Schwerpunktausgabe
25 Jahre STANDARD

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Geballte Generaldirektorenpower: der amtierende höchste Polizist des Landes, Konrad Kogler, mit seinen Vorgängern Michael Sika, Erik Buxbaum und Herbert Anderl (von rechts).

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Standard: Kommen Sie ab und zu in dieser Runde zusammen?

Kogler: Ab und zu. Heute ist ab, wann zu ist, wissen wir noch nicht genau.

Buxbaum: Man trifft einander bei manchen Anlässen, aber eine fixe Runde gibt es nicht.

Standard: Warum eigentlich nicht? Das wäre doch eine gute Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und Ideen weiterzuentwickeln.

Anderl: Sie werden es nicht glauben, aber es ist hauptsächlich eine Frage der Zeit.

Sika: Wir Pensionisten haben ja kaum Zeit.

Buxbaum: Außerdem: Gute Ratschläge an Nachfolger nutzen in der Regel nicht viel und werden von diesen auch eher als lästig empfunden.

Standard: Herr Kogler, was schätzen Sie an Ihren Vorgängern?

Sika: Das ist eine gemeine Frage. Da kann er jetzt nur lügen.

Kogler: Nein, ganz und gar nicht. Ich hab zu allen drei ein positi- ves Verhältnis. Mag. Sika hab ich im Rahmen meiner Ausbildung bei einer Prüfung kennengelernt. Er war hart, aber fair. Mit Dr. Buxbaum als Vorgesetztem hab ich lange gut zusammengearbeitet, sowohl als Polizist als auch im Ministerium. Mit Herbert Anderl hat es immer neben der beruflichen auch eine freundschaftliche Seite gegeben, wir sehen uns auch jetzt noch häufiger, weil wir nicht weit voneinander entfernt wohnen. Es gab einige Causen, die wir gemeinsam bewältigen mussten, wie etwa die Diskussionen nach dem Schusswaffengebrauch in Krems (im August 2009 wurde ein 14-jähriger Einbrecher von der Polizei erschossen; Anm.). Solch schwierige Aufgaben schweißen auch zusammen.

Standard: Herr Sika, was waren die Meilensteine in Ihrer Karriere?

Sika: Die 90er-Jahre waren grundsätzlich Jahre großer Veränderungen. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhanges hatte Österreich keinerlei Grenzsicherung. Und es ist im Stakkato weitergegangen: der Jugoslawienkrieg mit dem Zerfall eines Landes, Kämpfe in Slowenien, zigtausend Flüchtlinge, EU-Beitritt und Beitritt zum Schengenverband. Und zu allem Überfluss die Briefbomben-Anschläge im eigenen Land.

Standard: Auch ein Mafiamord auf offener Straße, Opfer war der georgische Geschäftsmann David Sanikidze, hat für turbulente Zeiten gesorgt.

Sika: Plötzlich gab es neue Formen der Kriminalität, die von organisierten Banden beherrscht wurde. Das hatten wir vorher nur im Rotlichtbereich gehabt. Es gab wirklich Probleme. Aber es haben sich nicht nur die Landkarten verändert, sondern auch die rechtlichen Rahmenbedingungen. An die Schaffung des Sicherheitspolizeigesetzes erinnert sich heute niemand mehr so wirklich. Aber das war ein Jahrhundertgesetz, in dem die Polizeibefugnisse genau geregelt wurden. X Minister hatten daran schon gearbeitet, Löschnak (Franz Löschnak, SPÖ, Innenminister von 1989 bis 1995; Anm.) hat es durchgesetzt. Und es wurden neue Ermittlungsmaßnah-men wie Lauschangriff und Rasterfahndung geschaffen. Das hat den gesamten Polizeiapparat grundlegend verändert, neue Einheiten wie die Sondereinsatzgruppe Observation sind entstanden. Und weil ich ja beruflich einen Zeitraum bis in die 50er-Jahre überblicke, kann ich sagen, dass es in den 90er-Jahren einen unglaublichen technischen Schub gab. Bis in die späten 80er-Jahre hatte die Polizei einen Telefonfestnetzanschluss, den Analogfunk, einen Fernschreiber und die Schreibmaschine. Erster großer Fortschritt war die elektronische Schreibmaschine. Mein erstes Diensthandy 1992 war so schwer, dass man beim Hochheben einen Leistenbruch riskierte. Das digitale Zeitalter hat alles verändert: vom Fingerabdrucksystem bis zur DNA-Datenbank.

