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Im Jänner wurde in Jordanien das Parlament gewählt. Zahlreiche Proteste waren der Wahl vorausgegangen, in denen politische Reformen in der konstitutionellen Monarchie gefordert wurden. Auf dem Wahlplakat ist zu lesen: "Die Frauen Jordaniens vom Feld in das Parlament".

Foto: AP/Mohammad Hannon

Aroub Soubh (Zweite von links) sowie Mitglieder der Kampagne "Meine Mutter ist Jordanierin und ihre Nationalität ist mein Recht".

Foto: Pascale Müller

Aroub Soubhs Mann ist im Irak geboren. Das Ehepaar wohnt in Amman, dort sind auch ihre Kinder zur Welt gekommen. Sie haben niemals in einem anderen Land gelebt. Fragt man die beiden nach ihrer Heimat, antworten sie: "Jordanien!" Ihre Schulfreunde aber nennen sie "ajnabi" (Fremde). Diese Freunde sind echte Jordanier - zumindest steht das so in ihren Pässen. Soubhs Kinder hingegen haben kein Recht auf das kleine blaue Buch, das ihnen Zugang zu vielen Bürgerrechten gewähren würde. 

Benachteiligung im Alltag

Um weiterhin legal im Land leben zu können, müssen sie jährlich einen Antrag für eine Aufenthaltserlaubnis stellen. Wollen sie eine öffentliche Schule besuchen, bezahlen sie mehr Schulgeld als ihre Altersgenossen. Außerdem wird es ihnen später nicht erlaubt sein zu arbeiten, es sei denn, sie bezahlen viel Geld für eine Arbeitserlaubnis. Insgesamt fallen schon jetzt für jedes Kind mehr als 500 Jordanische Dinar (JD) jährlich an. Das alles nur, um im Land bleiben zu können, zur Schule zu gehen und eine Krankenversicherung zu haben.

Wäre Soubh ein Mann, wäre das alles anders. Dann könnte sie nicht nur ihre eigene Nationalität an ihre Kinder weitergeben, sondern auch an bis zu drei Ehefrauen. Ganz egal, wie lange die schon in Jordanien leben. "Mein Land erkennt nicht an, dass ich eine vollwertige Bürgerin bin, und das macht mich sehr traurig. Ich empfinde das als eine schwerwiegende Diskriminierung", sagt Soubh. Neun Jahre lang, seit der Geburt ihres ersten Kindes, kämpft sie nun schon gegen den entsprechenden Passus in der Verfassung.

Nationalität als "Recht der Familie"

Mit anderen Frauen und ZivilrechtlerInnen hat sie sich zu einer Koalition zusammengeschlossen. Der Name der Organisation spricht für sich selbst: "Meine Nationalität ist das Recht meiner Familie". Sie fordern nicht nur, das Gesetz bezüglich der Staatsbürgerschaft zu ändern, sondern außerdem die Verfassung so zu erweitern, dass zukünftig gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geklagt werden kann.

Nimat Habashneh ist eines der Mitglieder. Als Mitinitiatorin der Kampagne "Meine Mutter ist Jordanierin und ihre Nationalität ist mein Recht" verbrachte sie im vergangenen Jahr unzählige Stunden vor dem Parlamentsgebäude und dem Sitz des Premierministers. "Wir werden nicht aufhören, unser Recht einzufordern, das unseren Kindern und Ehemännern die volle Staatsbürgerschaft und damit den Zugang zu den Bürgerrechten diese Landes gewährt", sagt die Aktivistin.

Die Regierung hatte schon 2012 das Versprechen gegeben, auf die Forderungen der Kampagne einzugehen. Eingelöst wurde es bis heute nicht. Die Frauen fühlen sich betrogen. "Wir bitten die Regierung nicht um einen Gefallen, sondern empfinden es als unser ureigenes Recht, unsere Nationalität an unsere Familien weiterzugeben", sagt Soubh. Die Frauen stehen mit ihrem Anliegen nicht alleine da. Gut die Hälfte der Koalitionspartner sind Männer, meist Anwälte, die das Gesetz als "zivilrechtlich problematisch" erachten.

