Quote andersrum: Ulrike Weiser ("Die Presse"), Vina Yun ("Anschläge"), Claus Reitan (freier Journalist) Claus Pirschner (ORF), Katharina Schell (APA) und Moderatorin Irene Brickner

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Wien - Mehr Teilzeit, seltener in Führung, weniger Geld für die gleiche Arbeit: Beim Gender Gap steht der Journalismus um nichts besser da als andere Branchen. Daran hat sich in den letzten fünf Jahren wenig geändert. Verhandeln Frauen einfach schlechter? Verzichten sie auf das für den Aufstieg so wichtige Netzwerken? Oder gibt es sie immer noch, die gläserne Decke in den Redaktionen? Und woraus genau besteht sie?

"Natürlich gibt es diese Decke", sagt Katharina Schell. Sie leitet seit 2008 das Innenpolitik-Ressort der APA. "Wir wissen alle, dass Gletscher schneller schmelzen als Frauen in Führungspositionen kommen."  Und doch habe sich etwas getan in den letzten fünf Jahren. Es gebe mittlerweile zumindest einige Chefredakteurinnen (u.a. beim STANDARD). Schell: "Ich bin seit 1998 journalistisch tätig, das sind 15 Jahre. Frauenbewegt oder feministisch tätig bin ich seit über 20 Jahren. Da sind fünf Jahre nichts."

26 Prozent der Führungsjobs in Medien sind hierzulande von Frauen besetzt. Damit liegt Österreich über dem EU-Schnitt. Doch auch hier hat fast jeder fünfte Journalist eine leitende Funktion, aber nicht einmal jede zehnte Journalistin. Männliche Medienmanager verdienen in Österreich im Schnitt 900 Euro mehr als Frauen in den selben Funktionen, die die selbe Arbeit leisten.

Bei den privaten Medien sind 13 Prozent der Chefs weiblich, bei den öffentlich-rechtlichen immerhin 22 Prozent. Der Grund ist, dass es in öffentlich-rechtlich strukturierten Häusern häufiger Frauenquoten gibt. Wie beim ORF, dem seit 2010 ein Frauenanteil von 45 Prozent in Führungspostionen vorgeschrieben wurde. Seither wächst der Frauenanteil an der Spitze etwas schneller. Mittlerweile liegt er bei 28,6 Prozent. Es zeigt sich: Ohne strukturelle Änderungen und gesetzliche Vorgaben ändert sich nichts.

Die Notwendigkeit des Skandalisierens

Die Behauptung, dass Frauen schlechter verhandeln und deswegen weniger verdienen, sei jedenfalls eine Ausrede, sagt Vina Yun, Redakteurin beim feministischen Magazin "an.schläge" und bei "www.migrazine.at". "Diese individuellen Gründe mag es geben, der Fokus muss aber auf struktureller Förderung liegen." Nicht nur, weil Medien ein Abbild der Gesellschaft sind. "Medien wird eine gesellschaftliche Wächterfunktion zugeschrieben. Deshalb müssen mangelnde Aufstiegschancen für Frauen dort besonders skandalisiert werden", fordert Yun.

Dass Appelle für mehr Frauenförderung nicht ausreichen, betont Claus Pirschner. Er ist Gleichbehandlungsbeauftragter beim ORF. Einer von dreien. Beim ORF gibt es seit knapp zehn Jahren Hearings für Führungspositionen, die mehr Fairness in den Bewerbungsprozess bringen sollen. Das Argument, dass sich weniger Frauen bewerben, gebe es aber immer noch. "Diese Ausrede gilt nicht", sagt Pirschner. Wenn sich beim ORF keine Frau für eine Leitungsfunktion bewirbt, wird die Deadline einfach nach hinten verlegt. "Wenn es den Zuständigen nicht gelingt, Frauen zu finden, müssen sie sich rechtfertigen."

"Vulgärfeminismus"

Doch was bekommen Medienunternehmen eigentlich mit mehr Frauen in Leitungsfunktionen? Gibt es so etwas wie eine spezifisch weibliche Führungsqualität? Katharina Schell winkt ab. Es sei eine "vulgärfeministische Sicht", dass Frauen die besseren Führungspersonen sind. "Weil sie angeblich mehr reden, mehr E-Mails schreiben und netter zu ihren Mitarbeitern sind. Diese Verallgemeinerung würde ich nicht wagen."

Auch Ulrike Weiser, Ressortleiterin der Wien-Chronik bei der "Presse", glaubt nicht an einen spezifisch weiblichen Führungsstil. "Aber Frauen an der Spitze machen oft Dinge, die sie selbst auf dem Weg nach oben vermisst haben." Dazu gehöre in ihrem Fall, jene Leute in der Redaktion zu fördern, die nicht ständig "Hier!" schreien. "Ich würde aber nicht sagen, dass Frauen die besseren Chefs sind."

