Bild nicht mehr verfügbar.

Das Buchgeschäft Shakespeare and Company in der Rue de la Bûcherie zählt zu den spannendsten Anknüpfungspunkten, um in das Pariser Leben angloamerikanischer Autoren während der 1920er-Jahre einzutauchen. Foto:

Foto: Corbis / Bertrand Gardel

Unterkunft: Das Hotel Ritz an der Place Vendôme konnte sich Hemingway erst leisten, als er 1956 mit seiner vierten Frau wieder in Paris auf Besuch war. Die Doppelzimmerpreise beginnen heute bei rund 1200 Euro. Das erste Hotel, das er im Dezember 1921 bezogen hatte, war das Hotel Jacob in der Rue Jacob gewesen. Heute wird das Haus als nach wie vor charmantes Hotel d'Angleterre weitergeführt - DZ-Preise ab rund 230 Euro.

Buchtipps: Ernest Hemingway: "Paris. Ein Fest fürs Leben", Rororo, 320 Seiten.
F. Scott Fitzgerald: "Zärtlich ist die Nacht", Diogenes, 552 S.

Foto: Hotel d'Angleterre

"Und, wie war der erste Sex mit deiner Frau?" Das ist keine angemessene Frage, wenn zwei Menschen einander gerade erst vorgestellt wurden. Trotzdem hat Francis Scott Fitzgerald sie gestellt. Die Antwort wollte er von Ernest Hemingway. Es war ein alkoholgeschwängerter Abend, 1925 in der Pariser Dingo Bar. Was passierte? Hemingway antwortete ausweichend, er könne sich gar nicht erinnern - und verzieh Scott die direkte Art. Schließlich verband die beiden etwas: Sie waren beide amerikanische Schriftsteller, die beide in Paris lebten, um Kreativität zu tanken - und wohl auch reichlich Alkohol.

Gut 90 Jahre später erleben Hemingway und Fitzgerald noch immer eine Renaissance nach der anderen: 2013 kam Fitzgeralds Der große Gatsby in die Kinos, eine Briefesammlung von Hemingway erschien, und auch 2014 wird es wieder eine Neuauflage von Der alte Mann und Meer geben. Die wenigsten Verehrer der beiden Literaten denken aber an einen Paris-Besuch. Dabei sind deren goldene 1920er-Jahre dort am besten nachvollziehbar: Viele Künstlertreffs existieren noch, ebenso die Wohnhäuser. Um in diese Zeit einzutauchen, muss man nur die richtigen Adressen kennen.

Frühstück in Montparnasse ...

In den 1920er-Jahren spielte sich das Leben der angloamerikanischen Schriftsteller in Paris auf der linken Seite der Seine ab: Hemingway und Fitzgerald, aber auch Gertrude Stein und James Joyce wohnten in diesen Vierteln, fühlten sich hier inspiriert.

Ein guter Ausgangspunkt für Spurensucher ist der Boulevard du Montparnasse - heute eine stark befahrene Straße, die gewiss einiges an Charme verloren hat. Aber wagt man sich erst einmal in die Seitengassen, kann man sich sehr gut vorstellen, wie es früher gewesen sein muss. Hier stehen noch viele Lokale der Zwanziger: Le Sélect, das als das beliebteste Café der Szene galt. Daneben La Rotonde - quasi das zweite Wohnzimmer dieser Autoren. Sie kippten Whisky, diskutierten und philosophierten auf den roten Samtsitzen, die seither wohl schon ein paar Mal neu bespannt wurden.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lockt noch immer das La Coupole mit seinem alten roten Schriftzug. Aber man muss sich schon Mühe geben, um Kiki, die Muse mit dem dunklen Bob, heute noch am Klavier klimpern zu hören. Denn das Instrument musste längst zusätzlichen Tischen weichen in dieser Brasserie, deren Art-déco-Interieur dennoch intakt ist. Vom Café du Dôme nebenan ist hingegen leider nur der Name übrig geblieben. Heute ist es ein nobles Fischrestaurant. Und auch die Dingo Bar, in der Hemingway und Fitzgerald ihre erste Bekanntschaft machten, hat nicht überlebt. Sie lag in der Seitengasse Rue Delambre.

Am Beginn seiner Paris-Zeit setzte sich Hemingway von seinen Kollegen ab, schrieb am liebsten bei einem Café Crème im La Closerie des Lilas. Ein verstecktes Lokal am Ende des Boulevards, benannt nach dem Flieder, der davorstand. Besucher können seinen Schritten in dieses "Büro" leicht folgen. Er wohnte eine Zeitlang in der Rue Notre-Dame-des-Champs 113. Und mit etwas Fantasie wird man sich ausmalen können, wie er und seine erste Frau Hadley mit dem neugeborenen Sohn "Bumby" hier litten - als sie über einer Sägemühle einzogen.