Acht Prozent der Bevölkerung von Regelung betroffen

Rund 500.000 Menschen und damit fast acht Prozent der Gesamtbevölkerung sind nach Schätzungen einer Studie des Informations- und Forschungszentrums "King Hussein" von den Restriktionen des Gesetzes betroffen. Aida Essaid, Leiterin dieser Studie, möchte die Bevölkerung sensibilisieren. "Es wird noch lange dauern, bis wir gängige Vorurteile aus dem Weg räumen können."

Dass die Lage so festgefahren ist, liegt nicht nur an der Geringschätzung von Frauen als Bürgerinnen. Regierungssprecher äußerten immer wieder Befürchtungen, dass sich "die demografische Zusammensetzung der Bevölkerung dramatisch ändern könnte", würde man vor allem Kindern palästinensischer Männer die jordanische Staatsbürgerschaft zugestehen.

Abgesehen von der fremdenfeindlichen Komponente dieser Argumentation ist sie nicht einmal berechtigt, wie Essaids Studie beweist. "46 Prozent der ausländischen Ehemänner kommen aus Ägypten, 32 Prozent aus Syrien, und nur acht Prozent der Ehemänner sind Palästinenser", erklärt sie.

Schwierige Lage für Familien mit palästinensischem Vater

Richtig ist nur, dass Kinder einer jordanischen Mutter und eines palästinensischen Vaters sich in einer besonders schwierigen Situation befinden. Eine palästinensische Staatsbürgerschaft existiert nicht, gleichzeitig werden Palästinenser in Jordanien als Ausländer betrachtet. Während anderen Kindern zumindest theoretisch die Möglichkeit offen steht, die Staatsbürgerschaft ihres Vaters zu erlangen, bleibt solchen mit palästinensischen Vätern nur eines: das Nirvana der Staatenlosigkeit.

Doch es gibt auch Fälle, in denen Kinder von Vätern anderer Nationalitäten davon betroffen sind. Mohammad ist ein solcher Fall. "Dein Vater ist Ägypter, aber er hat deine Mutter verlassen, weil er keine andere Arbeit als in einer Putzkolonne finden konnte. Du hast keine Dokumente, die beweisen, dass du Ägypter bist. Deine Mutter ist Jordanierin, aber ihre Nationalität ist für dich unerreichbar. Du bist staatenlos", schreibt der 18-Jährige in seinem Blog über sich selbst.

Der finanzielle Druck wird damit fast zum kleinsten aller Probleme für die betroffenen Familien. Soziale Exklusion und psychische Heimatlosigkeit erleben viele als schlimmer. "Ich bin Jordanier, aber in Wirklichkeit bin ich ein Niemand, nur ein Skelett, das in den Straßen umherwandert", sagt der 17-jährige Abdulla.

Letzter Ausweg Auswanderung

Auch für Nermeen Murad war es nicht mehr auszuhalten. Sie ist gegangen. Die Wissenschaftlerin und ehemalige Direktorin des King-Hussein-Instituts ist vor einem Jahr zusammen mit ihrem britischen Ehemann und ihren Kindern nach Großbritannien ausgewandert. Kurz vor ihrer Abreise schrieb sie in einem offenen Brief an die Regierung: "Wir zählen die Tage bis zu unserer Ausreise und gehen mit der traurigen Erkenntnis, dass mein Land diese kleine Familie zurückweist und das Potenzial verkennt, das in ihr und so vielen anderen steckt."

Heute hat Murad für ihr Land nur noch Bedauern übrig. "Es verstrickt sich in verworrenen Gesetzen, das ganze Teile der Bevölkerung davon ausschließt, an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken." Auch wenn sie zuversichtlich bleibt, dass sich mit der Koalition bald etwas ändert, spricht ihre eigene Kapitulation vor dem bornierten jordanischen System doch eine andere Sprache.

Laut Essaid denken mehr als 16 Prozent aller befragten Familien darüber nach, Jordanien zu verlassen. Für ein Land ohne natürliche Ressourcen, das von seinem Humankapital lebt, ist das eine offene Flanke. Familien, die sich zum Wegzug entscheiden, sind meist DoppelverdienerInnen aus dem Bildungsbürgertum.

Zurück bleiben jene Familien, die aus finanziellen oder rechtlichen Gründen nicht emigrieren können. Sie werden weiterhin von Behörde zu Behörde laufen, um ihren Kindern und Ehemännern den Aufenthalt in ihrem Heimatland möglich zu machen. (Pascale Müller, dieStandard.at, 11.7.2013)