert eine ausgewogene Männerpolitik einen Blick auf Diversität, dass sie sich also auf die wechselseitigen Beziehungen innerhalb des Geschlechterverhältnisses konzentriert, anstatt ausschließlich auf Männer zu fokussieren. Und sie muss soziale Unterschiede innerhalb der Geschlechtergruppe "Männer" transparent machen.

dieStandard.at: Wie steht es um die Männerberatung in Österreich? Sehen sich diese Einrichtungen  einer fortschrittlichen Gleichstellungspolitik verpflichtet?

Scambor: Die Arbeitsgemeinschaft österreichischer Männerberatungsstellen und Männerbüros (AMÖ) führt Diskussionen darüber, wie mit antifeministischen Perspektiven von Männerrechtlern umgegangen werden soll. Die AMÖ sehe ich schon als Reflexionszirkel. Im Leitbild der AMÖ sind die gegenseitige Achtung von Männern und Frauen und das Ziel Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechterdemokratie dezidiert verankert. Vor kurzem haben wir die institutionelle Männerarbeit in Österreich evaluiert, wobei auch die Prinzipien der Arbeit abgefragt wurden. Gleichstellungsorientierung und Geschlechtergerechtigkeit waren die wichtigsten Prinzipien, die angegeben wurden. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 20.6.2013)