Sarah Binder, Sarah Kanawin, Simon Sailer, Florian Wagner (Hg.)
How I Got Lost Six Feet Under Your Mother
Ein Serienbuch
Zaglossus 2013
208 Seiten, 17,95 Euro

Foto: Buchcover Zaglossus

Die feuilletonistische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit TV-Serien ist noch jung. Es fehlt glücklicherweise noch ein anerkannter Kanon und somit auch das manchmal doch etwas ermüdende Abfeiern von bereits Abgesegnetem. Uneinigkeiten, ob das Goldene Serienzeitalter nun mit den "Sopranos", "Twin Peaks" oder doch mit "Arrested Development" begann, gehören dazu - die Zeit reichte noch nicht für die Durchsetzung von Autoritäten, die darüber das letzte Wort beanspruchen.

Was nicht bedeutet, dass es keine Kritik an den verschiedensten Serienrezeptionen gibt. Die HerausgeberInnen des eben erschienenen Sammelbandes "How I Got Lost Sex Feet Under Your Mother. Ein Serienbuch" sehen so mancher Serie etwas zu rasch politisches Potential unterstellt. Der Band hat es sich daher zum Ziel gesetzt, nicht nur die dadurch übersehenen problematischen Darstellungen zu diskutieren, sondern auch sich selbst als RezipientInnen im Blick zu behalten. Man gehöre schließlich zur kalkulierten Zielgruppe. Dem Impuls, der Serie aus Begeisterung vorschnell ein positives Attest auszustellen, wird also strengstens misstraut.

Politischer Bildungsauftrag verfehlt

Blinde Begeisterung für die besprochenen Serien kann den AutorInnen des neuen Serienbuches wahrlich nicht vorgeworfen werden, obgleich angesichts der teils unzähligen Episoden eine gewisse Faszination für das Studienobjekt wohl Voraussetzung war. Florian Wagner beschreibt in seinem Beitrag, wie es in sämtlichen "Star Trek"-Ausgaben, von "Star Trek: The Original Series" bis hin zu "Star Trek: Voyager" um Sexismus und emanzipierte Frauenfiguren steht und Astrid Hanisch bewältigt kein geringeres Serienvolumen als das der "Lindenstraße" (die derzeit bei Folge 1.437 steht). Zwar werde in der ersten deutschen Soap versucht, politische Themen wie Migration und Asyl aufzugreifen, dennoch scheitern für Hanisch die angestrebten antirassistischen Strategien immer wieder aufs Neue. Probleme, die in struktureller Diskriminierung fußen, würden lediglich in "moralischem Handeln aufgelöst" werden. Dass der politische Bildungsauftrag der Serie verfehlt wurde und wird, zeige sich auch an den Darstellungen von Menschen mit Migrationshintergrund - etwa bei den Figuren der Familie Sarikakis oder auch bei der Figur des Gung Pham Kien.

Apropos Bildungsauftrag: "Diese amerikanischen Serien" sind meist der Grund, warum den öffentlich-rechtlichen Sendern mangelnde Qualität vorgeworfen wird. Von wegen: So manche im Buch besprochene US-amerikanische Serie geizt nicht mit gesellschaftspolitischer Relevanz. So attestiert Georg Lotz "Malcom in the Middle" ein cleveres Spiel mit Sehgewohnheiten und Vorurteilen. Auch würde die Serie den in der TV-Landschaft oft ausgeblendeten Aspekt der sozialen Klasse auf den Bildschirm holen.

Anti-Intellektualismus bei den "Friends"

Weniger gut kommen zwei andere bekannte US-Serien im Buch weg. Sarah Kanawin kritisiert den in "Friends" und "How I Met Your Mother" kursierenden Anti-Intellektualismus. Die Serien würden also nicht nur ähnliche Konstellationen teilen, sondern auch das wiederholte Bashing gegen jene Cliquenmitglieder, die die Obergscheiten geben.

Kritiken wie diese, wie auch die an den nicht zu Ende gedachten antirassistischen Strategien in der Lindenstraße, gehen jedoch an dem Umstand vorbei, dass diese auf ein breites Publikum ausgerichtet sind. Selbstverständlich soll auf diskriminierende Schlampereien im TV aufmerksam gemacht werden. Aber es ist keine Überraschung und daher auch nicht der interessanteste Aspekt, dass es komplexe gesellschaftspolitische Inhalte in einer Serie nicht zur gänzlichen Ausbuchstabierung schaffen.

Und vielleicht hat es durchaus seine Berechtigung, dass ZuschauerInnen über Dr. Ross in "Friends" lachen wollen: Bildungskapital ist nach wie vor ungerecht verteilt und in den USA ist ein Studium mit enormen finanziellen Belastungen verbunden. Da kann es schon befreien, über jene privilegierte Minderheit zu lachen, die über das hohe Gut Bildung verfügt.

"Buffy" ist natürlich auch da

Insgesamt gehört der Sammelband aber dank seiner unkonventionellen Auswahl an Themen und Perspektiven zur Pflichtlektüre politisch interessierter Serienjunkies. Von der spanischen Soap-Opera "Cuéntame cómo pasó", die sich auch als Geschichtskunde versteht, über eine Analyse der Darstellung der "Italian American Family" bis hin zum Genre der Horror-Serie reicht das besprochene Spektrum. Einzig die Beschäftigung mit der Serie "Buffy the Vampire Slayer" überrascht in einem Serienbuch nicht und war zu erwarten - also doch schon ein bisschen Kanon. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 1.7.2013)