Standard: Das klingt so, als ob früher alles recht mühsam war. Große Kriminalfälle, wie die Causa Jack Unterweger, konnten aber dennoch gelöst werden.

Sika: Ja, aber gerade dieser Kriminalfall hat sehr viel bewirkt. Unsere heutige DNA-Fahndung geht zurück auf Jack Unterweger. Die Morde, die er in den USA begangen haben soll, konnten ihm dort anhand von DNA-Spuren zugeordnet werden.

Standard: Die Erweiterung der Polizeibefugnisse geht immer zulasten von Bürgerrechten. Wie kann man diesen Spannungsbogen auflösen?

Buxbaum: Dieser Spannungsbogen ist nicht aufzulösen, denn jeder Eingriff in verbriefte Bürgerrechte ist ein Problem. Das gilt beispielsweise für jede Festnahme. Aber es kommt in Wahrheit auf die Balance an. Beide Seiten neigen dazu zu übertreiben. Die Polizei möchte natürlich möglichst viele Befugnisse haben, das ist legitim. Bürger sind natürlich weniger amused, insbesondere wenn es sich um unschuldige Personen handelt oder wenn die Polizei falschliegt. Missbrauch kann man nie ausschließen, aber minimieren. Insgesamt glaub ich, dass Österreich eine gesunde Balance zwischen Polizei- und Bürgerrechten hat. Im Vergleich mit der NSA sind wir ja, wenn die Medienberichte stimmen, Waisenknaben.

Standard: Ist Edward Snowden ein Held oder ein Verräter?

Buxbaum: Das liegt genau im Spannungsverhältnis. Für die einen ja, für die anderen nein. Für mich persönlich ist er kein Held. Dass er ausgerechnet in Russland Asyl erhält und annimmt, ist ja absurd.

Standard: Ein Spielball der Weltpolitik?

Buxbaum: Er lässt sich missbrauchen, und wenn er ausgepresst ist, wird er vermutlich weggeschmissen.

Standard: Herr Sika hat einmal ein Buch geschrieben mit dem Titel "Innenansichten einer Republik". Welchen Titel könnte ein von Ihnen verfasstes Buch tragen, Herr Anderl?

Anderl: "Erlebtes und Erlittenes". Im Ernst, man könnte nur Erlebtes wiedergeben. Eines darf man sicher nicht machen: Ratschläge erteilen. Man kann maximal beschreiben, wie man selbst handeln würde. Aber in einer schnelllebigen Zeit wie heute ist so etwas rasch überholt. Ich weiß nicht mehr über das laufende Geschehen in der Kriminalitätsbekämpfung Bescheid. Außer als Konsument der Medien.

Standard: Herr Anderl, Sie waren unter anderem befasst mit der Ausbildung der Polizei, haben die Sicherheitsakademie reformiert und FH-Lehrgänge geschaffen. War die Ausbildung früher so schlecht?

Anderl: Wir waren im internationalen Vergleich nicht weit hinten. Aber Bakkalaureats- und Masterausbildung waren einfach notwendig, um im europäischen Konzert für exekutive Führungskräfte mitspielen zu können. Auch die Militärfachschule ist eine Fachhochschule geworden.

Standard: Sie haben in dieser Runde die bunteste berufliche Karriere: kaufmännische Lehre, Studium, Statistik Austria, Bundesheer-Offizier, Rechnungshof, Innenministerium. Waren diese ständigen Neuanfänge nicht hinderlich?

Anderl: Ich hab es nie bereut, dass ich ungefähr alle fünf Jahre meine Position gewechselt habe.

Standard: In Ihrer GD-Periode wurde unter anderem Ende 2011 der Assistenzeinsatz des Bundesheeres an den Grenzen beendet. Österreich hat aber mit Ausnahme der Schweiz seit 2004 keine EU-Außengrenze mehr. Warum wurde der Abzug der Soldaten so lange hinausgezögert?

