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Nicht jede Pille senkt den Testosteronspiegel im gleichen Maß, aber in den meisten Pillen-Packungsbeilagen wird sexuelle Lustlosigkeit als gelegentlich auftretende Nebenwirkung angeführt.

Foto: APA/Jerrey Mosey

Die Zulassung der Antibabypille in den USA im Jahr 1960 brachte Schutz vor unerwünschter Schwangerschaft und damit erstmals in der Geschichte der Menschheit sexuelle Freiheit. Doch was nützt sexuelle Freiheit, wenn die Lust auf Sex fehlt? Sexuelle Lustlosigkeit - konkret Libidoverlust - wird in den meisten Pillen-Packungsbeilagen als gelegentlich auftretende, in einigen gar als häufige Nebenwirkung angeführt.

Nicht wiederkehrende Libido?

Im Jahr 2005 veröffentlichte das Wissenschaftsmagazin "New Scientist" dazu eine Studie der Universität Boston. Anhand von 125 Probandinnen konnte dabei der Libidoverlust durch die Antibabypille erstmals nachgewiesen werden. Damit nicht genug, gingen der renommierte Sexualmediziner Irwin Goldstein und sein Team davon aus, dass die Libido bei einigen Frauen auch nach dem Absetzen der Pille nicht wiederkehren würde. Bereits nach kurzer Einnahmedauer sei die Pille in der Lage, die hormonelle Basis für sexuelles Verlagen möglicherweise auf Dauer zu zerstören.

Verantwortlich für die weibliche Lust auf Sex ist das männliche Hormon Testosteron. Bereits in früheren Untersuchungen konnte Goldstein nachweisen, dass die Pille den Testosteronspiegel in der Regel auf ein Drittel der Menge senkt, die für Lust auf Sex erforderlich ist.

Der Eiweißkörper SHGB bindet das männliche Sexualhormon Testosteron an sich und blockiert so dessen Wirkung. Bei den untersuchten Frauen wurden um 300 bis 700 Prozent erhöhte SHGB-Konzentrationen im Blut nachgewiesen. Bei einer Absetzung der Pille hatten die Mediziner eine Normalisierung der SHBG-Konzentration innerhalb von sechs Wochen erwartet. Diese nahm zwar auch tatsächlich ab, stabilisierte sich jedoch auf hohem Niveau.

Individuelle Nebenwirkung

Kritik an der Goldstein-Studie wurde laut: Die 125 beteiligten Frauen hatten sich aufgrund von Sexualstörungen in ärztlicher Behandlung befunden. Dennoch scheint eine im Februar 2012 veröffentliche italienische Studie mit dem Titel "Sexual Behavior and Oral Contraception: A Pilot Study" die Ergebnisse zu bestätigen: 22 gesunden Frauen wurde die Pille Yasmin verschrieben, alle Probandinnen wiesen nach drei Monaten einen Libidoverlust auf.

"Der Libidoverlust ist eine individuelle Nebenwirkung, die aber durchaus bei mehreren Frauen auftritt", bestätigt Bibiana Kalmar. "Man muss sich nicht vorkommen wie ein Alien", ergänzt die Fachärztin für Gynäkologie und Hormonexpertin. Andererseits würden nicht mehr als maximal zehn Prozent aller Frauen, die die Pille einnehmen, an Lustlosigkeit leiden.

Betroffene Frauen sollten sich auf jeden Fall ihrem Gynäkologen anvertrauen, rät Kalmar. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie auf die Pille generell verzichten müssen: Andere Pillen-Präparate können weniger Libido-limitierend sein. "Es gibt allerdings Frauen, bei denen jede Pille einen Libidoverlust bewirkt", so die Hormonexpertin. Diesen bleibt die Möglichkeit, auf eine Barrieremethode umzusteigen.

Antiandrogene Wirkung

Der Verlust der Libido ist an zwei Eigenschaften der Pille gebunden: Zum einen produzieren die Eierstöcke keine eigenen Hormone mehr. Diese werden von der Pille produziert. Zum anderen sind die Bestandteile mancher Pillenarten antiandrogen. Vor allem bei diesen Produkten kann ein Libidoverlust auftreten, weiß Kalmar.

Androgene sind die männlichen Geschlechtshormone. Diese werden auch in den weiblichen Eierstöcken produziert. "Wir gehen davon aus, dass zumindest ein Teil der Libido über die Androgene getriggert wird", sagt Kalmar. "Wenn ich eine Pille nehme, die eine antiandrogene Wirkung hat - das heißt, die Produktion von Androgenen wird absichtlich und gezielt verhindert -, dann kann ein Verlust der Libido auftreten."

Pille gegen Akne

Vor allem Frauen, die die Pille zur Verbesserung ihres Hautbildes einnehmen, können davon betroffen sein, da sich gerade eine Pillenvariante mit antiandrogener Wirkung gegen Akne bewährt hat. Ob man sich somit entweder für die Libido oder für eine schöne Haut entscheiden muss? "Das ist leider der Fall", sagt die Hormonexpertin, betont aber nochmals, dass nur ganz wenige Frauen davon betroffen seien: diejenigen von den maximal zehn Prozent, bei denen auch ein Umstieg auf ein anderes Präparat keine Verbesserung bringt.

Nicht jede Pille senkt den Testosteronspiegel in gleichem Maß. Darüber hinaus wird sexuelle Lust von vielen Faktoren bestimmt. Grundsätzlich sieht Bibiana Kalmar die Pille als "eine sehr erprobte, gut verträgliche und nebenwirkungsarme Form der Empfängnisverhütung, vor allem für junge Frauen". Dennoch ist die Diskussion über Hormonpräparate noch lange nicht zu Ende, und Frauen sollten sich sorgfältig über alle Vor- und Nachteile der Pille aufklären lassen. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 24.7.2013)