Eine der porträtierten Pionierinnen, die Bergsteigerin Helma Schimke. Sie hat 1961 das Buch "Auf steilen Wegen. Aus dem Bergfahrtenbuch einer Frau" veröffentlicht.

Foto: Helma Schimke: Auf steilen Wegen. Aus dem Bergfahrtenbuch einer Frau. Verlag das Bergland- Buch, Salzburg/Stuttgart 1961.

Die beiden Autorinnen Karin Steibach (li.) und Caroline Fink sind begeisterte Bergsteigerinnen.

Foto: Tyrolia Verlag

Caroline Fink, Karin Steinbach: Erste am Seil. Pionierinnen in Fels und Eis.
Tyrolia Verlag 2013

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Frauen im Vorstieg. Bis es soweit kam, mussten viele, vor allem gesellschaftliche und mentale Hindernisse überwunden werden. In 26 Pionierinnen-Portraits und zehn Kapiteln zur Alpingeschichte beschreiben die Autorinnen Caroline Fink und Karin Steibach, beide selbst erfahrene Bergsteigerinnen, den Weg der Pionierinnen.

Sportart "mit beträchtlicher intellektueller Komponente"

"Wer als Seilerster klettert, hat noch mehr Vergnügen", schrieb 1929 die Amerikanerin Miriam O' Brian, Initiatorin der ersten bedeutenden Frauenseilschaft. Es ging ihr aber bei Weitem nicht bloß um das Vergnügen. Ihre Begründung lautet: "...weil er die technischen, taktischen und strategischen Probleme, die sich ihm stellen, unmittelbar lösen muss. Und da er gewöhnlich auch die Verantwortung für die Seilschaft trägt, erzielt er für sich auch die größte Befriedigung, denn das Bergsteigen ist eine Sportart, die eine beträchtliche intellektuelle Komponente hat."

Bereits hier, bei der Beschreibung der ersten führerlosen- und Frauenseilschaften des 20. Jahrhunderts, taucht ein Motiv auf, das sich durch das gesamte Buch zieht: Das der Verantwortung, der Eigenverantwortlichkeit. Denn so unterschiedlich die portraitierten Frauen ihrer Herkunft, Sozialisierung und Interessen nach auch seien mögen, scheint sie doch dieses gemeinsame Ziel anzutreiben.

Häme und Verhinderung

Auf diesem Weg zur Eigenverantwortlichkeit stießen die Frauen allerdings auf Widerstand, wie man sich ihn im Jahr 2013 kaum mehr vorstellen kann. "Der Grépon als Klettertour existiert nicht mehr. Nachdem er von zwei Frauen allein begangen wurde, wird sich kein Mann mehr, der diese Bezeichnung verdient, an ihn heranwagen. Das ist schade, denn es war eine sehr schöne Route", schrieb ein französischer Alpinist – wir wollen zur Abwechslung ihn ungenannt lassen – über besagte Miriam O' Brian. Die Taktik der Gegner war: Die Leistungen der Frauen am Berg verhindern, verschmähen, oder tot schweigen.

Auch in vielen Alpenclubs waren Frauen nicht gelitten oder explizit ausgeschlossen. Ein Druck, der zu Gegendruck und der Gründung von Frauen-Alpenclubs führte. Es ist ein Vorzug dieses Buches, dass es die dargestellte Entwicklung einer weiblichen Bergkultur auch in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext stellt. So weisen die vorgestellten Biografien immer über sich selbst hinaus auf ein Allgemeingültiges, das auch interessiert, wenn wir mit Bergen nichts am Hut haben.

