Ikonen-Fotografie der 80er-Jahre, ganz ohne Styling: Gerhard Berger, Lamborghini Countach.

Foto: Didi Sattmann

Wenn einer auf die Trapezform abfährt, wenn er ein richtiger Freak in Sachen Trapeze ist, wird er zu zählen anfangen ...

Foto: Didi Sattmann

Da liegen gut dreißig Jahre dazwischen. Der gelbe Aventador steckt mit Preis (400.000 Euro) und Perfektion den Hightech-Anspruch dieser Tage ab, der Countach ist nicht nur der Vater der frischen Lamborghinis, sondern Urtyp für alle Stämme von Supersportwagen.

Foto: Lamborghini

Die geometrische Kunstform für hochschwingende Türen haben die Lamborghinis nie verlernt, wie sie auch die Gene des Countach nie aufs Spiel gesetzt haben.

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5,2-Liter-Zwölfzylinder, 455 PS, null auf hundert in 4,6 Sekunden, Spitze knapp 300 km/h.

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Das Arbeitszimmer des Betuchten.

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Mit dem Countach trieb Gerhard Berger einen Keil zwischen die Gäste aus Holland.

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Über vier Rohre atmet der Zwölfzylinder aus und verbrennt dafür rund 25 Liter pro 100 Kilometer.

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Lamborghini reklamiert einen Jahrestag, immerhin ist der Gründer und Namenspatron seit dreißig Jahren tot. Hätte es diesen nicht in echt gegeben, wäre wahrscheinlich ein Hamburger Designer auf den Namen gekommen. Besser kann man ja schwerlich heißen: Ferruccio Lamborghini, was uns gleich dran erinnert, dass die Dorfjugend der Welt noch vor kurzer Zeit hochachtungsvoll von einem Lambordschini sprach, wenn von feiner Metallware die Rede war.

Dabei stammte F. L. aus der Emilia-Romagna, einer sehr erdigen Gegend Italiens, genauso wie Enzo Ferrari. Es gab damals wie heute natürlich hübsche Hügel und fantastische mittelständische Betriebe in der Ebene, aber es war auch das Land des Lambrusco, eines zwar gnadenlos pickerten, dennoch schäumenden Rotweins. Wenn man weiß, dass die Ferrari-Mechaniker nie ohne eine Ladung Lambrusco zu den Rennen reisten, kriegen wir einen Begriff von der Erdigkeit des Landstrichs. (Bevor die Blogs der vinifizierten Experten zuschnappen: Ja, wir haben gehört, dass Lambrusco heute auch trinkbar gekeltert wird, es gibt sogar Lam­brusco-Nerds drüben in Santa Monica, aber ihr müsst mir glauben: Wer seinerzeit in Gastfreundschaft geraten ist, dem hat's bei der Jause die Ohren eingekringelt.)

Mit dem Ferrari in den Weingarten

Dies nur zur Szenerie, in der Enzo Ferrari ab den 1950er-Jahren seine Rennautos und nebenbei, eher ärgerlich zwecks Geldbeschaffung, auch Straßensportwagen produzierte. Ferruccio Lamborghini, knappe vierzig Kilometer entfernt, baute Traktoren und kaufte sich, quasi aus nachbarschaftlicher Neugier, einen Ferrari, um damit im Weingarten nach dem Rechten zu schauen.

Der Digest aus den beliebtesten Legenden sieht so aus: Ferruccio Lamborghini ärgerte sich über seinen allzu oft hinigen Ferrari und ließ dem Herrn Enzo F. ausrichten: Da baue ich lieber selber Sportwagen und zeig dir, wo der Bartl den Lambrusco holt.

So geschah es ab 1962. Lamborghini steckte das verfügbare Potenzial an technischer und formgebender Genialität, die damals in Norditalien den Takt für die ganze Welt vorgab (è vero!), in seine Straßenautos, statt sich in mit einer Horde von englischen Formel-1-Bastlern zu verzetteln.

Der Tick mit den Stieren

Die allerersten Lamborghinis gehören schon unbedingt zum Kulturerbe, umso mehr, als der Tick mit den Kampfstieren zu greifen begann. Wenn Enzo Ferrari aus einem historischen Zufall beim tänzelnden Pferd als Wappentier gelandet war, so besann sich Lamborghini seines Sternzeichens und wählte den wütenden Stier. Ab 1966 bekam jedes Modell den Namen einer Rasse von Kampfstieren. Der tapferste war der Miura, dann kam der Espada, danach Islero und Jarama. Verlegenheitspause: Welcher Kunde sollte nach den vier tapfersten Stieren einen fünfttapfersten haben wollen?