Anderl: Im Nachhinein kann man über die Dauer des Assistenzeinsatzes philosophieren. In der damaligen Zeit war er aber notwendig, weil es nach dem Fall des Eisernen Vorhanges und später auch durch die Reisefreiheit im Schengenraum bis zu einem gewissen Grad auch zeitverzögert eine höhere Kriminalitätsrate gab. Die Soldaten haben zuletzt vor allem ein Vakuum im subjektiven Sicherheitsempfinden der Bevölkerung in den Grenzregionen verhindert.

Standard: Ebenfalls ex post betrachtet: Wurden die großen Polizeireformen der vergangenen Jahre zu schnell durchgezogen?

Kogler: Nachdem ich ja Projektleiter war, kann ich jetzt schwer sagen, dass es anders gescheiter gewesen wäre. Es war einfach ein logischer und notwendiger Schritt. Nach der Zusammenführung von Polizei und Gendarmerie im Jahr 2004 musste es weitergehen. Auch im Parlament gab es zur Schaffung von zentralen Landespolizeidirektionen in jedem Bundesland Zustimmung von allen Fraktionen.

Standard: Eines der Ziele, nämlich mehr Beamte für den Außendienst zu erhalten, ist zumindest in Wien bisher nicht erfüllt. Der Rechnungshof kritisiert, dass stattdessen noch immer zu viele Führungskräfte in den Büros sitzen.

Kogler: Da muss man meines Erachtens ein paar Dinge auseinanderhalten. Der Rechnungshof macht hier eine Milchmädchenrechnung. Er zählt nur die Beamten auf der einen und auf der anderen Seite. Die Polizei muss aber in ganz Österreich eine Grundversorgung garantieren. Diese Grundversorgung kostet natürlich, weil auch in Regionen, wo weniger los ist, polizeiliche Präsenz vorhanden sein muss. Das Zweite ist: Uns ist es wichtig, nahe am Bürger zu sein. Nur 23 Polizeiinspektionen für Wien, wie es der Rechnungshof vorschlägt, das ist undenkbar. Ich bin sicher, dass alle Bürger in ihrer Nähe eine Polizeiinspektion möchten. Eine Reform muss eben nicht nur der Belegschaft, sondern auch der Bevölkerung optimale Bedingungen bieten.

Standard: Die Arbeitsbedingungen im Ministerium waren offenbar auch nicht immer optimal. Herr Sika, Sie haben das Ministerium einmal als Schlangengrube bezeichnet. Wie ist es, wieder einmal hier zu sein?

Sika: Ich bin vorderhand noch keiner Schlange begegnet. Aber ich bin ja auch noch nicht lange da. Aber wer weg vom Fenster ist, muss auch keine Angst vor Schlangen haben.

Standard: Die mediale Präsenz der Generaldirektoren hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten sukzessive abgenommen. Warum?

Buxbaum: Ich glaube, schon mein Freund Sika hat sich kein einziges Mal in die Medien gedrängt und eher unter den Auftritten gelitten. Es gibt ja für Beamte nur zwei Möglichkeiten: Kommst du in Medien gut weg, dann sind Kollegen neidisch, bist du schlecht, hast du sowieso verloren. Als Beamter kann man mit Medienauftritten nichts gewinnen. Aber man hat einen kleinen Vorteil: Die meisten Journalisten sind zu Beamten gnädiger. Einen Minister kann man vielleicht abschießen, aber Beamte nicht. Ich persönlich hab mich nie in die Medien gedrängt, bin aber immer wieder geschickt worden. Anlässlich der Tsunami-Katastrophe etwa, die Spitzelaffäre war auch nicht lustig.

Sika: Heute gibt es ja auch das System der Pressesprecher, das Vor- und Nachteile hat. Die Entscheidungsträger kann man damit im Hintergrund halten, aber die Medien wollen eben authentische Aussagen gerade aus der Führungsebene.

Standard: Richtig. In bestimmten Fällen ist es doch auch wichtig, dass die Chefin oder der Chef an die Öffentlichkeit geht.

Sika: Ich war nie wehleidig, musste aber viel einstecken. Anlässlich meiner Pensionierung im Jahr 1999 bat mich Ingrid Thurnher für die Zeit im Bild zu einem Interview über die Bilanz meiner Amtszeit. Aus Letzterem wurde aber nichts, es ging eigentlich nur um Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Tod von Marcus Omofuma (der Schubhäftling aus Nigeria erstickte während der Abschiebung, weil er von Fremdenpolizisten zu stark geknebelt und gefesselt worden war; Anm.).