Wenig Geschrei um eine große Sache

Die Britin Monica Jackson etwa organisierte im Jahr 1955 die erste Frauenexpedition in den Himalaya. Ihre Notizen zur Planung wirken, so die Autorinnen, die die heute über 90-Jährige in Edinburgh besuchten, "unaufgeregt wie ein Einkaufszettel". Die Frauen machten einfach kein großes Geschrei um ihre Sache und wurden erst von einem Journalisten der "Times" darauf hingewiesen, dass sie in dieser Sache Pionierinnen seien. Bezeichnend ist ebenfalls, dass die Frauenexpedition nach erfolgter Erstbesteigung einen Gipfel nicht etwa nach sich selbst, ihren Königen, Ehemännern oder Kindern, sondern nach ihrem wichtigsten Sherpa "Gyalgen" benannten.

Der "feministische Kletterstil" von Elvira Shataeva

Aber das Buch lenkt unseren Blick auch über den Westen hinaus, zum Beispiel auf die russische Bergsteigerin Elvira Shataeva, einer "Meisterin des Alpinismus", die 1974 am Pik Lenin ums Leben kam. Sie, die in den frühen 70er-Jahren fast nur noch in reinen Frauenseilschaften unterwegs war, begründete das so: "Wir müssen nicht und können uns am Berg nicht wie Männer bewegen." Die körperlichen Ungleichheiten wurden von ihr in einen Vorteil gewendet, der zu einem "feministischen Kletterstil" führen sollte. Ob es ihr persönlicher Ehrgeiz war oder andere, auch politische Gründe, die sie am Pik Lenin im Schneesturm nicht umkehren, sondern biwakieren und sterben  ließen, konnte nie geklärt werden.

Überhaupt kommt auch das Umkehren, also das Motiv des Scheiterns, in diesem klugen Buch zu seinem Recht. So ist für die Italienerin Nives Merois das Bergsteigen "un gioco", ein Spiel. Gipfel sind für sie also keine harte Arbeit, kein Leidensweg zum Ziel. Sie sagt: "Ich mache einen Schritt nach dem anderen und schaue, wie weit ich komme, wie weit es geht." Deswegen gibt es für sie auch kein Scheitern. Sie hält ein Plädoyer für "die Umkehr ohne Scham", die sie auch lebt. Die Chance, als erste Frau auf allen Achttausendern gestanden zu haben, ließ sie aufgrund einer schweren Erkrankung ihres Ehemannes ziehen.

Den Egoismus vergessen

Für die Baskin Josune Bereziartu, der Rekordhalterin im Sportklettern, war es hingegen immer wichtig "Erste zu sein". Sie kletterte als bisher einzige Frau 9a+, nahm sich nach vielen Jahren aber auch "die Freiheit, Erwartungen nicht mehr zu erfüllen". So auch die Erwartung nach neuen Rekorden, die sie jetzt entspannt den Jüngeren überlässt. Sie geht in die Berge und sagt: "Im Alpinismus lernst Du die Einfachheit der Dinge, Du lernst, Deinen Egoismus zu vergessen und das Beste für das Team zu wollen."

Vom Klettern zum Basejumpen kam die Amerikanerin Steph Davis. Sie beschreibt den Unterschied zwischen ihren Lieblingsbeschäftigungen so: "Beim Basejumpen setzt man die Schwerkraft ein, alles passiert schnell und man muss fähig sein, mit dem Impuls mitzugehen. Beim Klettern hingegen arbeitet man gegen die Erdanziehung, man ist sehr langsam und muss sich immer wieder anstrengen, um die Schwerkraft zu überwinden." An ihren Free-Solo-Begehungen schätzt sie die Freiheit. Im Kopf zu haben, was man dort haben will, und loslassen zu können, was man nicht im Kopf haben will, das, so die Autorinnen, sei für Davis die Crux, nicht nur beim Klettern, sondern überhaupt im Leben.

"Doch wir steigen eben nicht nur mit Füßen und Händen, sondern auch mit dem Kopf durch die Wand", schreibt Karin Steinbach in ihrem Nachwort, das dieses facettenreiche, reich illustrierte Buch auf den Punkt bringt. (Tanja Paar, dieStandard.at, 2.10.2013)