So hatte das neue Modell von 1971 noch keinen Namen, als es zum Genfer Salon transportiert und in Turin umgeladen wurde. Als die Plane vom Auto gezogen wurde, sagte der erste Arbeiter:

"Kuntasch!"

Der zweite: "Kuntasch!"

Ein anderer: "Kuntasch!"

Innehalten inmitten von Blitz und Donner

Wer ein klein wenig mit dem piemontesischen Dialekt vertraut ist, kennt dies als Ausruf der Begeisterung und des Entzückens, vergleichbar unserem "A Waunsinn!".

Lamborghini war locker genug, die spontane Namensgebung in Schriftform ins Taufregister zu tragen: "Countach", mittlerweile millionenfach falsch ausgesprochen. Kauntäk führt in der Hitliste bis zur Westküste (endlich einmal nicht Ostküste), aber wir sind ja im Besitz der Wahrheit. Kuntasch. Das ergibt ein ruhiges Innehalten inmitten von Blitz und Donner.

Denn, das sollte sich erst nach zwanzig, dreißig, vierzig Jahren herausstellen: Der Countach war die Urzelle aller Supersportwagen, und wenn sie sich heute nicht einkriegen mit tausend PS und zwei Millionen Euro: Der Countach war der Vater des Stammes, oder aller Stämme, muss man sagen.

Nichts, was danach kommen mag, würde der alte Lord sagen, nichts könnte meine Neugier wecken.

Berger gewinnt seinen ersten Grand Prix

Wir reden jetzt von 1986, der Countach wurde (nach 15 Jahren!) noch immer produziert und ließ selbst den Testarossa von Ferrari ziemlich behäbig aussehen, eher Zum-ins-Kino-Fahren.

Niki Lauda hatte als dreifacher Weltmeister kurz zuvor seine Karriere beendet.

Gerhard Berger fuhr für Benetton, im Lauf des Jahres sollte er noch seinen ersten Grand Prix gewinnen, immerhin vor Prost und Senna. Zum Mitlesen: Gerhard Berger (auf Benetton) vor Alain Prost (McLaren) und Ayrton Senna (Lotus)! Berger hatte auch schon seinen Ferrari-Vertrag fürs nächste Jahr in der Tasche. Er war berühmt, reich (aber ja doch) und hatte ein Wilder-Hund-Ansehen, wie wir es derzeit aus einem wertvollen Hollywood-Film abrufen können. James Hunt war zehn Jahre vorher, genau.

Ich hatte den fröhlichen Wunsch, Gerhard Berger und seinen Countach in ihrem natürlichen Umfeld, das war damals Wörgl in Tirol, zu treffen.

Die Holländer, die Schüsseln, die Böschung

Vorweg gesagt: Wir haben auch zu jener Zeit unsere holländischen Straßenkameraden nicht geringgeschätzt, umso weniger würden wir das heute in Erinnerung an die Lehr- und Wanderjahre des Niederländers tun. Trotzdem hatten wir damals noch eine respektlose Art für Verkehrsberichte. Wenn ich lese, dass angesichts unseres roten Countach sich "die Holländer mitsamt ihren Schüsseln über die Böschung hauten", muss ich mich doch ein wenig wundern.

Tatsächlich war es aber so, dass es ihnen an Gelassenheit mangelte, wenn ihnen der Countach aus einer Bergkurve entgegenwuchs. Die Erregung konnten wir nur zeitversetzt beobachten, wir sahen den nervösen Hacker erst im Rückspiegel, einmal sogar mit Hecht ins Grüne. Man kam sich ein bissl wie ein Holländerfresser vor. Ich kann mich noch erinnern, dass mich die Frage beschäftigte, wie unglaublich viele Holländer es gibt und warum sie alle gleichzeitig in Tirol Urlaub machen. Wie mochte es in Holland aussehen? Wer hält dort das Leben aufrecht?

Das perfekte Gerippe

Das unvergleichlich Neue am Countach, und das bleibt auch heute und übermorgen sensationell, war das verrückte, gnadenlose Design, das sich nicht von vornherein der Funktion unterordnete. Design und Technik schaukelten einander auf. Klar: Alles wäre sinnlos gewesen ohne das perfekte Gerippe. Diesen Rohrrahmen kannst du, so wie er ist, in jedes Museum für angewandte Kunst der Welt stellen.

Der Designer sagte (hey, 1971!): den Wasserkühler verstecken, irgendwo hinten, damit die Schnauze ganz tief unten beginnen kann, eine Welt der Trapeze eröffnend.

