Da predigen alle Altersforscher, zur Überwindung des Pensionsschocks gäbe es nichts Besseres, als tätig zu bleiben - und wenn dann jemand mit gutem, noch dazu öffentlichem Beispiel vorangeht, ist es auch wieder nicht recht. Von der Parteien Hass und Gunst verzerrt, schwankt Monika Lindners Charakterbild in der schäbigen Geschichte dieses Wahlkampfes mit noch ungewissem Ausgang, und nur noch bis 29. Oktober hat sie Zeit, der Phänomenologie einer ÖVP-Karriere eine neue Facette hinzuzufügen. Bis dahin hat sie Gelegenheit, sich zwischen vier Möglichkeiten der Altersteilzeit zu entscheiden. Kehrt sie reumütig in den Klub Stronach zurück oder noch reumütiger in den schwarzen Schoß, der sie gebar; legt sie ihr Mandat zurück oder versucht sie, späterweckt, unter dem Motto "Born to be wild", dem österreichischen Parlamentarismus alles Mögliche einzuhauchen, nur kein neues Leben.

Schön, wenn ihr, die es schon einmal ganz aus eigener Kraft zur ORF-Generalin gebracht hat, noch so viele Wege offenstehen - und sie sich die Einsicht, den richtigen davon zu beschreiten, auch von einer Kopfwäsche im Salon Erwin nicht trüben lässt. Schließlich kann sie mit mehr ehrlichen Motiven, das Volk zu vertreten, aufwarten als alle anderen unter weniger aleatorischen Umständen gewählten Abgeordneten. Da war zunächst jenes, an Frank Stronachs Seite gegen das System zu kämpfen, das sie hervorgebracht hat. Seit Saulus' Wandlung zu Paulus hat sich spirituelle Kraft kaum je so eindrucksvoll manifestiert wie im Wechsel von Raiffeisen zu Magna. Dass er nicht von Dauer war, ist nicht ihre Schuld. Als ein Laufbursche des Magnaten lüftete, wogegen sie in Stronachs Heerscharen als Speerspitze zu dienen hätte, überkam sie bittere Reue, ihre Herkunft verleugnen zu sollen, auch wenn kein Hahn danach krähte.

Von dieser Last befreit, entdeckte sie das Motiv, als wilde Abgeordnete dem Land zu dienen. Leider fanden sich sofort Grübler in Sachen Parlamentarismus, die wissen wollten, dass die Tätigkeit einer solchen sich im Wesentlichen auf die Abhebung ihres monatlichen Salärs beschränkt, eine Freiheit von jedem Klubzwang - nicht ganz jene, die das Volk meint. Als ehrliches Motiv kann gelten, sie brauche das Geld, um ihrer Verelendung vorzubeugen. Altersarmut ist ein gesellschaftliches Problem, und wo sollte man mit der Lösung beginnen, wenn nicht bei sich selbst!

Dieses Motiv ließe sich mit dem vierten mühelos verbinden, mit dem, wenn schon nicht die politische, so doch die parteipolitische Moral wiederhergestellt wäre: Lindner beweist der ÖVP, dass sie verzeihen kann. Nicht einmal auf deren Kandidatenliste gesetzt, stellt sie ihr doch das ganze Vertrauen zur Verfügung, das ihr das Volk über die Liste Stronach zufließen ließ. Das wäre wahre Großmut!

Keinesfalls sollte Lindner ihr Mandat aufgeben. Falls sie ihr Salär spenden will, könnte sie als Durchlauferposten zwischen Republik und Caritas nützlich sein. Tut sie es dennoch, müsste man sich um den Frauenanteil im Nationalrat auch keine Sorgen machen. Eine einstige Schönheitskönigin soll nachrücken - nur billig für ein Volk, begnadet für das Schöne. (GÜNTER TRAXLER, DER STANDARD, 18.10.2013)