... mit Manuskripten zu Stein ...

Vom unteren Ende des Boulevard du Montparnasse sind es nur wenige Schritte in den Jardin du Luxembourg. Die Literaten durchquerten diesen Park regelmäßig, um Gertrude Stein zu besuchen. Stein, Kunstsammlerin und ebenfalls Autorin, war für viele Mentorin. Ihr literarischer Salon in der Rue de Fleurus 27 war stadtbekannt. Wenn das Haustor offen steht, kann man hineinblicken und nachempfinden, wie die Schriftsteller hier mit Manuskripten nervös ein und aus gingen.

Die Amerikaner schätzten die Infrastruktur des linken Seine-Ufers: seine Grünflächen, die Ausstellungen im Musée du Luxembourg und das Nachtleben. Letzteres war vor allem für Francis und Zelda Fitzgerald von großer Bedeutung. Eine ihrer Wohnungen befand sich in der Rue de Vaugirard 58 und kommt in seinem Roman Zärtlich ist die Nacht immer wieder vor. Die Fitzgeralds waren dort in guter Gesellschaft: Denn auch Ford Madox Ford, der in seiner Zeitschrift Transatlantic Review Texte der Amerikaner veröffentlichte, wohnte in dieser Straße. Hemingway zog bald um die Ecke ein: Mit seiner zweiten Frau Pauline wohnte er in der Rue Ferou nahe der Kirche Saint-Sulpice. Hier soll er um ein besseres Sexleben gebetet und nie wieder Probleme im Bett gehabt haben.

... Lunch in Saint-Germain ...

Kreative Köpfe brauchen Abwechslung. Nur die Bars in Montparnasse wären zu wenig gewesen, daher spazierte man nach Saint-Germain, um im Deux Magots und im Café de Flore zu essen. Beide Häuser buhlen noch heute um Aufmerksamkeit als "Literatencafés", auch wenn sich junge Autoren dort kaum den Espresso leisten können. Und in der Brasserie Lipp gegenüber stehen die Cervales-Würste mit Erdäpfel in Öl, die Hemingway in Ein Fest fürs Leben beschreibt, leider auch nicht mehr auf der Karte!

Nach dem Lunch drängt sich die Suche nach dem Buchgeschäft Shakespeare and Company förmlich auf. Sylvia Beachs amerikanische Buchhandlung in der Rue de l'Odéon spielte eine wichtige Rolle für die Literaten. Sie verlieh Bücher, vernetzte Autoren, nahm ihre Post entgegen und veröffentlichte die erste Auflage von James Joyce' Ulysses. Die Buchhandlung - oder vielmehr dieser Standort - existiert seit den 1940er-Jahren nicht mehr. In den Fünfzigern hat der Amerikaner George Whitman aber ein neues Shakespeare and Company an der Seine eröffnet. Und bis heute gibt es dort eine ganze Abteilung, die sich den Autoren der Zwanziger, also der Lost Generation, widmet.

Nicht immer mieden die amerikanischen Schriftsteller die rechte Seite der Seine: Im Ritz tummelten sich die Reichen und Schönen, allen voran die Fitzgeralds. Im Café de la Paix neben der Oper feierte Hemingway 1921 Weihnachten und überlegte kurz, die Zeche zu prellen. Allerdings war er dann doch zu feig dafür, ließ seine Frau allein zurück und holte Geld vom anderen Ufer der Seine. Meistens gab er es in Harry's New York Bar in der Rue Danou aus - hier tankte Hemingway nach dem Boxen.

... und Mandarinen vom Markt

Für viele amerikanische Autoren waren die Anfangsjahre in Paris hart. Anders als Fitzgerald, der schon als bekannter und geachteter Autor nach Frankreich kam, oder als Stein, die Geld fürs Mäzenatentum übrig hatte, musste Hemingway jeden Franc umdrehen. Mehr als Maroni und Mandarinen gingen sich als Nervennahrung beim Schreiben nicht aus. Er kaufte sie vor allem auf dem Markt in der Rue Mouffetard, der bis heute besteht. Am Morgen liegt der Duft frischen Brotes über der Gasse - ein idealer Ort, um den Sonntag zu genießen.

Heute ist es hier einladend, doch Hemingways Erfahrungen waren ganz andere, als er 1921 in die Gegend zog. Die Wohnung in der Rue du Cardinal-Lemoine 74 war die erste, die er in Paris mietete. Heute wirkt das Haus zwar noch immer oder schon wieder heruntergekommen, aber es ist wohl kein Vergleich mit damals: Trotz der eigenen vier Wände mietete sich Hemingway zum Schreiben in einem Hotel ums Eck ein, denn zu Hause warteten auf ihn nur undichte Fenster und ein Gemeinschaftsklo. (Emily Walton, DER STANDARD, Album, 09.11.2013)