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Gemeinsames lesen beim Bachmann-Preis. Hier das Studio für die Ausstrahlung 2005.

Foto: AP Photo/Gert Eggenberger

Das Schöne am Fernsehen ist ja auch, dass es uns Dinge präsentiert, die uns gar nicht interessieren. Oder besser gesagt: Von denen wir gar nicht wussten, dass sie uns interessieren. Wahlloses Einschalten vorausgesetzt, kann Fernsehen neue Leidenschaften inhaltlicher Natur entfachen oder lässt zarte Bande zu einem - mitunter nur seltenen - TV-Ereignis entstehen.

Ein Fernsehereignis der Extraklasse

Beides und noch einiges darüber hinaus vermochte die jährliche Übertragung des Wettlesens beim Bachmannpreis zu bieten. Die Ankündigung des ORF, die Tage der deutschsprachigen Literatur einstellen zu wollen, ist bitter. Denn der Bachmannpreis ist ein großartiges Fernsehereignis. Doch was genau lässt Fernsehaffine mit ihrer durch die Glotze anerzogenen kurzen Aufmerksamkeitspanne über Stunden bei der Übertragung des Bachmann-Preises verharren?

Dem Bildschirm sonst fremde Menschen lesen ihre Texte vor, über die dann ebenso TV-unbekannte Gesichter reden, streiten und fachsimpeln. Die Kameras schwenken mal auf die nervösen Lesenden, mal auf das Publikum, mal zur Jury. Das auf den ersten Blick so wenig aufregende Setting flimmert zu einer Jahreszeit über den Bildschirm, in der es draußen wohlig warm ist und noch dazu am helllichten Tag. Eine Zeit also, in der der Fernseher auch mit dem Reiz des Verbotenen lockt. Den Rest der melancholischen Stimmung bewerkstelligt das mit dem Preis verbundene Erinnern an Ingeborg Bachmann.

Nun, die Rivalität zwischen den AutorInnen ist es nicht unbedingt, die eineN fesselt. Den unterhaltsamen Casting-Charakter, den im Übrigen viele der Literatur als nicht würdig erachten, liefert die eloquente Jury. Denn obwohl ein Sieger oder eine Siegerin in den Reihen der AutorInnen gesucht wird, findet der wahre und fernsehtaugliche Wettkampf zwischen den anwesenden KulturjournalistInnen, LiteraturwissenschafterInnen und LiteraturkritikerInnen statt. Nach jedem vorgelesenen Textstück werfen sie sich in den Ring im Kampf um Originalität, Witz und kritische Schärfe.

Proaktives Fernsehen

Während der gefinkelten, aber oft handfesten Streits dieser Bildungselite tritt zwar im ersten Moment das Gelesene samt AutorIn völlig aus dem Blickfeld. Doch durch diese Mehrstimmigkeit werden die ZuseherInnen verführt, Position zu beziehen. Zu dem eben Vorgelesenen, zu den vorgebrachten Fachmeinungen und vor allem zu den Selbstinszenierungen der JurorInnen. Proaktives Fernsehen also.

Verglichen mit Sendungen wie "Kultur am Montag", in der das jeweilige präsentierte Kulturgut den ZuseherInnen als "für gut empfunden" vorgesetzt wird, ist das eine Wohltat. Doch diese wird es künftig vielleicht nicht mehr geben: Kein staubtrockener Humor von Daniela Strigl mehr und auch kein braver Litertaturwissenschaftsnachhilfe-Kurs von Hildegard Elisabeth Keller. Den Bachmann-Preis abzusägen wäre ein fataler Fehler. Ingeborg, hilf! (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 26.6.2013)