Keine Gehaltstransparenz

Ganz sicher sind viele Frauen weniger lästig, wenn es um Gehaltserhöhungen geht. Weiser: "Sie denken eher darüber nach, ob ihre Leistung das wirklich wert ist." Viele Geschäftsführungen würden das ausnützen und die Prestige-Karte zücken: "Sie sagen zu den Frauen: Sei froh, dass du jetzt diese angesehene Position hast." Damit werde versucht, Forderungen nach mehr Geld im Keim zu ersticken." Für Vina Yun ist auch die extreme Intransparenz bei den Gehältern in der Branche ein Teil des Problems. Weil kaum Stellen öffentlich ausgeschrieben werden, sei es kaum möglich, Vergleichsgrößen herzustellen.

Einigkeit herrscht auf dem Podium darüber, dass Teilzeitjobs ein Teil der gläsernen Decke im Journalismus sind. Im ORF werden 70 Prozent der Teilzeitstellen von Frauen besetzt. Das ist repräsentativ für die Branche. Zugleich gibt es kaum Teilzeitkräfte auf Führungsebene. Auch das ändert sich langsam.

Führen in Teilzeit

Claus Reitan, ehemaliger Chefredakteur von "Furche", "Österreich" und der "Tiroler Tageszeitung" bezweifelt, dass ein journalistischer Führungsjob in Teilzeit möglich ist. "Bei diesen Jobs ist nicht die gläserne, sondern eine faktische Decke eingezogen, die Frauen nur um den Preis der absoluten Kinderlosigkeit durchbrechen können." Dazu komme ein niedrigeres Pensionsantrittsalter für Frauen, das nicht für Frauen in Führung spreche. "Das muss angehoben werden."

Er sei Verfechter des "Aust-Theorems": Der legendäre Chefredakteur des "Spiegel" war stets Anhänger der Sieben-Tage-Woche im Journalismus. Weiser hält dagegen, dass die Praxis beweise, dass Führung in Teilzeit ganz gut funktioniere. Das zeigten Beispiele bei der "Presse" und beim STANDARD. Reitan: "Das ist ein Experiment am lebenden Objekt." Leitungsfunktionen würden eine Kontinuität der Präsenz voraussetzen. Nur so lassen sich alle Informationen zusammenführen.

Wenn das so wäre, dürften Führungskräfte nicht einmal schlafen, sagt Katharina Schell. "Führen in Teilzeit heißt ja nicht, nach vier Stunden den Griffel fallen zu lassen. Wenn es hart auf hart kommt, ist man heute sowieso erreichbar." Es könne aber heißen, zwei Tage im Monat mehr frei zu haben.

Führen in Teilzeit spreche heute Frauen und Männer an, sagt Claus Pirschner. "Von der Führungsetage werden heute ja nicht nur Frauen weggehalten, sondern auch Männer, die diese Art von Führung nicht wollen oder nicht können."

Diskussion um die Quote

Einigkeit gab es bei der Forderung nach einer Quote für Frauen in journalistischen Führungspositionen. Auch Claus Reitan ist dafür. "Aber nicht wegen der Frauen. Sondern weil sie vieles einbringen, was in die Medien hineingehört. Es geht um eine andere Denkweise." Er sieht aber die Gefahr, "dass Frauenquoten Quotenfrauen bringen". Auf die könne man dann bequem zeigen und sagen: Wir haben da eh schon eine im Vorstand. So werde die Frauenquote an der Spitze zur Ausrede, warum man andere Frauen nicht mehr fördern müsse. Reitan: "Die Frage, die hinter der Führungsstilfrage steht, ist ja die: Sind Frauen die besseren Menschen? Und das ist längst mit nein beantwortet."

Milieuänderung

Es habe aber eine teilweise Milieuänderung im Journalismus stattgefunden. Eine Änderung zum Guten. Reitan: "Früher mussten sich Frauen in Redaktionen sexistische Witze anhören, heute sind die Kolleginnen in der Regel die besser geschulten, die besser vorbereiteten, wenn sie so wollen, die etwas strebsameren." Dass sexistische Witze oder Bildschirmschoner heute keine Bagatelle mehr sind, bestätigt Claus Pirschner. "Das fällt unter sexuelle Belästigung." Im ORF habe sich das vor allem deshalb gebessert, weil sexuelle Belästigung eine Dienstpflichtverletzung ist, die Konsequenzen hat im Haus. Ob Quoten, verpflichtende Workshops oder Gehaltstransparenz: Wenn sich etwas ändern soll, geht es immer um die Strukturen. (Lisa Mayr, dieStandard.at, 26.9.2013)