Lupenreine Ökobilanz

Wenn einer auf die Trapezform abfährt, wenn er ein richtiger Freak in Sachen Trapeze ist, wird er zu zählen anfangen, und bei jedem Rundgang werden es mehr werden: versteckte Trapeze, angedeutete, überhöhte Trapeze, Trapeze zweiter und dritter Ordnung. Ich bin auf zwanzig Trapeze gekommen, und wenn ich noch einmal zu zählen angefangen hätte, wären es sicher 21 oder 22. Allein wie man den Technikern eine kleine Kathedrale für die Vergaser-Batterie errichtet hat (sechs Doppel-Weber, ah, da schmatzt der Liebhaber). Wenn wir schon von Benzin reden: Durchschnittsverbrauch eines Countach (normaler Verkehr, nicht Gerhard Berger): 25 l/100 km. Dafür wurden pro Jahr nur etwa hundert Countach gebaut, das ergibt eine lupenreine Öko-Bilanz.

Der 5,2-Liter-Zwölfzylinder stand mit 455 PS zu Buche, null auf hundert in 4,6 Sekunden, Spitze knapp 300, damit macht man auch heute noch ganz gute Figur.

Allerdings, erzählte Berger matter-of-factly, wird jenseits der 250 das Heck so leicht, dass du die Zähne zusammenbeißen musst, und wenn du ihn aus Tempo 300 ordentlich zusammenstauchst, sind gleich einmal die Bremsen im Arsch.

Staunen bei Regen

Und bei Regen, sagt Gerhard, "wenn du da flott fahrst, da hast alle Händ' und Haxn voll zu tun", aber trotzdem müsse man sich das hin und wieder geben, und in mancher schnellen Kurve müsse man, nur zwecks der Erfahrung, einen abrupten Lastwechsel provozieren: "Da staunst!"

Auf eigene Mitfahrerlebnisse im vorgeschobenen Bereich habe ich verzichtet, wir sind bloß gegen Abend ins befreundete Ausland gefahren, um den roten Burschen ein wenig laufen zu lassen. Das Durchreißen der kurzen Gänge und der Mörderschub von 100 auf 150 und von 150 auf 200, und wie's da in den Kaldaunen drückt, das war damals noch ganz neu und irre, die Erinnerung bleibt unvergleichlich, auch weil die modernen Supersportwagen mit Schaltsprung-Weichmachern funktionieren. Die g-Kräfte bleiben gleich, klar, und die Nase kriegst du nicht mehr nach vorn, wenn du nicht den Nacken von Mike Tyson hast.

Extremer, markanter, schärfer

Ein Grunderlebnis bleibt natürlich das Ein- und Aussteigen. Hochklappende Türen waren keine Lamborghini-Erfindung, aber im Countach wurden sie zum Über-Gag der Trapezkunst stilisiert. Die Firma Lamborghini hat zwar seit den Countach-Zeiten fünfmal den Besitzer gewechselt, aber die geometrische Kunstform für hochschwingende Türen haben sie nie verlernt, wie sie auch die Gene des Countach nie aufs Spiel gesetzt haben. Seit fünfzehn Jahren sorgt Audi für wirtschaftliche Ruhe in der Firma und fördert die Erregung im Autosegment 300.000 Euro plus. Lamborghini bleibt gegenüber Ferrari extremer in der Anmutung, markanter im Design. Einfach schärfer geschnitten. Vierradantrieb und jede Art elektronischer Finesse sind dazugekommen, aber kein Murciélago und Aventador hat den Spirit des Countach überholt.

Zurück zu unserem Ausflug in Tirol

Der Countach kostete zwei Millionen Schilling, was vor dreißig Jahren ziemlich viel Geld war. Gerhard in seiner logischen, klaren Art (dem Niki Lauda erstaunlich ähnlich) konnte sehr gut erklären, warum er dieses Auto haben sollte, das schönste Auto der Welt.

"Eigentlich machen Autos mein ganzes Leben aus. Alles, was ich bin und hab im Leben, hängt mit Autos zusammen." Nicht dass er das so besonders toll fände, aber so sei es eben, da solle man sich nix vormachen. Und dann sei es doch nur logisch und natürlich, dass sich ein solcher Mensch, sobald er die Möglichkeit dazu hat, das schönste Auto der Welt zulegt.

"Das ist genauso logisch", sagt Gerhard, "wie bei einem Buchhalter. Der wird doch auch schauen, dass er den schönsten Kugelschreiber hat." (Herbert Völker, RondoMobil, DER STANDARD, 11.10.2013)