Standard: Der Tod von Marcus Omofuma im Mai 1999 war aber auch ein krasser Fall von Polizeifehlverhalten.

Sika: Eine böse Geschichte.

Buxbaum: Die Causa zeigte auch auf tragische Weise, dass es viel zu wenig Ausbildung für heikle Abschiebungen gab. Danach folgten umfassende Maßnahmen wie eine ärztliche Betreuung oder die Schaffung des Menschenrechtsbeirates als Kontrollorgan.

Standard: Als höchster Polizist des Landes steht man auch immer wieder im Kreuzfeuer der Politik.

Buxbaum: Da hatte ich leider einige Erlebnisse: Ich bin auf Urlaub in Marokko, dort ist 3sat zu empfangen. Ich lieg schon im Bett und fall fast wieder raus, als ich mir die ZiB 2 anschaue: Jörg Haider verunglimpft mich als "roten Bruder", wirft mir Amtsmissbrauch vor. Alles, was er sagt, ist frei erfunden. Oder ein anderes Mal in einem parlamentarischen Ausschuss, wo ich über das Unglück von Kaprun berichten sollte. Wieder fiel ein FPÖ-Politiker über mich her, um mir grobe, unhaltbare Vorwürfe zu machen. Warum, weiß ich nicht. Ich hab dann die Ausschutzvorsitzende Helene Partik-Pablé (Abgeordnete der FPÖ; Anm.) gebeten, man möge mich nicht wie einen Verbrecher behandeln. Alles, was ihr eingefallen ist, war, dass eh die Unschuldsvermutung gelte. Es ist wohl das Billigste, wenn sich Politiker im Schutz der politischen Immunität an Beamten reiben. Kollege Kogler ist da glücklicherweise noch unbefleckt.

Kogler: Meinen ersten 302er (Strafgesetzparagraf: Missbrauch der Amtsgewalt; Anm.) hab ich nach drei Wochen Amtszeit angedroht bekommen.

Buxbaum: Worum ging es, wenn ich fragen darf?

Kogler: Um den Wiener Akademikerball (blauer Burschenschafterball in der Hofburg, bei dem es zu Übergriffen auf Ballgäste kam; Anm.).

Sika: Politische Angriffe hören nie auf. Der Herr Pilz (der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz; Anm.) hat mich vor einem Jahr mit einer parlamentarischen Anfrage in Zusammenhang mit illegalen Geschäften mit Libyen gebracht. Völlig kryptisch und falsch. In der offiziellen Anfragebeantwortung des Innenministeriums hieß es dann folglich, dass es dazu keine Unterlagen gibt.

Standard: Die meisten von Ihnen haben mit Innenminister Ernst Strasser von der ÖVP zu tun gehabt. Sind Sie von dessen späterem Lebenswandel enttäuscht?

Buxbaum: Das zu sagen wäre, glaub ich, vermessen. Das steht uns als Beamten nicht zu. Privat hatte ich nie Kontakt zu ihm, als Amtsträger hat er sich mir gegenüber immer korrekt verhalten. Und mir gegenüber auch liebenswürdig, was ja nicht seine Stärke gewesen sein soll.

Sika: Er hat dir also nichts nachgeworfen.

Buxbaum: Immerhin. Und man muss ihm die Durchsetzung der Polizeireform hoch anrechnen.

Sika: Ich hatte noch als Präsident des Kuratoriums Sicheres Österreich mit Ernst Strasser zu tun. Als Innenminister war er auch mir gegenüber immer korrekt. Einen Termin bei ihm zu bekommen war nie ein Problem. Ich erinnere mich an eine Innenministerin, bei der ich acht Monate auf einen Termin gewartet habe.

Anderl: Auch ich kann nur seine Amtszeit als Innenminister beurteilen. Er war fair und auch menschlich kompetent.

Standard: Gute Polizisten sind auch immer Beobachter der Gesellschaft. Welche Beobachtungen machen Sie derzeit?

Kogler: Eine große gesellschaftliche Herausforderung ist die Bewältigung der Migrationsströme. Laut UNHCR sind 50 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung wird es verstärkt um Strategien gegen Cybercrime gehen. Demografisch haben wir es mit einem Wandel hin zu einer älteren Bevölkerung zu tun. Die Polizei dagegen wird jünger. (DER STANDARD, 19.10.2013)