Der erstmals erstellte "Gender Equality Index" der Europäischen Union sieht noch einen weiten Weg bis zur völligen Gleichstellung der Geschlechter.

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Der Gender Equality Index wurde im Juni präsentiert. Er basiert auf den Daten aus dem Jahr 2010.

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Bisher war es alles andere als leicht, den Status Quo in Sachen Gleichstellung der Geschlechter in der Europäischen Union zu beziffern: Wie ein ökonomisch gut entwickeltes Land wie Deutschland mit einem kleinen Staat wie Malta vergleichen, wie den vielen verschiedenen Dimensionen von Geschlechtergleichheit gerecht werden? Dies soll sich nun mit dem "Gender Equality Index" ändern, der im Juni erstmals in Brüssel präsentiert wurde. Basierend auf Daten aus allen (damals noch) 27 Mitgliedsstaaten bestimmt dieser das Ungleichverhältnis zwischen Männern und Frauen anhand eines Index.

Österreich unter Durchschnitt

Das Europäische Institut für Gleichstellung der Geschlechter (EIGE) hat in den letzten drei Jahren gemeinsam mit internationalen ExpertInnen an dem Werkzeug gearbeitet. Die erste Auswertung (basierend auf Daten aus dem Jahr 2010) kommt zu dem Schluss, dass die EU als Gesamtes erst die Hälfte des Weges zur Gleichstellung der Geschlechter erreicht hat. Auf einer Skala von 1 (für keine Gleichstellung) bis 100 (komplette Gleichstellung erreicht) haben alle Mitgliedsländer zusammen (noch ohne Kroatien) einen Index von 54,0. Österreich liegt mit 50,4 deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Die Länder mit dem höchsten Index sind - wenig überraschend - die skandinavischen Länder (Schweden 74,3, Finnland 73,4 und Dänemark 73,6).

Theoretischer Rahmen

Für eine differenzierte Betrachtungsweise wurde gesellschaftliche Gleichstellung anhand von sechs Dimensionen erfasst: Arbeit, Geld, Wissen, Zeit, politischer und gesellschaftlicher Macht und Gesundheit. Hinzukommen noch die zwei "Satelliten-Domänen" intersektionale Ungleichheiten und Gewalt, die aufgrund der mangelnden Datenlage nicht in die finale Berechnung eingeflossen sind.

Die recht großen Dimensionen wie "Arbeit" wurden weiters in Sub-Domänen unterteilt: Ungleichheit bezieht sich auf den Aspekt der Teilnahme von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, auf die Segregation in Berufsfelder und schlussendlich auf die Qualität der Arbeit (verstanden als Karriere- und Erwerbssicherheit). In die Dimension "Geld" floss jenes Datenmaterial, das Aussagen über das Einkommen, die spezifischen Beschäftigungsformen, den Zugang zu Bankprodukten (etwa Kredite) sowie den Grad der Armutsgefährdung machen konnte.

Die Domäne "Wissen" fasst die Bildungsabschlüsse von Männern und Frauen und die Segregation im Bildungsbereich. "Zeit" bezieht sich auf die Verteilung von Lohnarbeit, Pflegearbeit und Freizeit (inklusive ehrenamtlichem Engagement).  Im Bereich "Gesundheit" wurden der Gesundheitstatus, das Gesundheitsverhalten sowie der Zugang zur Gesundheitsversorgung von Frauen und Männer gesammelt. "Macht" wiederum gibt die Repräsentation von Frauen in der politischen, sozialen und ökonomischen Sphäre an.

Österreich hat Probleme bei Wissen, Zeit und Macht

Differenziert nach Domänen zeigt sich, dass Österreich in den Bereichen Arbeit, Geld und Gesundheit (73,9, 77,9 und 91,6) bereits große Fortschritte erzielt hat, aber in Bezug auf Wissen (44,6), Zeit (40,0) und Macht (24,3) noch Defizite hat. Auch in Deutschland hapert es in diesen Bereichen.

Rumänien befindet sich mit 35,3 am unteren Ende des Gleichstellungsindex. Gründe dafür sind auch hier die besonders niedrigen Werte in den Domänen Wissen (28,8), Zeit (17,8) und Macht (24,9). 

Größte Mankos: Macht und Zeitverteilung

Die Studienautorinnen weisen darauf hin, dass das größte Ungleichverhältnis EU-weit auf der Machtebene besteht, sowohl politisch als auch in den Unternehmen. Der mittlere EU-Wert liegt hier bei 38, wobei sich die Mehrheit der Mitgliedsländer noch darunter befindet. Wenn man den politischen Bereich alleine betrachtet, zeigt sich, dass nur die wenigsten Länder einen Score über 50 schaffen, was besonders enttäuschend ist, da der Fokus der EU und auch vieler internationaler Aktivitäten auf der Erhöhung des Frauenanteils in Entscheidungsprozessen liegt.

Ein großes Manko stellt auch die Ungleichheit bei der Zeitverteilung dar. Immer noch übernehmen Frauen in der EU den Großteil der Pflegearbeit, während Männer mehr Zeit für kulturelle und wohltätige Betätigungen haben. Der durchschnittliche Wert in der EU liegt hier bei 38,8, wobei hier große Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern bestehen. Immer noch sei es für Frauen schwer, Beruf und Familie zufriedenstellend zu vereinbaren, so die Studienautorinnen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass seit der Krise Frauen noch mehr Pflegearbeit leisten. 

Mangelnde Daten zu Gewalt

Ein besonderes Problem stellt aus Sicht des EIGE die mangelnde Datenlage zum Thema Gewalt gegen Frauen in den einzelnen Mitgliedsländern dar. Ein höheres Maß an Bewusstsein sei nötig, um die vielfältigen Aspekte von geschlechterbasierter Gewalt systematisch zu erfassen, kritisieren die Studienautorinnen. So wird etwa auch in Österreich keine Statistik darüber geführt, wieviele Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner verletzt oder gar getötet wurden.

Eine aktualisierte Version des "Gender Equality Index" soll es künftig jährlich geben. Er steht der interessierten Öffentlichkeit auf einer interaktiven Website zur Verfügung, richtet sich aber vor allem an EntscheidungsträgerInnen, die sich schnell und effizient ein Bild über die Gleichstellungslage in einem EU-Land machen wollen. (freu, dieStandard.at, 24.7.2013)